Sterbehilfe

Leutheussers zweiter Absatz

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Ausgang gesucht - für die Diskussion über den Referentenentwurf.

Ausgang gesucht - für die Diskussion über den Referentenentwurf.

© dpa

Dürfen Ärzte künftig Sterbehilfe praktizieren? Ein Gesetzentwurf schlägt Wellen - und sorgt für eine herbe Kakofonie. Dabei hätte es so einfach sein können.

BERLIN (nös). Da war sie hin, die Sauregurkenzeit: Wer noch vor einer Woche dachte, er könne sich aus dem politischen Berlin bequem in den Urlaub zurückziehen, der wurde jäh enttäuscht.

Denn ein Gesetzesentwurf erblickte das Licht der Öffentlichkeit und sorgte für ganz besondere Berliner Festspiele - ein Sommertheater. Ein Sommertheater über Sterbehilfe, Selbstmord, den ärztlich assistierten Suizid.

Ein Sommertheater, das es eigentlich gar nicht hätte geben müssen, wenn da nicht dieser zweite Absatz wäre.

Was war geschehen? Ein Blick zurück ins Jahr 2009: Schwarz-Gelb schnürt das Arbeitspaket für die kommende Koalition.

In ihr Hausaufgabenheft, den Koalitionsvertrag, schreiben sie auf Seite 108: "Die gewerbsmäßige Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung werden wir unter Strafe stellen." In Berlin wird kolportiert, der Satz sei auf Drängen der Union aufgenommen worden.

Heute, drei Jahre später, stehen diese "Gelegenheiten" noch immer nicht unter Strafe. Und so machten sich die Fachleute von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vor einigen Monaten daran, dem frommen Wunsch Taten folgen zu lassen.

Notgedrungen, sollte man anfügen, denn die FDP-Ministerin gehört nicht unbedingt zu den großen Befürwortern einer gesetzlichen Regelung gegen den assistierten Suizid.

Das kann man mit viel Interpretation schon daran erkennen, dass sie im Beirat der Humanistischen Union sitzt. Deren Credo zur Sterbehilfe lautet so: "Dies schließt nach unserer Auffassung auch das Recht auf aktive Sterbehilfe ein."

Freilich muss dies nicht die Überzeugung von Frau Leutheusser sein. Gleichwohl gab sie noch am 19. Juli, dem Tag, an dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die deutschen Richter in Sachen Sterbehilfe gerüffelt hatte, Folgendes zu Protokoll: "Wir haben keine Notwendigkeit, die Sterbehilfe in irgendeiner Form in Deutschland zu regeln."

Kurios: Der jetzt kritisierte Referentenentwurf aus ihrem Haus trägt das Datum vom 18. Juli.

Und der kam Jahre, nachdem etliche Vorschläge für ein Verbot der Suizidbeihilfe längst auf dem Tisch lagen.

Ein Blick zurück: Ende 2010 hatte Rheinland-Pfalz im Bundesrat einen Entwurf durchgebracht, mit dem die "gewerbsmäßige und organisierte" Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt werden sollte.

Selbst die Gründung einer Vereinigung zu diesen Zwecken, genauso wie die Werbung für diese Vereine wäre danach bereits strafbar gewesen. Eine Anspielung etwa auf den Verein eines ehemaligen Hamburger Justizsenators oder die deutschen Ableger schweizerischer Sterbehilfeorganisationen.

Aber schon früher, im Jahr 2008, bekam eine Gesetzesinitiative aus dem Saarland, Thüringen und Hessen, Rückenwind vom Bundesrat. Die Länder hatten bereits zwei Jahre zuvor, 2006, einen Antrag vorgelegt, wonach bereits die "geschäftsmäßige Vermittlung" einer Beihilfe zum Suizid mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden sollte.

Der Unterschied zwischen geschäftsmäßig und gewerbsmäßig mag banal klingen, aber er ist enorm: Letzteres, so wie es in dem jetzigen Gesetzentwurf bezeichnet ist, setzt eine Gewinnerzielungsabsicht voraus, es soll damit Geld verdient werden.

Geschäftsmäßig hingegen ist all jenes, was nachhaltig betrieben wird, ob für Geld oder nicht. Der Entwurf von 2006 wäre damit also viel weitreichender gewesen.

Die Referenten aus dem Bundesjustizministerium hatten diese Entwürfe sicherlich im Blick. Schlicht: Sie sollten bloß nicht zu weit gehen in dem, was unter Strafe gestellt werden soll.

Bereits im März hatte das Ministerium einen Entwurf vorgelegt, in dem es heißt: "Wer absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Nicht mehr und nicht weniger stand damals darin. An diesem Passus hätten sich nur wenige gestoßen, etwa Sterbehilfebefürworter.

Sicherlich wäre er auch manchen nicht weit genug gegangen, die ein absolutes Verbot der organisierten, also geschäftsmäßigen Sterbehilfen verlangen - so etwa die Bundesärztekammer (BÄK).

Doch es muss in der Zeit nach dem ersten Entwurf etwas passiert sein bei Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Denn das Papier wurde Makulatur, landete kurz darauf wieder in der Versenkung.

Der geplante neue Paragraf 217 im Strafgesetzbuch wurde ergänzt um einen zweiten Absatz zur Straffreiheit, damit, wie es heißt, "sichergestellt werden (kann), dass Angehörige oder andere dem Suizidwilligen nahestehende Personen sich nicht strafbar machen, wenn sie nur Teilnehmer an der Tat sind und selbst nicht gewerbsmäßig handeln."

Der Wortlaut: "Ein nicht gewerbsmäßig handelnder Teilnehmer ist straffrei, wenn der in Absatz 1 genannte andere sein Angehöriger oder eine andere ihm nahestehende Person ist."

Damit war die Aufregung perfekt. Denn die "nahestehenden Personen" können eben auch Ärzte sein, so sie denn eine persönliche und innige Beziehung zu dem Menschen, der sterben möchte, aufgebaut haben.

BÄK-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery fühlte sich wie im "Tollhaus", als er den neuen Entwurf las. Aus den Presseverlautbarungen von und Interviews mit ihm konnte man seine pulsierenden Adern erahnen.

Für ihn war dieser neue zweite Absatz nichts weniger als ein Einstieg in den organisierten ärztlich assistierten Suizid - eine Tätigkeit, die der 114. Deutsche Ärztetag vor über einem Jahr qua Musterberufsordnung verboten hat.

Und auch aus der Union kam heftigster Gegenwind. Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn nannte den Entwurf "völlig inakzeptabel". Wenngleich er auf Anfrage twittert: "Sterbehilfe wollen wir ja gemeinsam verbieten." Deswegen sei er auch nicht gegen den Entwurf - nur bitte "ohne die strittigen Passagen".

Warum hat Frau Leutheusser - sie hat den Gegenwind ahnen müssen - diesen Absatz also ergänzen lassen? Dem Entwurf zufolge hat sie das, weil sie Angehörige vor Strafe schützen will.

Eugen Brysch will einen anderen Hintergrund erkannt haben: "Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist das alles zu viel", sagt der geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung.

Er hatte jüngst die Vermutung geäußert, der jetzt neugefasste Referentenwurf diene nur dazu, das Gesetz scheitern zu lassen. Brysch: "Die auf Wiederholung angelegte, das heißt geschäftsmäßige, Suizidbeihilfe müsste man verbieten. Das will sie nicht."

Für ihn liegt die jetzige Diskussion schlicht daran, "dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger ein verkehrtes Gesetz gemacht hat".

Und so wird aus der Kritik am Handwerk des Gesetzentwurfschreibens eine Grundsatzdebatte. Brysch: "Es macht mir große Sorgen, dass Menschen lieber sterben wollen, als pflegebedürftig zu werden."

Sein Wunsch: Nicht die Tür zur Vergesellschaftung des Suizids öffnen. Mit den Liberalen geht er in dieser Sache hart ins Gericht, vor allem mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger: "Sie glaubt zwar, Freiräume zu schaffen. Dabei wären die Liberalen gut dran, den Bürger starkzumachen, ihn partizipieren zu lassen, statt Angebote zur 'Entsorgung‘ aus der Gesellschaft zu tolerieren."

Für ihn stellt sich eine Grundsatzfrage: "Wie versteht man Liberalismus heute?" Seine Antwort: "Frau Leutheusser-Schnarrenbergers Liberalismus ist in den 1970er Jahren stehen geblieben."

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