Nutzenbewertung
GBA lässt die Katze aus dem Sack
Volle Fahrt voraus: Der GBA will kräftig Geld bei Arzneimitteln sparen - und knöpft sich jetzt den Bestandsmarkt vor. Nun hat das Gremium festgelegt, welche Präparate zuerst unter die Lupe kommen.
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Der GBA hat den Fahrplan für die Nutzenbewertung von umsatzträchtigen Präparaten, die bereits im Markt sind, beschlossen.
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BERLIN. 80 Prozent des voraussichtlichen Gesamtumsatzes einer Leitsubstanz plus 20 Prozent der voraussichtlichen Verordnungsmenge kumuliert auf die Restlaufzeit des Unterlagenschutzes: So lautet die Formel, nach der der GBA patentgeschützte Produkte, die bereits vor Inkrafttreten des AMNOG eingeführt wurden, in eine Rangfolge absteigender Marktbedeutung gestellt hat und jetzt sukzessive zur Nutzenbewertung heranziehen will.
Der Beschluss, wie das im Gesetz verankerte Aufgreifkriterium für den Bestandsmarktaufruf ("Arzneimittel, die für die Versorgung von Bedeutung sind") konkretisiert werden soll, sei im Ausschuss einstimmig gefallen, versicherte der unparteiische GBA-Vorsitzende Josef Hecken am Donnerstag in Berlin.
Das Verfahren sei "transparent, nachvollziehbar und für die Unternehmen vorausberechenbar" – und deshalb seiner Überzeugung nach auch rechtssicher.
Die Methodik in Kürze: Anhand einer Analyse von 188 Arzneimitteln, die zwischen 1986 und 2011 in Verkehr kamen, wurde die typische Umsatz- und Verordnungsentwicklung für jedes Jahr des Produktlebenszyklus' – von der Einführung bis zum Ende des Unterlagenschutzes – ermittelt.
Start im Juli
Diese jährlichen Veränderungsraten dienten dem GBA als Dynamisierungsschema für seine Umsatz- und Verordnungsprognosen des Bestandsmarktes. Man habe bereits den gesamten GKV-Patentmarkt dementsprechend klassifiziert und mehr als 370 Produkte in eine Reihenfolge absteigender Versorgungsrelevanz gestellt.
Wie viele davon um eine Nutzenbewertung herum kommen, weil sie noch vorher generisch werden, sei derzeit nicht abzuschätzen, meinte Hecken.
Der GBA-Vorsitzende kündigte an, die systematische Bestandsmarktbewertung mit sechs Wirkstoffgruppen zu beginnen. Den Startschuss soll Mitte Juli Grünenthals Schmerzmittel Tapentadol machen.
Die nächsten Indikationen ist Osteoporose mit den Wirkstoffen Denosumab, Strontiumranelat, Parathyroidhormon und Teriparatid. Die dritte Gruppe bilden die beiden Gerinnungshemmer Rivaroxaban und Dabigatran mit der gemeinsamen Indikation Schlaganfallprophylaxe bei Vorhofflimmern sowie Prophylaxe tiefer Venenthrombosen.
Die vierte Gruppe bilden die beiden Antidiabetika Liraglutid und Exenatid. Zum Jahresende sollen die Antidepressiva Agomelatin und Duloxetin folgen sowie schließlich die Arthritis-Antikörper Toclizumab, Golimumab und Certolizumab.
Der jeweils erstgenannte Wirkstoff gilt als Leitsubstanz des betreffenden Indikationsgebietes. Die folgenden Wirkstoffe würden unabhängig davon, wie lange ihr Unterlagenschutz noch reicht, aus Gründen der Wettbewerbsgleichheit aufgerufen, heißt es.
Kritik von der Industrie
Hecken kündigte an, ein straffes Zeitmanagement einhalten zu wollen. Spätestens ein halbes Jahr nach dem Aufruf der ersten Wirkstofftranche solle die Bekanntgabe der nächsten folgen – und so weiter.
Das Umsatzpotenzial der jetzt anstehenden insgesamt 14 Wirkstoffe betrage über die gesamte Restlaufzeit ihres Patentschutzes in Deutschland etwa fünf Milliarden Euro. Wieviel davon einzusparen sind, hänge vom Resultat der Nutzenbewertung ab.
Die von der Bundesregierung erhofften jährlichen Milliardenbeträge seien zunächst jedoch illusorisch, so Hecken weiter.
Die betroffenen Unternehmen forderte Hecken ausdrücklich auf, jetzt die Zeit zu nutzen, um mit dem GBA über die zweckmäßige Vergleichstherapie zu verhandeln. Hecken: "Wir sind nicht beratungsresistent."
Kritik übten die Pharmaverbände BAH, BPI, Pro Generika und vfa dennoch am GBA: "Der GBA hatte einen fachlichen Dialog mit der Industrie in Aussicht gestellt, der eine Diskussion der Methodik und des Procedere im Vorfeld des konkreten Aufrufes zum Bestandsmarkt gewährleisten sollte."
Entgegen dieser Zusage sei die Industrie jedoch "an keiner Stelle" beteiligt gewesen, hieß es in einer gemeinsamen Mitteilung.
Die sofortige Anwendung der Methode erschwer die "zugesagte wissenschaftliche Diskussion", so die Kritik. Das Vorgehen des GBA stehe im Widerspruch zu einem "von Partnerschaftlichkeit und Kooperation geprägten Verständnis". (cw)