Reform der Notfallversorgung
KVWL-VV stellt Sicherstellungsauftrag für den Notdienst in Frage
Die Vertreterversammlung der KV Westfalen-Lippe sieht die bewährten Notdienststrukturen durch die Politik gefährdet. Deshalb soll der Vorstand eine Rückgabe des Sicherstellungsauftrags prüfen.
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Das konterkariert den ärztlichen Bereitschaftsdienst: Die von der Regierung eingebrachte Änderung der Notfallversorgung bringt die KVWL-Vertreter auf die Palme.
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Dortmund. Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) soll prüfen, ob die niedergelassene Ärzteschaft den Sicherstellungsauftrag für den Notdienst zurückgeben kann. Das hat die Vertreterversammlung am Freitagnachmittag einstimmig beschlossen. „Gerade aufgrund der aktuellen Entwicklungen der Gesetzgebung ist eine Notfallversorgung in der vorliegenden Form nicht mehr aufrechtzuerhalten“, heißt es in dem Antrag.
Ein Grund für die Besorgnis der Delegierten ist die vor Kurzem von der Regierungskoalition eingebrachte Änderung der Notfallversorgung. Sie sieht einen Versorgungsauftrag für Kliniken vor, wenn sich am Krankenhaus oder in unmittelbarer Nähe keine vertragsärztliche Notfallpraxis befindet.
„Diese in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Hut gezauberte Regelung wird dazu führen, dass noch mehr Patientinnen und Patienten als bisher in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser behandelt werden, auch wenn dies medizinisch nicht erforderlich wäre“, warnte der KVWL-Vorstandsvorsitzende Dr. Dirk Spelmeyer. „Die Fehlinanspruchnahme wird größer, sinnvolle Mechanismen der Patientensteuerung wie die Terminservicestellen laufen ins Leere.“ Zudem würden sinnlose und unwirtschaftliche Doppelstrukturen aufgebaut.
Regierung hat kein Interesse am Know-how der Niedergelassenen
Mit dem Vorstoß würde der Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss konterkariert, bis zum 1. Juli 2023 eine Richtlinie für ein Ersteinschätzungsverfahren zu erstellen, nach der Patienten in die richtige Versorgungsebene vermittelt werden sollen, sagte Spelmeyer. Die Bundesregierung handele damit gegen ihre eigenen Pläne für eine gemeinsame Notdienstreform mit den Ländern und mit der Ärzteschaft. „Gleichzeitig belegt dieses Vorgehen der Regierungskoalition zum wiederholten Male, dass sie kein Interesse daran hat, das Know-how und die Erfahrungen derjenigen einzubinden, die Versorgung tagtäglich leisten, nämlich die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen in den Praxen.“
In Westfalen-Lippe werde ein sehr gut funktionierendes System der Notfallversorgung kaputtgeschossen, kritisierte Allgemeinmediziner Lars Rettstadt. „Wir brauchen keine zusätzliche Versorgung durch die Krankenhäuser.“ Ein solcher Schritt wäre nach seiner Ansicht eine Missachtung der Arbeit der Niedergelassenen und ein Zeichen dafür, dass sich jemand in dem System nicht auskennt, das er verändern möchte.
Die Patientinnen und Patienten müssten wissen, dass massive Leistungseinschränkungen drohen, betonte Gynäkologe Dr. Rolf Englisch. „Es muss klar sein, wer dafür verantwortlich ist, wenn der Notdienst niedergeht.“
Warnung vor dem Weg in die Staatsmedizin
Große Sorgen macht dem KVWL-Vorstand und der VV auch die Einschätzung der Deutschen Rentenversicherung und des Bundesarbeitsministeriums, dass Ärztinnen und Ärzte, die im Bereitschaftsdienst der KVen tätig sind, abhängig beschäftigt sind und damit der Sozialversicherungspflicht unterliegen. „Betroffen davon wären insbesondere die sogenannten Pool-Ärztinnen und -Ärzte, die über eine Kooperationsvereinbarung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen und einen großen Beitrag zur Sicherstellung des Bereitschaftsdienstes leisten“, erläuterte Spelmeyer. In Westfalen-Lippe seien rund 600 Poolärzte im Einsatz.
Auch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte seien bei ihrem Einsatz im Notdienst im Fokus der Deutschen Rentenversicherung, berichtete er. „Der erste Bescheid, in dem die Rentenversicherung einen westfälischen Vertragsarzt für seine Tätigkeit im Notfalldienst der Sozialversicherungspflicht unterwirft, liegt bereits vor.“
In ihrem Antrag warnen die Delegierten vor einer Gefährdung der ambulanten Versorgung insgesamt sowie der Selbstverwaltung und der Freiberuflichkeit der Ärzteschaft. „Eine sich entwickelnde Staatsmedizin entspricht nicht unserem Verständnis der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung.“