Koalition und Wissenschaftler
Weitere Rufe nach der Bürger-Pflegeversicherung
Die Ausgaben für die Pflege steigen rasant. Wie soll das Sozialsystem darauf reagieren? Diese Frage treibt Koalition und Wissenschaftler um.
Veröffentlicht:BERLIN. Einen „deutlichen und dringenden Reformbedarf“ in der Finanzierung der Pflege hat der Bremer Gesundheitsökonom Professor Heinz Rothgang ausgemacht.
Von einer „ausgewogenen Lastenverteilung“ zwischen gesetzlich und privat Versicherten könne keine Rede sein. Diese habe das Bundesverfassungsgericht aber bereits vor Jahren gefordert, schreiben Rothgang und sein Ko-Autor Dominik Domhoff in einer von der SPD-nahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie. Diese wurde am Wochenende veröffentlicht.
Als Lösung schlägt Rothgang vor, gesetzliche und private Pflegeversicherung in einer Bürger-Vollversicherung zusammenzuführen und dafür außer den Erwerbseinkommen auch „nennenswerte Einkünfte“ aus Kapitalvermögen, Vermietung und Gewerbebetrieben heranzuziehen.
SPD will Private und Gesetzliche vereinen
In diese Richtung zielen auch Vorschläge des kommissarischen SPD-Parteivorstands vom Wochenende. Demnach sollen die Eigenanteile in der stationären Pflege zunächst abgesenkt und dann eingefroren werden. Steuerzuschüsse und steigende Beiträge („Sockel-Spitze-Tausch“) sollten dies kompensieren.
In einem weiteren Schritt solle dann eine Pflege-Bürgerversicherung eingeführt werden, hat die SPD in einem Positionspapier ausgeführt. Damit ließen sich Eigenanteile vollständig abschaffen.
Einem ungezielten Steuerzuschuss und einer Deckelung der Eigenanteile hat CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß widersprochen. Besser sei eine Lösung, die bei der Länge der Pflegebedürftigkeit ansetze, sagte Krauß am Montag der „Ärzte Zeitung“.
„Wer drei Jahre im Pflegeheim lebt, hat eine weit größere Last zu tragen als derjenige, der nur drei Monate zahlen muss“, sagte Krauß. Der CDU-Politiker sprach sich zudem gegen eine Vollkasko-Versicherung in der Pflege aus.
Sockel-Spitze-Tausch angeregt
Lösungen, wie den von der SPD ins Spiel gebrachte Sockel-Spitze-Tausch, hatte Maag jedoch ausgeschlossen. Sie kritisierte allerdings, dass die Länder ihre Investitionsverpflichtungen in der stationären Pflege nahezu eingestellt hätten. Ausweislich der Rothgang-Studie müssen die Menschen in stationärer und ambulanter Pflege derzeit 8,5 Millionen Euro für die Pflegeleistungen aus eigener Tasche zuzahlen.
Allein 37 Prozent der gut 900.000 Bewohner stationärer Altenpflegeeinrichtungen können die Eigenleistungen nicht mehr aus eigener Kraft stemmen und sind dafür auf Sozialhilfe angewiesen, heißt es aus Länderkreisen.
Für die Verschärfung der Situation ist die Politik der Koalition mitverantwortlich. Allein die Konzertierte Aktion Pflege (KAP) könnte die Eigenanteile an stationären Pflegeleistungen von derzeit im Schnitt rund 700 Euro auf 1000 Euro im Monat steigen lassen, haben die Länder ausgerechnet. Dazu trage jeder Beschluss der Koalition bei, die Personalschlüssel anzuheben oder Lohnanreize zu schaffen.
In der Pflege zeigt sich aus Gerechtigkeitsgründen deutlicher und dringender Reformbedarf.
Professor Heinz Rothgang Universität Bremen