Arzneiregress
Die medizinische Rationale zählt
Regressgefahr bei Verordnung von Bestandsmarktprodukten, für die noch ein Erstattungspreis verhandelt wird? Von wegen, sagt ein Medizinrechtler. Allerdings müssen Ärzte die Verordnung patientenindividuell begründen können.
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Das richtige Präparat für diesen Patienten? Wenn ja, dann ist der höhere Preis kein Argument.
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NEU-ISENBURG. Schon in der Vergangenheit hatten wiederholt mehrere KVen vor Unwirtschaftlichkeit bei der Verordnung von Innovationen gewarnt, die noch keinen Erstattungspreis haben.
Nun tut sich Ähnliches auch für Bestandsmarktprodukte. Konkret geht es um die Gliptine. Nachdem der GBA kürzlich Therapiehinweise für diese Wirkstoffklasse herausgegeben hatte, winkt nun etwa die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen mit dem Zaunpfahl.
In deren aktuellem Rundschreiben heißt es unter Hinweis auf die jüngsten Therapieempfehlungen des GBA, darunter neben ganz neuen Substanzen eben auch die etablierten DPP-4-Hemmer, es sei "nicht auszuschließen, dass die Verordnung in den Anwendungsgebieten, in denen ein Zusatznutzen nicht belegt ist, das Arzneimittel jedoch deutlich teurer ist als die zweckmäßige Vergleichstherapie, bis zum Abschluss der Erstattungsvereinbarung von Krankenkassen als unwirtschaftlich erachtet wird".
Das ist zwar ausgesprochen vorsichtig formuliert - was lässt sich schon mit Sicherheit ausschließen? Dennoch sorge der Passus bei Verordnern für Verunsicherung, berichten Pharmareferenten. Mehrfach hätten Ärzte nachgefragt, ob Diabetiker jetzt umgestellt werden müssten.
Dabei gilt für Bestandsmarktprodukte nichts anderes als für Neueinführungen: Der Nutzen ist durch die Zulassung belegt und wird auch nicht durch den Therapiehinweis "kein Zusatznutzen" außer Kraft gesetzt.
Auch ist es nicht Aufgabe des Arztes, eine Kosten-Nutzen-Bewertung vorzunehmen oder gar den Verhandlungen zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband vorzugreifen, aus denen ein wirtschaftlicher, weil vom Kostenträger akzeptierter Preis resultieren soll.
Der Düsseldorfer Medizinrechtler Dr. Christian Stallberg betont daher die "medizinische Rationale", mit der sich eine Verordnung rechtfertigen lasse. Gebe es aus Sicht eines Arztes keine gleichwertige therapeutische Alternative für den jeweiligen Patienten, könne die Verordnung begründet sein.
Stallberg: "Es spielt dann auch keine Rolle mehr, um wieviel teurer das jeweilige Präparat ist als etwa ein im Kontext eines Nutzenbewertungsverfahrens benannter Therapiestandard". Ärzte, die entsprechend begründet verordnen, müssten also nicht befürchten, bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen belangt zu werden.
Darüber hinaus gibt Stallberg zu bedenken, dass auch das Nutzenbewertungsverfahren für Bestandsmarktprodukte auf 12 Monate angelegt ist und keineswegs mit einem zur Halbzeit hin erfolgenden Therapiehinweis des GBA schon beendet sei.
Stallberg: "Vor diesem Hintergrund wäre es auch für die Kassenärztlichen Vereinigungen angezeigt, den Verfahrensabschluss abzuwarten, statt mit suggestiven Formulierungen Regressängste zu schüren."