Nicht gegen die Länder

Gröhe schwächt Impfpflicht-Drohung ab

Die Masern-Welle rollt unaufhaltsam weiter. Angesichts der hohen Infektionszahlen droht Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) mit einem möglichen Impfzwang. Die Ärzte sind dafür, Politiker geteilter Meinung.

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Für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sollte eine Impfpflicht in Deutschland kein Tabu mehr sein.

Für Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe sollte eine Impfpflicht in Deutschland kein Tabu mehr sein.

© Lukas Schulze / dpa

BERLIN. Der Bund will mit den Ländern über eine Impfpflicht bei Masern diskutieren. So lautet die offizielle Interpretation der Äußerungen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vom Wochenende.

Gröhe hatte angedeutet, ein Impfzwang dürfe kein Tabu sein, das aber insofern relativiert, dass Konsequenzen aus einer Impfverweigerung mit den Ländern diskutiert werden müssten.

"Was technisch und rechtlich möglich ist, muss mit den Ländern abgestimmt werden", hieß es auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" dazu am Montag aus dem Gesundheitsministerium.

Dies soll bei den Abstimmungen zum Präventionsgesetz geschehen, das in den parlamentarischen Beratungen steht. Im Gesetz ist eine verpflichtende Impfberatung vor dem Besuch einer Kindertagesstätte vorgesehen.

Auch soll bei jeder Untersuchung der Impfstatus abgefragt werden. Eigentlich soll das Gesetz nach Auffassung des Bundes nicht zustimmungspflichtig sein.

In der verfassten Ärzteschaft ist das Meinungsbild eindeutig. Der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Frank Ulrich Montgomery hatte sich frühzeitig für eine Impfpflicht ausgesprochen.

Die vorgesehene Beratung sei nicht ausreichend. Es gebe die epochale Chance, die Masern auszurotten.

Die stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Regina Feldmann, hatte ebenfalls für eine Impfpflicht plädiert, "um die Menschen zu schützen".

"Wer sein Kind nicht impfen lässt, bringt es in Gefahr"

Darauf hob auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn ab. "Wer sein Kind nicht impfen lässt, bringt es und andere Kinder in Gefahr", sagte Spahn.

Die anhaltende Masern-Welle in Berlin sei das beste Beispiel. Zwei Drittel der Deutschen seien für eine Pflicht zur Impfung, sagte Spahn.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Hilde Mattheis, hält die geltende Rechtslage für ausreichend. Die Länder könnten schon heute eine Impfpflicht auf Zeit anordnen, wenn eine Epidemie drohe.

"Wir haben keinen neuen Sachverhalt, sondern ein Umsetzungsproblem", sagte Mattheis am Montag der "Ärzte Zeitung". Wenn der Bund von sich aus tätig werden wolle, brauche er dafür die Zustimmung der Länder.

"Impfen fördern, nicht erzwingen" hat die Fraktion der Linken über ihre Impfpolitik geschrieben. Zwangseingriffe in die körperliche Integrität seien ethisch und verfassungsrechtlich problematisch, heißt es in einem aktuellen Positionspapier.

Die größte Oppositionsfraktion plädiert daher für mehr Information, den Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes, aber auch, falls nötig, für lokale Sperrungen von Kitas für ungeimpfte Kinder.

"Anstatt die Selbstbestimmung der Bürger mit Füßen zu treten, sollte die große Koalition unverzüglich mehr Geld für die Impfberatung zur Verfügung stellen", sagte die Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink der "Ärzte Zeitung".

Geradezu fahrlässig habe sie die Gelder für Aufklärungskampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung um eine Million Euro im laufenden Haushalt gekürzt.

Der Öffentliche Gesundheitsdienst, der für eine wirksame Impfaufklärung prädestiniert sei, um Lücken in Kitas, Schulen oder Flüchtlingseinrichtungen zu schließen, sei ausgezehrt.

Nicht impfen sei verantwortungslos

Am Wochenende hatte Gröhe angesichts der nach wie vor hohen Zahl an Masern-Erkrankungen Verweigerern mit einem Impfzwang gedroht.

Nicht impfen sei verantwortungslos, sagte Gröhe der Deutschen Presse-Agentur und dem NDR. "Wir müssen auch der Panikmache einiger Impfgegner entgegentreten".

Der CDU-Politiker erläuterte: "Wer ohne medizinische Notwendigkeit seinem Kind den Impfschutz verweigert, schadet nicht nur diesem Kind, sondern auch Kindern, die etwa zu klein sind, um geimpft zu werden, oder Kindern, die tatsächlich aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können."

Gröhes Vorstoß stieß in Bayern auf Zustimmung. Der Freistaat setze zwar vor allem auf Beratung und Aufklärung, um die Menschen zur Impfung zu bewegen, sagte Gesundheitsministerin Melanie Huml.

"Falls dies aber nicht ausreicht, darf die Möglichkeit einer Impfpflicht bei Masern nicht ausgeschlossen werden. Denn es geht auch um das Wohl der Allgemeinheit."

Gröhe machte deutlich, diese Krankheit sei unnötig, weil es einen wirksamen Impfschutz gebe. Um die Impfquote zu steigern, sei im Präventionsgesetz vorgesehen, die Beratung vor dem Besuch einer Kindertagesstätte (Kita) verpflichtend festzulegen.

Auch solle bei jeder Jugend- oder Erwachsenenuntersuchung der Impfstatus abgefragt werden. Welche Konsequenzen bei einer Impfverweigerung zu ziehen seien, müsse auch mit den Ländern erörtert werden, damit diese dort auch Regelungen in ihren Kindergartengesetzen umsetzen könnten.

RKI-Präsident gegen dauerhafte Impfpflicht

Gegen eine dauerhafte Impfpflicht hat sich der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Professor Lothar Wieler, ausgesprochen.

"Es kann Situationen geben, in denen man zeitlich und räumlich beschränkt über so etwas nachdenkt", sagte Wieler den Dortmunder "Ruhr Nachrichten".

Langfristig sei es sinnvoller, zu freiwilligen Impfungen zu animieren. "Wir müssen die Menschen zum Impfen motivieren und aktiver auf die Bevölkerung zugehen, vor allem auf die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ja eher selten zum Arzt gehen."

Vor allem bei jungen Erwachsenen habe Deutschland ungenügende Masern-Impfquoten.

"Wir erreichen bei Weitem nicht die Ziele der Weltgesundheitsorganisation WHO", sagte Wieler.

"In Deutschland gab es im letzten Jahr 20 Mal so viele Neuinfektionen, wie bei den Plänen für eine schrittweise Ausrottung der Krankheit vorgesehen."

Kein Ende der Welle absehbar

Rund ein halbes Jahr nach dem Masern-Ausbruch in Berlin ist noch kein Ende absehbar. Seit Oktober wurden dort mehr als 1000 Fälle gemeldet.

Mindestens 80 Fälle wurden in Thüringen, hier insbesondere in Erfurt, registriert, 75 in Bayern.

In Berlin wurden den Behörden zufolge mindestens 330 Kinder zeitweilig von Kitas und Schulen ausgeschlossen.

Auch in anderen Ländern beschäftigen Masern-Ausbrüche die Politik. Australien plant einem Medienbericht zufolge, jenen Eltern, die ihre Kinder nicht impfen lassen, Sozialleistungen zu entziehen.

Laut "Sydney Morning Herald" will Sozialminister Scott Morrison die Regeln etwa für Steuervergünstigungen und Hilfen zur Kindesbetreuung verschärfen.

Wer solche Hilfen suche, dürfe nicht länger Einwände gegen Impfungen aus Gewissensgründen vorbringen.

Dem Bericht zufolge reichten Eltern Zehntausender Kindern solche Einwände ein, aus persönlichen, philosophischen, religiösen oder medizinischen Gründen.

Auch in Australien haben Ausbrüche von Masern, Keuchhusten und anderer vermeidbarer Erkrankungen eine Impfdebatte entfacht. (af/dpa)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kommentar: Impfstrategie ist besser als Impfpflicht

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