Erfolg nach sechs Jahren
Gesundes Kinzigtal ist gesünder
Eine neue Studie straft die Kritiker der IV-Verträge Lügen: Sechs Jahre nach dem Start des "Gesunden Kinzigtals" zeigt das Projekt seine Wirkung: eine niedrigere Sterberate und geringere Kosten. Allerdings haben die Initiatoren mehr Zeit gebraucht als gedacht.
Veröffentlicht:HAMBURG. Lange Zeit waren es nur Glaube und Hoffnung, jetzt ist es wohl nachgewiesene Realität: Integrierte bevölkerungsbezogene Gesundheitsversorgung hat einen signifikanten Effekt auf die Mortalität von Versicherten, die an solchen Projekten teilnehmen - und die Betroffenen sind damit auch durchweg zufrieden.
Starke Indizien weisen zudem auch auf Effizienzgewinne hin. Das sind im Kern die Ergebnisse des jüngsten Evaluationsberichts für das IV-Projekt "Gesundes Kinzigtal".
Die politische Botschaft daraus ist, so resümiert Helmut Hildebrandt von der Management-Gesellschaft OptiMedis AG, dass der harte Nachweis von Effekten auf harte medizinische Endpunkte "sehr viel Geduld erfordert".
Auch wenn für Krankenkassen schon im ersten Jahr gewisse Erfolge sichtbar werden - etwa verringerte Hospitalisierungsraten - dauere es relativ lang, bis versorgungswissenschaftlich gesicherte Daten zum Nachweis des Erfolgs vorliegen.
Die sind nun aber für das "Gesunde Kinzigtal" aufgrund einer breit angelegten Vergleichsstudie mit zwei Populationen - Teilnehmer und Nicht-Teilnehmer - mit jeweils 4596 Probanden gegeben.
Das härteste Kriterium in der Medizin ist die Mortalität. Hier ist nun nachgewiesen, dass in den ersten zwei Jahren nach Einschreibung in die Integrationsversorgung die Sterblichkeits-Wahrscheinlichkeit bei 1,76 Prozent liegt; in der Kontrollgruppe ist sie mit 3,74 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Selbst wenn man unterstellt, dass Ärzte moribunde Patienten nicht in die IV einschließen und diesen Effekt herausrechnet, bleibt die Sterbewahrscheinlichkeit mit 1,58 Prozent bei eingeschriebenen Versicherten deutlich unter der der Vergleichsgruppe mit 2,94 Prozent.
Interesse aus dem Ausland
Ab dem achten Folgequartal sind die Unterschiede nicht mehr signifikant. Dies kann damit erklärt werden, dass Ärzte bei der Einschreibung eine Art negative Selektion vornehmen, also überdurchschnittlich morbide Patienten in die Integrationsversorgung aufnehmen.
Ein weiteres Ergebnis ist: Integrationsversorgung ist auf keinen Fall teurer als der Standard. Im Vergleich zur Normalversorgung ist die Integrationsversorgung sogar um 151 Euro pro Kopf und Jahr günstiger. Allerdings ist dieser Unterschied nicht signifikant.
Der dritte Aspekt der Evaluation zielte auf die Akzeptanz des Versorgungsmodells bei den Betroffenen. Gemessen wurde dies anhand der Kassenwechsler. Deren Anteil lag bei den eingeschriebenen Versicherten bei 2,8 Prozent, in der Kontrollgruppe jedoch bei 4,4 Prozent.
Somit liegen nun wichtige gesicherte Erkenntnisse über den Wert der Integrationsversorgung vor - sechs Jahre nach dem Start. "So viel Zeitbedarf haben wir selbst unterschätzt", gesteht Helmut Hildebrandt von OptiMedis.
Aus diesem Grund sollten solche Versorgungsverträge nach Möglichkeit über zehn Jahre laufen. Und die Politik müsse mit Innovationen im Gesundheitswesen Geduld haben.
Die Evaluationsergebnisse sind für Hildebrandt aber auch die Grundlage, das Modell Kinzigtal auf andere Regionen zu übertragen. Die Realisierung mit Ärztenetzen und Kliniken soll im nächsten Jahr beginnen.
2015, so schätzt Hildebrandt, könnten etwa 300.000 Versicherte an einer solchen Versorgung teilnehmen. Das wären dann zehnmal so viele wie in dem Schwarzwaldtal.
Überdies findet das Modell auch Interesse im Ausland: Hildebrandt hat Partner in Holland gefunden, die das Kinzigtal als Blaupause importieren möchten.
Gesundes Kinzigtal
Der Vertrag zur Integrierten Versorgung "Gesundes Kinzigtal" wurde 2006 mit der AOK und 2007 mit der LKK Baden-Württemberg geschlossen. Die Laufzeit beträgt mindestens neun Jahre.
Vereinbart wurde, dass Gesundes Kinzigtal die ökonomische und medizinische Mitverantwortung für alle Indikationen und Leistungsbereiche mit Ausnahme der Zahnmedizin für 31.000 Versicherte der beiden Kassen übernimmt. Die Freiheit der Arztwahl und des Krankenhauses bleibt für die eingeschriebenen Versicherten erhalten.
"Gesundes Kinzigtal organisiert Versorgungsprozesse über verschiedene Sektoren hinweg, verändert die Behandlungskultur zusammen mit Leistungspartnern hin zu einer stärkeren Beteiligung der Patienten mit Zielvereinbarungen, nutzt intensiv Disease-Management-Programme und bietet Präventionsprogramme an. Das Projekt wird kontinuierlich evaluiert, extern durch die Abteilung für Medizinische Soziologie der Universität Freiburg.
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die zähen Idealisten