Grüne fordern
Mehr Anstrengungen gegen Zwangsbehandlungen
Zwangsbehandlungen von psychisch Kranken sollten die Ultima ratio sein: Nach Ansicht der Grünen werden immer noch nicht alle Optionen ausgeschöpft, um den Zwang zu vermeiden.
Veröffentlicht:BERLIN. Der Gesetzgeber hat vor zwei Jahren die Hürden für die Zwangsbehandlung von Patienten höher gelegt. Die Reform hat Fortschritte gebracht, ist aber verbesserungsfähig.
Bei einem Fachgespräch der Bundestagsfraktion der Grünen berichteten Experten und Betroffene von den Erfahrungen mit der im Februar 2013 in Kraft getretenen Novelle des Betreuungsrechts.
"Noch werden längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um Zwangsbehandlungen zu vermeiden", sagte Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion, der "Ärzte Zeitung".
Souveränität der Patienten stärken
Die Grünen hätten seinerzeit im Gesetzgebungsverfahren darauf gedrungen, dass einer Zwangsmaßnahme ein ernsthafter Versuch vorausgehen muss, den Betroffenen von der Behandlung zu überzeugen, erinnerte sie.
Im Rechtsausschuss des Bundestags plädierte die Fraktion damals in einem Antrag für "weitere Schritte, um die Souveränität von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu stärken".
Der vor zwei Jahren neu gefasste Paragraf 1906 BGB sieht vor, dass Ärzte einen psychisch kranken Patienten nur dann gegen seinen Willen behandeln dürfen, wenn unter anderem der erwartete Nutzen die Beeinträchtigungen "deutlich überwiegt".
Nötig sein muss die Maßnahme auch, um "einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden". Bei der Anordnung dieses Eingriffs darf der Sachverständige nicht der behandelnde Arzt sein.
Der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht hatten zuvor 2011 in einem Urteilen schärfere Maßstäbe für eine Zwangsbehandlung gefordert.
Der Sozialrechtler Dr. Rolf Marschner aus München berichtete bei dem Fachgespräch, vor der Novelle sei bei zwei bis acht Prozent der stationär behandelten Patienten Zwang angewendet worden.
Neues Bewusstsein für Anwendung von Zwang
Nach neuen Zahlen sei dies noch bei 0,5 bis 1,5 Prozent der Patienten der Fall. Es gebe zwar ein neues Bewusstsein für die Anwendung von Zwang, aber noch kein Ende der Zwangspsychiatrie.
Marschner sprach sich für eine "menschenrechtsorientierte neue Psychiatrie-Enquete" aus. Die erste Enquete hatte 1975 einen Bericht veröffentlicht, der den Ausgangspunkt für viele Reformen in der psychiatrischen Versorgung bildete.
Die Grünen bezeichneten es als nicht hinnehmbar, dass die Regierung noch heute nicht angeben könne, wie viele Menschen seit Start der Reform gegen ihren Willen behandelt worden sind.
Klein-Schmeink sagte, neben einer landesweiten Dokumentation aller Zwangsbehandlungen sei dafür ein "echtes Monitoring" nötig. Aufgabe der Politik sei es, Strukturen zu schaffen, die Zwangsbehandlungen weitestgehend entbehrlich machten.
"Verbindliche Personalstandards und ein solides Finanzierungssystem versetzen Krankenhäuser erst in die Lage, patientenorientierte Behandlungen anzubieten", erklärte sie.