Förderung der Organspende
Gemeinsamer Kraftakt von Medizin und Politik
Für die Transplantationsmediziner ist der Tiefststand bei Organspenden eine „humanitäre Katastrophe“. Die Regierung hat das Problem erkannt – der aktuelle Gesetzentwurf wird von Ärzten und Verbänden als Motivationsschub wahrgenommen.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Schock bei den Transplantationsmedizinern ist immer noch spürbar. Als ihre Fachgesellschaft im Oktober vergangenen Jahres in Bonn zusammenkam, hatte sich bereits angebahnt, was die Zahlen zum Ende des Jahres auswiesen: einen Tiefststand bei den postmortalen Organspendern. Mit bundesweit 797 war die Zahl der Organspender so niedrig wie seit 20 Jahren nicht (siehe nachfolgende Grafik).
Da pro Spender im Durchschnitt etwas mehr als drei transplantable Organe entnommen werden können, erhielten im vergangenen Jahr 1611 weniger Patienten ein postmortales Organ als noch im Jahr 2010 mit 1296 Spendern.
Von einer „humanitären Katastrophe“ in Deutschland sprach Professor Bernhard Banas, Universitätsklinikum Regensburg, bei der Jahrestagung der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) 2018 in Berlin. Es gebe etwa 93.000 Patienten in Deutschland, die wegen terminalen Nierenversagens dialysiert werden müssten, aber nur circa 20.000, die mit einer neuen Niere leben.
„In anderen Ländern wie Österreich, Irland oder Spanien hat die Nierentransplantation die Dialyse als häufigstes und auch effektivstes Nierenersatzverfahren abgelöst“, so der Präsident der DTG. Verglichen mit der Dialyse erhöht die Nierentransplantation langfristig das Überleben.
Im vergangenen Jahr seien allein mehr als 900 Menschen in Deutschland gestorben, während sie auf ein neues Organ warteten: 16 Prozent der gelisteten Patienten insgesamt und 14 Prozent auf der Warteliste für eine Niere. Bei der postmortalen Organspende ist Deutschland derzeit Schlusslicht in Europa.
Zahl möglicher Organspender ist gestiegen
Einen Motivationsschub – das wurde bei der DTG-Tagung deutlich – erhält die Transplantationsmedizin nun durch die Politik. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zügig um.
Im Juni, Spahn war knapp drei Monate im Amt, lud er Vertreter der DTG, der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die die postmortale Organspende koordiniert, und der Patientenverbände ins Bundesgesundheitsministerium, um über Verbesserungsmöglichkeiten zu beraten, darunter eine Gesetzesnovellierung.
Zu diesem Zeitpunkt war gerade eine umfassende Untersuchung mehrerer Universitätskliniken und der DSO in Publikation zur Frage, welche Ursachen der seit 2011 beobachtete, anhaltende Rückgang der Organspende in Deutschland hat.
Der deutschlandweiten Analyse von mehr als 112 Millionen vollstationären Behandlungsfällen zu Folge hatte die Zahl möglicher Organspender zwischen 2010 und 2015 um fast 14 Prozent zugenommen.
Der Grund: Es gab mehr Todesfälle durch schwere irreversible Hirnschädigung und mehr Beatmungstherapien. Zugleich nahm der Anteil der gemeldeten, möglichen Organspender deutlich ab, mit großen Unterschieden zwischen den Krankenhäusern (siehe nachfolgende Grafik).
Hauptursache für den Rückgang seien ein Erkennungs- und ein Meldedefizit möglicher Spender in den Kliniken, so die Studie. Eine veränderte Einstellung der Bevölkerung mit Ablehnung der Organspende habe dabei untergeordnete Bedeutung.
Wären alle potenziellen Organspender konsequent gemeldet worden, hätte sich eine Rate von mehr als 33 Spendern pro Million Einwohner realisieren lassen, so ein Fazit der Autoren.
„Es gibt Einflussfaktoren auf die Organspende, die sich mit den Methoden der Studie nicht vollkommen erfassen lassen“, sagte Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO, der „Ärzte Zeitung“.
„Aber konservativ geschätzt wären derzeit 16 bis 20 Organspender pro eine Million Einwohner möglich.“ Tatsächlich liegt die Rate bei etwa zehn Spendern je eine Million Einwohner (siehe nachfolgende Grafik).
Novelle könnte im April 2019 in Kraft treten
Im Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geht es denn auch ausschließlich darum, Strukturen und Kooperation in den Kliniken zu verbessern, um die Spenderzahlen zu erhöhen, nicht um Aufklärung oder Entscheidungen der Bevölkerung.
Lasse sich der aktuelle Zeitplan umsetzen, könnte die Novellierung im April 2019 in Kraft treten, erläuterte Susanne Wald, Abteilungsleiterin im BMG. Mitte Dezember soll der Entwurf im Bundesrat beraten werden, eine Zustimmung der Kammer ist nicht erforderlich. Mitte Januar könnte der Bundestag die Neuregelungen verabschieden.
Die Eckpunkte: Eine angemessene Vergütung für alle Prozesse rund um die Organspende „ohne dass wir finanzielle Anreize schaffen“, betonte Wald.
Bundeseinheitlich soll nun geregelt werden, nach welchem Schlüssel Ärzte für eine Funktion als Transplantationsbeauftragte freizustellen sind und wann sie kontaktiert werden müssen: Nämlich bereits dann, wenn ein Patient aus medizinischer Sicht als Organspender in Betracht kommt, auch ohne dass der Hirntod festgestellt wäre.
Für die Hirntoddiagnostik soll flächendeckend ein neurologischer konsiliarärztlicher Bereitschaftsdienst eingerichtet werden für Kliniken, die Unterstützung benötigen.
Derzeit unterstützt die DSO Kliniken häufig bei der Suche nach Konsiliarärzten. Vor allem an den Wochenenden oder am Abend sei es schwierig, Ärzte zu finden, die qualifiziert und bereit seien, an einer externen Hirntoddiagnostik mitzuwirken, berichtet Dr. Thomas Breidenbach, geschäftsführender Arzt der DSO-Region Bayern.
In Einzelfällen hätten Ärzte für die Hirntoddiagnostik hunderte Kilometer weit anreisen müssen, weil in der Nähe niemand zu finden war. Insgesamt loben DSO, DTG und Bundesärztekammer den Gesetzentwurf.
Qualifikation ist nicht im Entwurf geregelt
Was noch fehle, seien einheitliche Anforderungen an die Ausbildung und Qualifikation von Transplantationsbeauftragten und Kriterien für qualifizierte Angehörigengespräche, sagte Breidenbach bei der DTG-Tagung.
Auch müssten Mitarbeiter von Intensivstationen und Notaufnahme regelmäßig geschult werden. Um die praktische Umsetzung der Gesetzesnovellierung zu unterstützen, wird derzeit ein Initiativplan Organspende mit beteiligten Verbänden und Organisationen erarbeitet, unter Federführung der DSO.
Aber auch das Thema „Widerspruchslösung“ soll im kommenden Frühjahr im Bundestag beraten werden. Ende November, sagte Wald, gebe es dort eine erste „orientierende Debatte“.
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