Großprojekt Pflege

Ist der Tarifvertrag der richtige Weg?

Mit einem "Pflegelöhneverbesserungsgesetz" sorgt Arbeitsminister Hubertus Heil für Unruhe in der Branche. Sein Ziel: ein bundesweiter Tarifvertrag. Private und kirchliche Arbeitgeber sind skeptisch – ebenso wie Juristen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Schon in zehn Jahren dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen stark gestiegen sein.

Schon in zehn Jahren dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen stark gestiegen sein.

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BERLIN. Mit dem Entwurf eines „Pflegelöhneverbesserungsgesetzes“ sorgt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für Unruhe in der Branche.

Das Gesetz soll es dem Arbeitsminister ermöglichen, per Verordnung einen Tarifvertrag für die stationäre und ambulante Pflege bundesweit zu „erstrecken“.

Dass Heil, geduldet von der Koalition, an der Tarifautonomie vorbei von Arbeiterwohlfahrt und Verdi einen solchen Tarifvertrag zimmern lassen will, lässt die politischen Ziele deutlich aufscheinen. Die SPD braucht dringend Erfolge, auch und gerade bei ihrer eigenen Klientel.

Die Reaktionen aus dem Umfeld der privaten und kirchlichen Arbeitgeber, die weitaus größere Marktanteile haben, deuten daraufhin, dass dieser Teil der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) eher skeptisch beäugt wird.

Nicht gerade zur Beruhigung der Beteiligten trägt bei, dass im Gesetzentwurf die Kosten, die ein solcher Tarifvertrag auslöst, nicht „quantifiziert“ werden. Nicht zuletzt muss das Gesetz den Religionsgesellschaften, de facto vor allem Caritas und Diakonie, wegen ihres Sonderstatus ein Mitbestimmungsrecht bei der Erstreckung des geplanten Tarifvertrags einräumen.

Dort löst das Stirnrunzeln aus: Das kirchliche Arbeitsrecht dürfe im Zweifel nicht zum Mehrheitsbeschaffer für einen weltlichen Tarifvertrag sein, heißt es in diesen Kreisen.

Zudem fordern die kirchlichen Institutionen eine Refinanzierungs-Garantie für ihre bislang deutlich höheren Pflegelöhne. Dass die unter den Bedingungen einer Tariferstreckung bei perspektivisch knapperen Pflegekassen nicht zwingend gewährt werden dürfte, erhöht die Spannung.

Vorkehrungen für die Zukunft treffen

Die Pflege in Deutschland lässt sich nicht mit einer Schnellreparatur, einer Wartung der Pflegegesetzgebung der vergangenen Legislaturperioden, zukunftsfest machen. Sie benötigt ein ökonomisches Programm, das auf Jahrzehnte hinaus trägt. So hat es in der vergangenen Woche auch Gesundheitsminister Jens Spahn eingeschätzt.

Das heißt nicht, dass die Pflege in Deutschland aktuell schlecht aufgestellt wäre. Es geht darum, Vorkehrungen zu treffen für die nächste Zukunft. Schon in zehn Jahren dürfte die Zahl der gegenwärtig rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen auf rund vier Millionen gestiegen sein.

Dann erst – etwa ab 2035 – kommen die Angehörigen der geburtenstarken Jahrgänge in ein Alter, in dem Pflegebedürftigkeit wahrscheinlicher wird.

Deshalb war die Entscheidung der Koalition richtig , die KAP ins Leben zu rufen. Der Gesundheitsminister hat angekündigt, Umsetzung und Entwicklung des von der KAP erarbeiteten Programms in seinem Haus von einer eigens dafür eingerichteten Stelle monitoren zu lassen. Das wirkt schlüssig: Denn damit gewinnt die KAP an institutionellem Profil.

Für einen Tarifvertrag benötigt man eine Gewerkschaft und einen Arbeitgeberverband. Seit sechs Jahren wird bereits über die Gründung eines branchenweiten Arbeitgeberverbandes gesprochen. Am kommenden Freitag soll sich nun voraussichtlich die „Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche“ (BVAP) bilden.

Dieses Projekt hat einen Haken. Es besteht, so weit bislang bekannt, lediglich aus Arbeitgebern der Arbeiterwohlfahrt, des Arbeitersamariterbundes und den Diakonie-Dienstgebern in Niedersachsen. Der Verband vertritt nach Schätzungen in Branchenkreisen etwa 50.000 Pflegekräfte.

Dennoch hat er das Ziel, gemeinsam mit Verdi einen Abschluss zu finden, den der Arbeitsminister dann für alle 1,1 Millionen Pflegekräfte verbindlich erklären kann. In der Branche wird gespannt beobachtet, wie viel Repräsentativität der neue Verband am Ende tatsächlich in die Waagschale werfen kann.

Markt oder Staat?

Ob das Vorgehen Heils mit dem Grundgesetz vereinbar ist, ist zweifelhaft. Ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Professor Udo di Fabio verneint das. Wenig Verständnis für das Konstrukt haben während der Beratungen auch die kommunalen Arbeitgeber aufgebracht, die die entsprechende Arbeitsgruppe der Konzertierten Aktion sogar verlassen haben.

Das Deutsche Rote Kreuz hat sich ebenfalls gegen Heils Pläne ausgesprochen. Aber die Fragen an das Projekt hören damit nicht auf, zum Beispiel die nach dem ökonomischen Koordinatensystem dieser Pflegelohnpolitik. Soll sie eher markt- oder staatsgetrieben sein?

Ein Großteil dessen, was die Verordnung des Ministers möglicherweise bewirken kann, könnte auch die Pflegekommission leisten, die bereits dreimal zusammengetreten ist. In ihr sind neben Verdi auch die kirchlichen und die privaten Arbeitgeber vertreten. Ihre Basis ist also breiter, als die der Tarifparteien, die nun das Heft in die Hand nehmen wollen.

Aus den Reihen der privaten Arbeitgeber liegt schon seit Jahresanfang der Vorschlag vor, ein Mindestgehalt für Pflegekräfte von 2500 Euro von der Pflegekommission festsetzen zu lassen.

Das könnte schon gelten, wenn Heil die Kommission einberufen hätte. Auch und gerade die Pflegekräfte bei der Arbeiterwohlfahrt würden davon profitieren. Zu den Arbeitsbedingungen kann die Pflegekommission ebenfalls längst Aussagen treffen.

Für eine für die Arbeitnehmer erfreuliche Entwicklung sorgt auch der Markt an sich. Die Knappheit an Pflegekräften überhaupt und die Konkurrenz mit der besser bezahlten Krankenpflege hat schon für Dynamik bei den Altenpflegelöhnen gesorgt.

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