Fünf Jahre AMNOG

Diese vernichtende Bilanz zieht die Industrie

Die Pharmaindustrie steht der frühen Nutzenbewertung und ihren Auswirkungen nach wie vor kritisch gegenüber. In ihrer Bilanz zu fünf Jahren AMNOG nimmt sie kein Blatt vor den Mund.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die pharmazeutische Industrie hat viel am Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) auszusetzen.

Die pharmazeutische Industrie hat viel am Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) auszusetzen.

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BERLIN. Der Vorsitzende des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) Dr. Martin Zentgraf nahm kein Blatt vor den Mund: Er habe sich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können, dass sich das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) so deutlich von seinem ursprünglichen Ziel entfernen würde, die Versorgung zu verbessern, sagte Zentgraf am Mittwoch in Berlin.

"Marktrückzüge, Marktmeidung und geringe Versorgungsgrade selbst bei positiv bewerteten neuen Arzneimitteln sind die Realität nach fünf Jahren AMNOG", sagte Zentgraf.

Marktmeidung nimmt zu

Seit 20 Jahren fungiert die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) als zentrale Zulassungsbehörde. In den 15 Jahren vor Einführung des AMNOG haben Hersteller acht Präparate bewusst nicht auf den deutschen Markt gebracht.

In den fünf Jahren seit AMNOG-Start seien es 37 neue Medikamente gewesen, die auf den deutschen Markt verzichtet hätten, heißt es in einem Gutachten der Universität Bayreuth im Auftrag des BPI.

Rund die Hälfte dieser Medikamente dient der Behandlung chronischer Leiden wie Diabetes, Aids, COPD und Asthma sowie Hypertonie. Ein Grund für die Zurückhaltung sei, dass die in Deutschland verhandelten Erstattungsbeträge in die Preisbildung in anderen Ländern einflössen, sagte Zentgraf. Das Risiko eines niedrigen Erstattungsbetrags wollten Hersteller daher in diesen Fällen vermeiden.

Die Marktmeidung ist nicht das einzige zu beobachtende Phänomen bei der Verfügbarkeit von Medikamenten. Im Verfahren der frühen Nutzenbewertung kommt es zudem zu Verfahrensabbrüchen und Marktrücknahmen.

So seien nach Abschluss von 102 Verfahren (Stand Ende Juni 2015) lediglich 83 der bewerteten Medikamente in der Versorgung angekommen, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des BPI Dr. Norbert Gerbsch.

Neunmal hätten die Hersteller die Opt out-Karte gezogen, zudem sei es zu neun vollständigen Marktrückzügen und einem teilweisen Marktrückzug gekommen.

Versorgungsgrad bereitet Sorgen

Diese Probleme haben die beteiligten Akteure und die Bundesregierung erkannt. Bis zum Frühjahr beraten Gesundheits- und Forschungsministerium gemeinsam mit den Vertretern der Verbände der Pharmaindustrie im Pharma-Dialog über Lösungen.

Seit dem 30. September verhandeln der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH), der BPI, pro generika und der Verband der forschenden Pharmaindustrie mit dem GKV-Spitzenverband konkret über die Modalitäten der Preisverhandlungen.

Die ursprüngliche Vereinbarung wurde im Jahr 2012 aufgelegt und gilt nicht mehr als zeitgemäß. Auch beim Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), der letztendlich das Ausmaß eines Zusatznutzens zumisst, wird über Änderungen nachgedacht.

So wird zum Beispiel darum gerungen, wie Surrogatparameter in die Nutzenbewertung einfließen könnten, um Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten bessere Chancen einzuräumen. Harte Endpunkte wie die mediane Überlebenszeit, so hat man erkannt, helfen bei der Bewertung von Langzeittherapien nicht weiter.

Ein Problem lösen die Bemühungen nicht. "Selbst bei Innovationen mit hohem Zusatznutzen beobachten wir einen eher geringen Versorgungsgrad", bemerkte Zentgraf. Ärzte scheuten aus Angst vor Regressforderungen der Kassen davor zurück, die oft teureren Präparate zu verordnen.

Das sei skandalös und bedürfe dringender Klarstellung, sagte Zentgraf. Die Autoren des Gutachtens schlagen daher eine gesetzliche Klarstellung vor. Arzneimittel mit einem vereinbarten oder festgestellten Erstattungsbetrag sollten per se als "wirtschaftliche Leistung" gelten.

 Zudem sollten AMNOG-Präparate zwingend als Praxisbesonderheiten anerkannt werden, um die Verordnung von Innovationen zu fördern.

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