Beschneidung

Leutheusser gegen eigenes Gesetz

Der Bundestag will die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen neu regeln. Aber wie? Die Justizministerin hält jedenfalls ein gesondertes Gesetz für nicht zielführend.

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Skeptisch: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sieht keine Chancen für ein eigenes Gesetz zu Beschneidungen.

Skeptisch: Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sieht keine Chancen für ein eigenes Gesetz zu Beschneidungen.

© Maurizio Gambarini / dpa

BERLIN (dpa). Ein gesondertes Gesetz zur religiösen Beschneidung kleiner Jungen soll es nach dem Willen von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) nicht geben.

Dies sei das Ergebnis von Beratungen im Justizministerium, berichtet das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Uneins seien sich die Experten noch darüber, ob die Beschneidung aus religiösen Gründen besser im Strafrecht oder im Familienrecht geregelt werden kann.

Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Professor Christiane Woopen, wandte sich gegen zu viel Eile bei der geplanten gesetzlichen Neuregelung. Sie halte Schnelligkeit in diesem Fall für verfehlt, sagte Woopen dem "Focus".

Zunächst sei es wichtig, dass sich alle Beteiligten gemeinsam verständigten. Dies schließe "natürlich die verschiedenen Glaubensgemeinschaften in Deutschland ein". Das Expertengremium will sich am 23. August in öffentlicher Sitzung mit dem Thema befassen.

Das Landgericht Köln hatte Ende Juni Beschneidungen von Jungen aus religiösen Gründen für rechtswidrig und strafbar erklärt. Juden und Muslime hatten dies scharf kritisiert.

Straffreiheit im Südwesten

Der Bundestag machte sich für eine rasche Neuregelung mit dem Ziel stark, medizinisch fachgerechte Beschneidungen aus religiösen Gründen grundsätzlich zu erlauben.

Die FDP will bei der Entscheidung im Parlament den Fraktionszwang aufheben. "Bei einer solch grundsätzlichen Frage kann man niemanden zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten zwingen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Liberalen, Jörg van Essen, dem "Spiegel".

Auch Politiker anderer Fraktionen sprachen sich dafür aus, dass die Abgeordneten bei dem heiklen Thema allein ihrem Gewissen folgen.

"Ein Fraktionszwang ist in dieser Frage nicht angemessen", sagte SPD-Ethikexperte René Röspel der Zeitungen der WAZ-Gruppe. "Alle Fraktionen sollten die Abstimmung freigeben", meinte die stellvertretende Parteichefin der Linken, Caren Lay.

In Baden-Württemberg bleibt die religiöse Beschneidung von Jungen nach Auskunft der dortigen Generalstaatsanwaltschaften vorerst straffrei, wenn sie medizinisch korrekt ausgeführt wird.

"Wir werden bei derartigen Beschneidungen auch weiterhin in Württemberg nicht ermitteln und warten die bereits angekündigte gesetzliche Regelung ab", sagte der Stuttgarter Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger der Zeitung "Sonntag Aktuell".

Auch die für Baden zuständige Karlsruher Generalstaatsanwaltschaft verfolgt diese Linie.

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Kommentare
Lutz Barth 30.07.201211:01 Uhr

Eine Frage des „Gewissens“?

Die Debatte um die Zirkumzision droht zu entgleiten. Unter dem Tarnmäntelchen der wünschenswerten Rechtssicherheit melden sich nun einige Generalstaatsanwälte zu Wort, die uns an ihren fragwürdigen Botschaften teilhaben lassen, statt einen entsprechenden Beitrag zur Rechtsdogmatik zu leisten.

Auch den ambitionierten Strafrechtlern dürfte die Bedeutung des Verfassungsrechts nicht unbekannt sein und gerade im Hinblick auf die grundrechtlichen Schutzpflichten des Gesetzgebers auch gegenüber unseren kleinsten Staatsbürgern kommen wir wohl nicht umhin, zunächst anzuerkennen, dass die Zirkumzision objektiv betrachtet eine Körperverletzung ist.

Insofern sollten sich die führenden Diskutanten und insbesondere diejenigen, die sich zur Verlautbarung ihrer religiös-motivierter Botschaften veranlasst sehen, endlich zu einem rationalen Diskurs durchdringen und Argumente vortragen, die einer nachhaltigen Diskussion zugänglich sind. Der pauschale Verweis auf Art. 4 i.V.m. Art. 6 (ggf. i.v.m. Art. 140 GG) reicht beileibe nicht aus, um die Kollisionen zwischen den miteinander „konkurrierenden“ Grundrechten auflösen zu können und noch weniger überzeugt der Hinweis auf eine Stelle der Bibel, zumal fraglich ist, ob die Autoren der Bibel bei der gegenwärtigen liberalen Verfassungslehre ihre Textpassagen so verfasst hätten, wie sie uns seit Jahrtausenden überliefert sind.

Es bleibt m.E. bei der unabdingbaren Voraussetzung, dass auch der Blick in die Bibel nicht eine zeitgemäße Verfassungsinterpretation ersetzt!
Dies hätte dem Generalstaatsanwalt auch als Strafrechtler bewusst sein müssen, mal ganz davon abgesehen, dass Staatsanwälte auch an Gesetz und Recht gebunden sind!

Im Namen der Religionsfreiheit, aber auch im Namen der Gewissensfreiheit der Abgeordneten, können keine schützenwerten Grundrechtspositionen der Kinder mal eben „versenkt“ werden, nur weil es dem derzeitigen Mainstream entspricht und es sich wohl nicht schickt, Religionsgemeinschaften daran zu erinnern, dass auch für sie die „allgemeine Gesetze“ gelten und keine Freiheit zur Unfreiheit anderer führt. Eine verfassungskonforme Lösung muss letztlich her und ob der Deutsche Ethikrat mit seiner angekündigten Debatte dazu beiträgt, darf insofern bezweifelt werden, weil es ja gerade darauf ankommt, lediglich das Spiegelbild von entsprechenden Werten in unserer Gesellschaft darzustellen. Entscheidend ist, dass unter ethischen Aspekte betrachtet die „Kirche im Dorf zu lassen ist“ und dass allein der rechtsethische Grundstandard unseres Grundgesetzes gewahrt bleibt.

Die „Bibel“ jedenfalls kann nicht zur Verfassungsinterpretation fruchtbar gemacht werden und zwar ungeachtet des hohen Stellenwerts der Religionsfreiheit, die in erster Linie auch ein subjektives Recht darstellt und demzufolge mit guten Gründen die Auffassung vertreten werden kann, dass ein „Jeder nach seiner Facon selig werden kann“, aber dies eine individuelle – will heißen selbstbestimmte – Entscheidung auch der heranwachsenden Kinder voraussetzt.

Allgemein wird man/frau den Eltern die Verpflichtung abringen müssen, bei ihren Entscheidungen auch darauf abzustellen, für einen konsequenten Grundrechtsschutz ihrer Kinder einzutreten und da erscheint es mir persönlich zumindest diskussions-, eher doch fragwürdig zu sein, ob eine Körperverletzung aus religiösen Motiven heraus legitimierbar erscheint, ohne hierbei den „Glauben“ als solchen in Frage stellen zu müssen. Grundrechte sind primär individuelle Freiheitsrechte und anhand der Debatte um die Zirkumzision wird zu entscheiden sein, ob wir auch unseren Kindern die Freiheit zur Entscheidung überlassen wollen, zumal unser Staat zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist. In diesem Sinne ist der parlamentarische Gesetzgeber ein Garant für die individuellen Freiheitsrechte insbesondere auch derjenigen Grundrechtsträger, die einstweilen nicht ihre eigene selbstbestimmte Entscheidung offenbaren oder einfach nur „verkünden“ kön

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