Überflüssige Verordnungen
G7 bekämpft Antibiotika-Resistenzen
Der Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen steht seit langem auf der Agenda der G7-Staaten. Im Vorfeld des Gipfels der Gesundheitsminister in Berlin fordert die Industrie sichere Entwicklungsbedingungen für die Unternehmen.
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Die G7-Länder: Deutschland, Japan, USA, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Kanada und Italien.
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Berlin. Die COVID-19-Pandemie hat die Verordnungszahlen von Antibiotika in der ambulanten Versorgung mächtig gedrückt. Im ersten Quartal 2021 wurden zum Beispiel 56 Prozent weniger verordnet als im Vergleichsquartal 2019.
Dies geht aus Daten des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) hervor, die der Ärzte Zeitung vorliegen.
Seit dem dritten Quartal 2021 zieht der Verbrauch wieder an (siehe nachfolgende Grafik). In den ersten beiden Monaten des Jahres 2022 verzeichnen die WIdO-Analysten eine den letzten Entwicklungen in 2021 vergleichbare Entwicklung. Es gibt eine Zunahme gegenüber Januar und Februar 2021, das Niveau ist aber deutlich niedriger als das der entsprechenden Monate in 2019 und 2020.
Deutschland zählt im EU-Vergleich nicht zu den Hauptverbrauchern. Gleichwohl werden auch hierzulande häufig Antibiotika bei Atemwegsinfekten verordnet. In Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien liegen die Verordnungsraten ausweislich des Evaluationsberichts zum Projekt „RESIST“ in diesen Fällen bei unter 40 Prozent, in Großbritannien und Irland bei 60 Prozent und in Südeuropa bei mehr als 80 Prozent.
Ärzte berichten zudem von der Erwartungshaltung ihrer Patienten, dass eine Therapie mit Antibiotika mehr Sicherheit schaffe als eine ohne. Die Initiative „Klug entscheiden“ der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) spricht von „Antibiotika-Übergebrauch“ als täglicher Praxis auch der ambulanten Medizin.
1,2 Millionen Tote im Jahr
Die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen zählt zu den Schwerpunkten des Gesundheitsprogramms des G7-Gipfels. Ihnen fallen laut Bundesregierung mehr als 1,2 Millionen Menschen im Jahr zum Opfer. Deshalb soll der unnötige Einsatz von Antibiotika, zum Beispiel in der Tiermast und gegen virale Erkrankungen, verringert werden. Zudem sollen Forschung und Entwicklung von neuen Antibiotika gefördert werden.
Erstmals hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in diesem Monat für ein Reserveantibiotikum „qualitätssichernde Anforderungen“ festgelegt. Cefiderocol darf demnach nur gegen bestimmte bakterielle Erreger und nach qualifizierter Rücksprache mit Infektiologen erfolgen.
In den Antibiotikaresistenzen könne man „tatsächlich eine tickende Zeitbombe“ sehen, sagte vfa-Präsident Han Steutel der Ärzte Zeitung auf Anfrage. „Wir brauchen ganz neue Ideen zu Wirkmechanismen aus der Grundlagenforschung der Universitäten, die wir aufnehmen, fokussieren und prüfen können.“
Ausweislich einer Aufstellung des vfa von November 2021 sind 51 neue Antibiotika und 16 Impfstoffe gegen Bakterien in der Pipeline. Wie viele davon eine Zulassung erreichen, ist Zukunftsmusik.
Für Fachkreise steht jedoch fest, dass die bisherigen Entwicklungsanstrengungen längst noch nicht ausreichen. „Um den Vorsprung gegenüber resistenten Bakterien zu halten, müssten es mehr und vor allem mehr Präparate mit neuartigen Wirkmechanismen sein“, heißt es bei den forschenden Unternehmen.
Industrie schafft Fördertopf
Die Industrie weist auf Strukturprobleme der Entwicklung hin. Um Resistenzen zu vermeiden und wirksame Mittel in der Hinterhand zu behalten, sollen neue Wirkstoffe nur zurückhaltend eingesetzt werden.
Für die Unternehmen bedeute das, dass ihr Produkt kaum eingesetzt und somit auch nicht erstattet werden könne, sagt Steutel. Das Thema benötige mehr Aufmerksamkeit, um zu erreichen, dass in fünf bis zehn Jahren neue Arzneimittel da seien. Voraussetzung sei „unerschütterliches Vertrauen“ in den Patentschutz, mahnte Steutel an.
Unterdessen hat der Internationale Pharmaverband die Initiative ergriffen und mit dem AMR Action Fund ein Investitionsprogramm aufgelegt. Unternehmen mit interessanten Projekten, aber klammem Forschungs- und Entwicklungsetat sollen darüber mit insgesamt einer Milliarde US-Dollar gefördert werden.