Porträt

Gesundheitsamt-Leiterin Pruskil: ÖGD statt eigene Praxis

Dr. Susanne Pruskil leitet das Gesundheitsamt Hamburg-Altona. Zudem ist sie Vorsitzende der neu gegründeten Deutschen Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen. Bei ihrer Vita fällt auf, dass einiges anders gelaufen ist als bei klassischen Medizinerkarrieren. Einblicke in einen ungewöhnlichen Werdegang.

Von Dirk Schnack Veröffentlicht:
Dr. Susanne Pruskil im Gesundheitsamt Hamburg-Altona

Dr. Susanne Pruskil im Gesundheitsamt Hamburg-Altona, das sie seit 2019 leitet.

© Dirk Schnack

Hamburg. Was macht einen guten Arzt aus? Welche Aufgabe haben Mediziner? Nicht jede berufstätige Ärztin und nicht jeder Arzt hätte aus dem Stegreif eine Antwort parat. Dr. Susanne Pruskil hat sich diese Fragen früh gestellt, noch während ihres Studiums in Berlin. Sie studierte dort, als der damalige Reformstudiengang Medizin startete und beschäftigte sich auch deshalb mit Themen, die neben dem geballten Medizin-Wissen vermittelt wurden.

„Diese Zeit hat mich sehr geprägt“, sagt die in Tübingen aufgewachsene Pruskil heute. Wenn sie von ihrem Werdegang berichtet, fällt auf: Einiges ist anders gelaufen als bei klassischen Medizinerkarrieren. Inzwischen ist Pruskil Leiterin des Gesundheitsamtes Hamburg-Altona. Dort ist sie verantwortlich für zahlreiche Aufgaben, die von rund 180 Menschen aus unterschiedlichen Berufen erfüllt werden. Ihr Amt hat die Federführung für die insgesamt sieben Gesundheitsämter in ganz Hamburg für alle Fragen des ÖGD.

Pruskil blickt gerne über den Tellerrand

Seit Mai ist die Fachärztin für Allgemeinmedizin und Öffentliches Gesundheitswesen außerdem die Vorsitzende der neu gegründeten Deutschen Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen (DGÖG), der wissenschaftlichen Fachgesellschaft des Berufsverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Die neue Gesellschaft versteht sich als Plattform für den fachlich kollegialen Austausch nicht nur für Mediziner und Medizinstudenten, sondern für alle im ÖGD Tätigen.

Mit Pruskil steht eine Frau an der Spitze der neuen Gesellschaft, die Wert auf eine wissenschaftliche Basis für ihr Handeln legt, die gerne über den Tellerrand hinaus blickt, den Austausch sucht und neue Herausforderungen nicht scheut. Anders wäre sie mit den zahlreichen Krisen, mit denen sie seit Beginn ihrer beruflichen Tätigkeit konfrontiert war, kaum zurechtgekommen und anders hätte sie trotz der Belastung keine so hohe Zufriedenheit bei der Arbeit entwickeln können. Das galt schon als Ärztin im Praktikum, als sie mit Themen wie HIV, Gefahrenlagen und neuen Krankheiten durch Migration in Berührung kam. Ebenso in ihrer Weiterbildung, in der neue Krisen wie etwa die Schweinegrippe zu bewältigen waren, und die sie an zahlreiche Stellen in Arztpraxen und Kliniken führte und ihr vielfältige Einblicke im In- und Ausland gab.

Voraussetzung: Arbeiten im Team

Diese vielen unterschiedlichen, insbesondere die allgemeinmedizinischen Stationen halfen bei der Entwicklung zusätzlicher kommunikativer und sozialer Kompetenzen. „Nur für ein Organ allein konnte ich mich nie begeistern. Aber eine Praxis für Allgemeinmedizin hätte ich mir gut vorstellen können“, erinnert sich Pruskil. Voraussetzung für sie: Arbeiten im Team, eine Einzelpraxis wäre nicht in Frage gekommen.

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Dass es anders kam, lag unter anderem an einer einjährigen Auszeit von der Weiterbildung, als sie in London ein einjähriges Public-Health-Studium absolvierte. Mutter war sie damals schon, ihr zweites Kind kam kurz nach dem Master, dann absolvierte sie den Rest ihrer Weiterbildung und meldete sich in der Wartezeit auf die Prüfung im Jahr 2015 für die Arbeit in der Flüchtlingshilfe beim Gesundheitsamt in Hamburg-Altona. Die Arbeit beim ÖGD entpuppte sich als vielfältig und sie konnte hier zahlreiche Erfahrungen aus früheren beruflichen Stationen einbringen. ÖGD statt Praxis passte für Pruskil auch, weil dabei Aspekte von Public Health und Primärversorgung eine Rolle spielen.

Abstimmung mit zahlreichen Akteuren

Zunächst war sie als Ärztin in der Erstuntersuchung von unbegleiteten Minderjährigen eingesetzt und erhielt nach ihrer Prüfung zur Fachärztin eine Festanstellung im Gesundheitsamt Altona – mitten in der heißen Phase des Zustroms zahlreicher Menschen aus Krisengebieten. Sie übernahm die vom damaligen Amtsleiter Dr. Johannes Nießen aufgebaute Abteilung „Medizinische Versorgung Flüchtlinge“, richtete Sprechzeiten in den Flüchtlingsunterkünften ein, als der Andrang die Routineversorgung überstieg. Gefragt waren nicht nur schnelles Handeln und der Aufbau neuer Strukturen, sondern auch die Abstimmung mit zahlreichen Akteuren in der Behörde und in der Versorgung. Dann die Überführung neuer Strukturen in die Regelversorgung, immer in Abstimmung mit den Akteuren in der ambulanten Versorgung in Hamburg. Leitlinien für ihr Handeln gab es nicht.

Pruskils Aufgabe hatte den Vorteil, dass sie darüber alle Aufgaben des ÖGD kennenlernte und zugleich mit Akteuren in Politik und Verwaltung in Berührung kam. Die Rolle des ÖGD rückte in diesen Jahren nicht so stark in den Fokus wie später in der Pandemie. Wohl auch, weil er funktionierte: Neben der zusätzlichen Arbeit für Flüchtlinge wurden die Routine-Aufgaben für die Hamburger Bevölkerung weiter erledigt. Was die Öffentlichkeit als funktionierend wahrnahm, war für Pruskil und ihre Kolleginnen und Kollegen aber oft ein Spagat und Abwägen, wo knappe Ressourcen eingesetzt werden.

Umsetzung des ÖGD-Paktes

Intern wurden Pruskils Leistungen nicht nur wahrgenommen, sondern belohnt: Als Nießen 2019 von Hamburg ins größte deutsche Gesundheitsamt nach Köln wechselte, rückte sie in die Leitung des Gesundheitsamtes Altona nach. Und hatte kurz darauf mit der Pandemie eine noch größere Herausforderung vor sich, die dann auch deutlich mehr Fokus auf den ÖGD lenkte. Pruskil war besonders gefordert, weil das Gesundheitsamt Altona die Federführung für alle sieben Hamburger Gesundheitsämter innehat und sie deshalb in einem intensiveren Kontakt mit der Behörde stand. Wenige Monate nach Ausbruch der Pandemie wurde in Hamburg zudem entschieden, die bis dahin eigenständige Gesundheitsbehörde unter dem Dach der Sozialbehörde einzugliedern – mit allen daraus resultierenden Umstellungen auch für die Ansprechpartner in den Gesundheitsämtern.

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„Im ÖGD arbeitet man in einem Spannungsfeld aus Verwaltungsstrukturen, in die man eingebettet ist, aus freiberuflicher Tätigkeit und der Politik. Das ist spannend, aber herausfordernd“, beschreibt Pruskil ihre Tätigkeit. Das gilt auch nach der Pandemie. „Jetzt ist es anders turbulent, nur ohne die permanenten Lagebesprechungen“, sagt sie. Intensiv beschäftigt ist sie etwa mit der Umsetzung des ÖGD-Paktes. Mehr Stellen und mehr Digitalisierung sieht der Pakt vor und jedes Gesundheitsamt in Deutschland versucht derzeit, die zur Verfügung gestellten Mittel so einzusetzen, dass die Arbeit künftig erleichtert wird. Damit könnten die Gestaltungsmöglichkeiten für die Gesundheitsämter noch einmal steigen, hofft Pruskil. Speziell in Sachen Gesundheitsplanung, Prävention und Gesundheitsförderung würde sie das Angebot des ÖGD noch stärken. Das Problem aus ihrer Sicht: „Man sieht erst mit zeitlicher Verzögerung, was das bringt.“ Um Verhaltensänderungen zu erzielen, seien oft Zeiträume erforderlich, die die Länge von Legislaturperioden überschreiten.

Auch das Bewusstsein unter den Kolleginnen und Kollegen in Praxen und Kliniken über das, was der ÖGD leistet, könnte nach ihrer Wahrnehmung noch gestärkt werden. Das gleiche gilt für die breite Öffentlichkeit: „Ich glaube nicht, dass viele Menschen wissen, was wir eigentlich machen.“ Ändern wird sich das womöglich auch nur langfristig. Dafür müsste der ÖGD aus ihrer Sicht an vielen Stellen stärker flankiert werden, etwa durch Repräsentanz des Faches an den Universitäten – oder durch die neue wissenschaftliche Fachgesellschaft.

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