Debatte im Bundestag

Gratwanderung beim Pränataltest

Wie weit soll man mit Gen-Untersuchungen zur Gesundheit ungeborener Kinder in Deutschland gehen? Ein Pränataltest auf das Down-Syndrom hat am Donnerstag den Bundestag beschäftigt. Im Hintergrund schien aber bereits die große gesellschaftliche Debatte über die Gentechnik auf.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Ein Schild, aufgenommen bei einer Demonstration anlässlich der heutigen Bundestagsdebatte über Bluttests für Schwangere.

Ein Schild, aufgenommen bei einer Demonstration anlässlich der heutigen Bundestagsdebatte über Bluttests für Schwangere.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa (Archivbild)

BERLIN. Der Bundestag hat am Donnerstag in einer offenen Grundsatzdebatte über Bluttests vor der Geburt etwa auf ein Down-Syndrom des Kindes debattiert. Hintergrund ist ein laufendes Verfahren im Gemeinsamen Bundesausschuss.

 Dessen Unparteiischer Vorsitzender Professor Josef Hecken hatte auf die weit über ein normales Erstattungsverfahren hinausreichende ethische Dimension von nichtinvasiven Bluttests bei der Mutter hingewiesen. Ausweislich eines Gutachtens sind die Tests zu mehr als 99 Prozent aussagekräftig.

Seit 2012 ist der Test verfügbar

Mehr als 30 Abgeordnete kamen in der auf zwei Stunden angesetzten Debatte zu Wort. Die Beiträge zeigten, dass eine Mehrheit die nichtinvasive Pränataldiagnostik auf das Downsyndrom als Kassenleistung akzeptieren würde – auch um finanziell schwächer gestellte Frauen von den offensichtlichen Vorteilen des Tests nicht auszuschließen.

Allerdings machte ebenfalls eine Mehrheit die Einschränkung, dass die seit 2012 an Privatzahler vertriebenen Tests nicht als Screening angeboten werden sollten. Lediglich Risikogruppen sollten nach eingehender Beratung getestet werden. Das sind Frauen über 35 Jahre.

Klar wurde auch, dass das Parlament erst am Anfang einer größeren ethischen Auseinandersetzung mit dem Thema pränatale Diagnostik steht. „Wir werden Tests für jede erdenkliche genetische Erkrankung bekommen“, sagte SPD-Fraktionsvize Professor Karl Lauterbach.

Auf Kassenkosten?

Soll der nicht invasive Test auf Downsyndrom Kassenleistung werden?, lautete eine in den zwei Stunden immer wieder gestellte Frage. Tatsächlich würde sich mit der nichtinvasiven Methode nur das Verfahren ändern. Im Augenblick wird eine Art von Reihenuntersuchung per Ultraschall angeboten.

Ist der Befund auffällig, bekommen Frauen seit 1985 die Möglichkeit, invasive vorgeburtliche Tests wie die Punktur der Fruchtblase als Kassenleistung in Anspruch zu nehmen. Das Risiko von falsch-positiven Diagnosen dabei sei allerdings hoch. Bei 20 dieser Nachprüfungen finde sich nur ein Fall von Downsyndrom.

„Wie kann es sein, dass der gefährliche Bluttest von den Kassen bezahlt wird, der risikoärmere jedoch nicht“, wies die FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus auf die ethische Dimension der Auseinandersetzung mit dem Thema hin.

Das Recht, nicht zu wissen

Dazu gehört auch das Recht auf Nichtwissen. „Es gibt Menschen, die dankbar sind, dass sie nichts gewusst haben und auch nichts wissen mussten“, warnte die Grünen-Abgeordnete Cornelia Rüffer davor, werdenden Eltern mit einem leichten Zugang zu zuverlässigen Tests eine Art Zwang zur Pränataldiagnostik aufzuerlegen.

Ihre Fraktionskollegin, die Ärztin Dr. Kirsten Kappert-Gonther nannte das Beispiel Island, wo praktisch keine Menschen mit Down-Syndrom geboren würden, weil die Tests dort flächendeckend angeboten würden. Petra Sitte (Linke) warb dafür, Selektion keine Chance zu geben. Es gebe die Befürchtung, dass es weniger Down-Syndromkinder geben könnte. Mehr Inklusion könne gegensteuern.

Sehr viele der auf drei Minuten Redezeit begrenzten Beiträge, die Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble rigoros durchsetzte, befassten sich auch mit der Beratung der Schwangeren. Es gebe große Beratungsdefizite, im psychosozialen Bereich.

Um diese Lücke zu schließen, solle die Psychosoziale Beratung gemeinsam mit der Nichtinvasiven Pränataldiagnostik ebenfalls Kassenleistung werden. Bei positiven Befunden solle eine Beratung „ergebnisoffen“ stattfinden. So steht es übrigens auch schon in einem Beschlussentwurf aus dem GBA.

Regelungen zur Pränataldiagnostik im Ausland

  • Die Schweiz ist Mitte 2015 das erste europäische Land gewesen, das Risikoschwangeren im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsversorgung Zugang zu nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) angeboten hat. Seit dem Beginn der Kostenübernahme hat sich der Anteil der Schwangeren, die testen lassen, von 9 auf 23 Prozent erhöht. Der Anteil der Abbrüche nach der 17. Woche hat durch die NIPT nicht zugenommen.
  • Dänemark ist das erste Land gewesen, das ein kostenfreies Pränatalscreening auf Trisomie 21 eingeführt hat. Mehr als 90 Prozent der Schwangeren nutzen den Test. Seit 2004 liegt die Zahl der Lebendgeburten mit Down-Syndrom zwischen 23 und 35 – bei 61.600 Lebendgeburten. Über 93 Prozent der Schwangeren entscheiden sich nach der Diagnose einer Trisomie 21 für einen Abbruch. Die Pränataldiagnostik gilt als gesellschaftlich breit akzeptiert.
  • In den Niederlanden ist das Ersttrimesterscreening seit dem Jahr 2004 für Schwangere ab 36 Jahren kostenfrei. Nur etwa jede Dritte nimmt dieses Angebot wahr. Bis zu einem Drittel der Schwangeren verzichtet gänzlich auf Pränataldiagnostik. Obwohl Abbrüche auch ohne fetalen Befund bis zur 22. Woche möglich sind, sind die Abbruchquoten niedrig – auch wegen umfassender Aufklärung. (fst, Quelle: TAB-Bericht)

Grenzziehungen müssen medizinisch rational sein

Professor Claudia Schmidtke, CDU

Professor Claudia Schmidtke, CDU

© Jan Kopetzky / CDU

Ethische Fragestellungen sind komplex. Die nichtinvasiven Bluttests, über die wir heute sprechen, werden bereits angewendet. Kein Gesetz einer globalisierten, digitalen Welt kann sie wieder vom Markt nehmen.

Es gibt zudem die Erkenntnis, dass die seit Jahrzehnten solidarisch finanzierten Alternativen wie die Punktion der Fruchtblase mit Risiken für das Leben des ungeborenen Kindes einhergehen.

Wenn wir der nichtinvasiven Diagnostik andere Grenzen ziehen als der riskanteren Diagnostik, wäre das weder rational noch ethisch und medizinisch zu erklären.

Entscheidungen, die Leben tatsächlich verändern

Pascal Kober, FDP

Pascal Kober, FDP

© Kay Nietfeld / dpa

Es war ein Anstoß von außen, der diese Debatte veranlasst hat. Wir als Abgeordnete sollten uns daher dringend Gedanken darüber machen, wie wir in Zukunft den medizinischen und biologischen Fortschritt im Bundestag institutionalisiert und regelmäßig debattieren.

Noch nie hat eine politische Generation vor uns vor der großen Verantwortung gestanden, Entscheidungen zu treffen, die möglicherweise nachhaltig und für immer menschliches Leben tatsächlich verändern werden. Wir müssen deshalb regelmäßig Berichte über das biologisch und medizinisch Mögliche einfordern.

Die Ärzte beraten unter dem Druck von Gerichtsurteilen

Rudolf Henke, CDU

Rudolf Henke, CDU

© Sebastian Kahnert / dpa

Die Fortschritte in der Diagnose zwingen uns als Gesellschaft dazu, die Frage zu beantworten, wie wir mit den dadurch erzeugten Erkenntnissen umgehen.

Und dazu brauchen wir ein anderes Konzept der Beratung als das, was wir heute finden.

Nach dem Gendiagnostiktest müssen Schwangere vor und nach einem Test beraten werden. Die Ärzte tun das unter dem Druck von Urteilen, in denen sie für die Zwischenfinanzierungskosten für einen behindertengerechten Neubau aufkommen sollen, wenn sie falsch beraten haben. Das müssen wir ändern – für das Lebensrecht aller.

Ich fürchte den Schritt in die eugenische Gesellschaft

Stephan Pilsinger, CSU

Stephan Pilsinger, CSU

© Tobias Koch

Ich bin als Parlamentarier gegen die Einführung des Bluttests für Schwangere als generelle Kassenleistung.

Ich plädiere dafür, dass dieser Gentest nur bei Risikoschwangerschaften übernommen wird. Er bietet keine absolute Gewissheit, ob ein Kind überhaupt gesund oder krank ist. Aber genau diese Erwartung weckt dieser Test.

Ich befürchte einen Schritt Richtung eugenische Gesellschaft. Hier wird der Mensch auf eine genetische Veranlagung reduziert, bewertet und eventuell verworfen. Eine eugenische und diskriminierende Gesellschaft müssen wir verhindern.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Sieben Jahre zu spät

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