Erste Lesung im Bundestag

Lauterbach: Stehe beim Herz-Gesetz auf dem Boden der evidenzbasierten Medizin

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verteidigt die geplanten Screening-Programme im GHG. Die Grünen bezeichnen den Entwurf als „ersten Baustein“, die Unionsfraktion warnt vor der Zerschlagung von Präventionsstrukturen.

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Ein Bagger steht vor dem Reichstagsgebäude

Die Union im Bundestag kritisiert, das Gesunde-Herz-Gesetz könne sich als Abrissbirne für etablierte Präventionsprogramme der Krankenkassen erweisen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht sich mit dem Gesetzentwurf dagegen auf dem richtigen Kurs.

© Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat das geplante Gesunde-Herz-Gesetz (GHG) bei der ersten Beratung im Bundestag verteidigt. Mit dem Entwurf befinde er sich „fest auf dem Boden der evidenzbasierten Medizin“, sagte Lauterbach bei der Aussprache am Mittwochnachmittag.

Er verwies dazu auf ein ähnliches Screening-Programm, das vor rund zehn Jahren in Großbritannien etabliert worden sei und sich als wirksam erwiesen habe, so die Darstellung Lauterbachs.

Monstadt: „Überflüssig“

Für die Unionsfraktion bezeichnete Dietrich Monstadt das Vorhaben als „überflüssig“, weil es auf „absolut falsche Instrumente“ setze. Monstadt beklagte, mit dem Gesetzentwurf werde „fatale Eindruck“ vermittelt, eine gesunde Lebensweise könne durch Medikamente ersetzt werden. Er appellierte an die Ampel-Koalition, das Gesetz fallen zu lassen.

Vorsichtige Abgrenzung vom GHG betrieb in seiner Rede der Grünen-Abgeordnete Johannes Wagner. Prävention, erinnerte er, basiere auf den drei Säulen Vorsorge, Früherkennung und Nachsorge. Der Gesetzentwurf stärke nur einen dieser drei Bausteine, „aber das reicht nicht“, so Wagner.

Der Abgeordnete kündigte an, man wolle in den Ausschussberatungen das Gesetz verbessern, um zu einer Balance aller drei Säulen der Prävention zu kommen.

Unionsfraktion: GHG gibt das falsche Signal

Für die FDP sprach Christine Aschenberg-Dugnus dagegen von einem „guten Gesetz“. Es reiche nicht aus, ausschließlich auf verhaltenspräventive Maßnahmen zu setzen. Sie verwies darauf, dass familiäre Fettstoffwechsel-Erkrankungen bisher in Deutschland viel zu selten rechtzeitig diagnostiziert würden. Aschenberg-Dugnus betonte, ihr Anliegen sei es im Ausschuss, die Bedeutung geschlechtsspezifischer Check-ups im Gesetzentwurf stärker hervorzuheben.

Die Unionsfraktion hat in einem konkurrierenden Antrag hervorgehoben, das Risiko für eine koronare Herzerkrankung oder einen Herzinfarkt könne „durch einen gesunden Lebensstil erheblich verringert werden“.

Vor diesem Hintergrund sei eine Stärkung der Primärprävention „unverzichtbar“. Nicht geboten sei hingegen „die Einführung von unbegründeten bevölkerungsweiten Screening-Programmen“, moniert die Unionsfraktion mit Blick auf den Entwurf des GHG.

Für seine Fraktion nannte Georg Kippels den geplanten Strategiewechsel von der Primär- zur Sekundärprävention ein „eindeutig falsches Signal“. Weil Lauterbach sich nicht um die Finanzierung der geplanten neuen Leistungen kümmere, drohten „bewährte Strukturen“ der Prävention zerstört zu werden.

„Pillen statt Prävention“

Darauf haben auch Krankenkassen bereits vor der ersten Lesung im Bundestag wiederholt hingewiesen. Aus Sicht der Vorstandsvorsitzenden des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, ist der Gesetzentwurf „komplett schief gewickelt“. Trotz der starken Zweifel an der fragwürdigen Evidenz der vorgesehenen Maßnahmen bleibe es beim Motto „Pillen statt Prävention“.

Für Gesundheitskurse stünden bisher jährlich etwa 186 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Aus diesen Mitteln müssten nach dem Gesetzentwurf künftig auch neue Leistungen wie Arzneimittel zur Tabakentwöhnung und ärztliche Diagnostik finanziert werden.

„Schon bei geringer Teilnehmerquote entstünden der GKV allein durch die Ausweitung des Anspruchs auf Arzneimittel zur Tabakentwöhnung Mehrausgaben in Höhe von mindestens 200 Millionen Euro“, warnt die Vorsitzende des AOK-Bundesverbands. Das GHG würde somit das Aus der von den gesetzlichen Krankenkassen finanzierten individuellen Gesundheitskurse besiegeln.

Der GKV-Spitzenverband stößt sich daran, dass neue Untersuchungen zur Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zum Teil im Detail vom Gesetzgeber vorgegeben werden. „Die Einführung neuer Leistungen durch den Gesetzgeber stellt einen Rückschritt im Vergleich zu den in den letzten Jahrzehnten erreichten Bewertungsstandards der evidenzbasierten Medizin im Gemeinsamen Bundesausschuss dar“, moniert Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands.

Gesetzentwurf entfernt sich vom Leitgedanken der Prävention

Auch sie warnt, das Abziehen der Gelder aus der Primärprävention widerspreche der von Wissenschaftlern und Praktikern geteilten Auffassung, „dass es eine Stärkung von Maßnahmen für einen gesundheitsförderlichen Lebensstil in Kombination mit Public-Health-Maßnahmen braucht“, so Stoff-Ahnis.

In dieses Horn stößt auch Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK Dachverbands. Es sei schwer nachvollziehbar, wie im GHG-Entwurf dargestellt wird, „dass sich eine der Haupttodesursachen in Deutschland mit ein paar Pillen, Check-ups und Massenscreenings im Handstreich beseitigen lässt“.

Ein stabiles Gesundheitssystem benötige „mehr Investitionen in Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitskompetenz und keinen Kahlschlag bei qualitätsgesicherten, niedrigschwelligen Präventionsangeboten“, fordert Klemm.

Mit dem Gesetzentwurf „entfernen sich die Verantwortlichen von dem Leitgedanken der Prävention, Gesundheitsrisiken vorzubeugen und zu vermeiden“, heißt es bei der Landesvertretung Baden-Württemberg des Ersatzkassenverbands. (fst)

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