Schwangerschaft und Frauengesundheit
IVF-Urteil versetzt US-Ärzte in Angst
Das Oberste Gericht in Alabama sieht extrauterine Embryonen als schützenswerte Kinder an: Viele Ärzte haben deshalb IVF-Behandlungen eingestellt, um sich nicht strafbar zu machen. Die Biden-Regierung reagiert empört – und auch Donald Trump stößt ins gleiche Horn.
Veröffentlicht: | aktualisiert:Birmingham, Alabama. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs des US-Bundesstaates Alabama zur In–vitro–Fertilisation (IVF) schlägt immer höhere Wellen – solch hohe, dass die Regierung von Präsident Joe Biden (Demokrat) seinen Gesundheitsminister Xavier Becerra (ebenfalls Demokrat) diese Woche in den Staat schickte. Becerra sprach mit Reproduktionsmedizinern und betroffenen Paaren, die mittels IVF ihren Kinderwunsch erfüllen wollen. In einem Post auf X/ Twitter sprach er von „herzzerreißenden“ Geschichten, die er gehört habe, und davon, dass Ärzte und Patienten Angst vor rechtlichen Konsequenzen im Zuge einer IVF-Behandlung hätten.
Across Alabama, families seeking fertility care don’t know what to do or where to turn. Doctors and patients are afraid of prosecution. Families in other states worry they'll be next.
— Secretary Xavier Becerra (@SecBecerra) February 28, 2024
In Birmingham, I heard heartbreaking stories from families impacted by the recent IVF ruling. pic.twitter.com/GpSK6jycp3
Worum geht es in dem Urteil?
Letzte Woche hatte Alabamas Oberstes Gericht (Supreme Court of Alabama) geurteilt, dass auch nicht in den Mutterleib verpflanzte Embryonen, die durch eine IVF entstanden sind, als Kinder betrachtet werden können und somit durch das Gesetz „Wrongful Death of a Minor Act“ geschützt sind. Nach dem Urteil hatten mehrere Anbieter künstliche Befruchtungen eingestellt: Sie fürchten wegen Tötung angeklagt zu werden, wenn sich ein Embryo im Labor falsch entwickelt beziehungsweise es zu einer Fehlgeburt kommt.
Der Anlass der Klage mutet kurios an: Im Dezember 2020 gelang es einem Krankenhauspatienten durch einen ungesicherten Flur, sich Zugang zur Reproduktionsklinik zu verschaffen. Die Person entnahm mehrere kryokonservierte Embryonen und ließ diese zu Boden fallen, da die extremen Minusgrade Gefrierbrand auf der Hand auslösten. Die Embryonen starben in der Folge. Die Kläger warfen der Klinik nun vor, ihre Embryonen nicht ausreichend geschützt zu haben.
Das Gerichtsurteil führt zu noch extremeren Problemstellungen: Könnten Behörden Mütter dazu zwingen, einen kryokonservierte Embryo auszutragen und bei ihrer Weigerung die Eltern wegen Kindesmisshandlung angezeigt werden? Ärzte müssen sich einerseits fragen, ob sie verpflichtet sind, jegliche eingefrorene Embryonen einzupflanzen und andererseits, was passiert, wenn der Embryo sich im Mutterleib krankhaft entwickelt.
Künstliche Befruchtung
Jede dritte Kinderwunschbehandlung führt zur Schwangerschaft
Bei konsequenter Auslegung der Gesetzeslage könnten Ärzte, die IVF anbieten, wegen Tötung eines Kindes angeklagt werden. Laut National Embryo Donation Center beträgt die Anzahl eingefrorener menschlicher Embryonen in den USA etwa 1,5 Millionen.
Trump und Biden in seltener Einigkeit
Sowohl Präsident Biden wie sein wahrscheinlicher republikanischer Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen dieses Jahr, Donald Trump, kritisierten die unsichere Lage für Ärzte und Patienten in Alabama. Biden nannte die Entscheidung „empörend und inakzeptabel“ – und verwies darauf, dass solche Urteile nur aufgrund der Neubewertung der Sachlage durch den Supreme Court der USA möglich seien: Dieser wurde durch den damaligen Präsidenten Trump erheblich konservativer besetzt und somit wird seitdem die Ansicht stärker vertreten, dass menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt. Das Oberste US-Gericht hob 2022 das wegweisende Urteil Row vs. Wade aus den 1970-igern auf. Dieses hatte Frauen landesweit das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gegeben.
Trump wiederum sagte letzte Woche, dass er das Recht auf Zugang zu IVF unterstütze und die Legislative in Alabama „schnell handeln solle, um eine sofortige Lösung“ zu finden.
Über 90.000 Kinder sind 2021 in den USA mithilfe von Reproduktionstechniken, wie hauptsächlich IVF, zur Welt gekommen, so Zahlen des Centers for Disease Control and Prevention. Etwa 2,3 Prozent aller Neugeborenen sind demnach im drittgrößten Staat der Erde durch IVF & Co. gezeugt worden.