LEO-Chef Kesseler im Interview
Mehr Power für die Derma-Forschung
Die Pandemie hat ihre Spuren hinterlassen. Dennoch konnten Lieferketten aufrecht erhalten und laufende klinische Studien fortgesetzt werden. LEO Pharma setzt weiterhin auf die Forschung in der Dermatologie – mit einem neuen Partner. Zu den strategischen Plänen äußert sich Deutschland-Chef Dr. Franz Peter Kesseler im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Dr. Kesseler, SARS-CoV-2 lässt uns nicht los. Es wird über Forschung, über Logistik, über verpasste Chancen, aber auch über Mut zum Risiko diskutiert und gestritten. Wie erleben Sie als erfahrener Manager an der Spitze eines forschenden Arzneimittel-Unternehmens diese Diskussion?
Dr. Franz Peter Kesseler: Die Pandemie hat die gesamte Wirtschaft erfasst. Keiner ist mehr außen vor. Dabei ist die pharmazeutische Industrie in den Fokus gerückt. Festzuhalten ist, dass es eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Forschung, Industrie und den Zulassungsbehörden gegeben hat und weiterhin gibt.
Allein das Ergebnis, dass es nach gut einem Jahr der Pandemie bereits Impfstoffe gibt, ist angesichts der üblichen Entwicklungsdauer für Vakzine ein großer Erfolg. Dazu haben alle Beteiligten einen wichtigen Beitrag in einer wirtschaftlich und gesundheitspolitisch schwierigen Situation geleistet.
Gehört das schon zu den ersten wichtigsten Erkenntnissen aus der Krise?
Ich stimme Ihnen zu, wenn wir ganz allgemein über Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der pharmazeutischen Industrie reden. Täglich erleben wir, dass die Durchführung klinischer Studien COVID-19-bedingt nicht so reibungslos läuft. Es bedarf einer besonderen Flexibilität und Innovationskraft. Das ist eine Erfahrung, die wir auf jeden Fall für die Zeit nach der Krise mitnehmen sollten.
Inwiefern hat die Krise Einfluss auf Produktion und Lieferketten gehabt?
Vorrangiges Ziel ist es, die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherzustellen. Die Lieferkettenproblematik ist ja nicht neu. Dazu hat es in den vergangenen Jahren viele Diskussionen gegeben, in denen es darum ging, die Produktion nach Europa oder Deutschland zurückzuverlagern. Wir haben uns als Unternehmen von jeher dazu entschieden, den gesamten Produktionsprozess in Europa abzubilden – von der ersten chemischen Synthese bis hin zum fertigen Arzneimittel. Ob nun in Dublin, in der LEO-Zentrale im dänischen Ballerup bei Kopenhagen oder in den Werken in der Nähe von Paris und Mailand.
Das zweite große Thema ist die klinische Forschung. Es gab in der ersten Welle viele besorgte Anrufe von Ärzten und Patienten. Wir haben alles daran gesetzt, dass unsere klinischen Studien fortgesetzt werden konnten. Da, wo es möglich war, haben wir Prüf-Ärztinnen und -Ärzte unterstützt, mit ihren Patienten remote in Kontakt zu treten.
Geholfen haben aber auch die involvierten Universitäten und Ethikkommission. Ebenfalls eine wichtige Erfahrung für die Zukunft. Schließlich haben wir große Anstrengungen unternommen, um die Prüfmedikation, die im Ausland hergestellt wird, an die deutschen Studienzentren zu liefern. Das war zum Teil schon eine große logistische Herausforderung.
Dr. Franz Peter Kesseler
Aktuelle Position: Geschäftsführer, LEO Pharma GmbH
Ausbildung: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Studium der Biologie und Biochemie mit Abschluss Diplom und Promotion.
Karriere: Erfolgreiche Führungskraft mit langjähriger Tätigkeit in Senior Management Positionen der forschenden, pharmazeutischen Industrie mit den Schwerpunkten Marketing und Vertrieb.
Ihre Kernkompetenz liegt bei den Hauterkrankungen. Bekommen Sie mit, dass Vorsorge-Untersuchungen wegen der Pandemie nicht wahrgenommen worden sind?
Wir haben das von vielen Dermatologinnen und Dermatologen mit Blick auf das Jahr 2020 gehört. Übrigens auch von der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft. Nach ersten Schätzungen sind die Patientenzahlen bei niedergelassenen Dermatologen im Vergleich zu 2019 signifikant gesunken. Das kann man auch an den Verordnungszahlen ablesen – je nach Pandemiephase um bis zu zehn Prozent. Das hat sich aber dann in dieser Deutlichkeit nach dem Sommer in der zweiten Welle nicht mehr so gezeigt.
Gilt das auch für onkologische Patienten, dass diese ihre Therapie-Zyklen ausgesetzt haben?
Dazu liegen uns keine konkreten Erkenntnisse vor. Was wir aber sehen, ist, dass zum Beispiel die Zahl der identifizierten Hautkrebserkrankungen in den Monaten April und Mai 2020 im Vergleich zum Vorjahr um bis zu 40 Prozent zurückgegangen ist. Daraus kann man schlussfolgern, dass weniger Patienten in den Praxen waren. Das gilt auch für Kliniken und Klinikambulanzen.
Wenn Sie die vergangenen zehn Jahre Revue passieren lassen, in welchen Bereichen der Dermatologie hat es aus Ihrer Sicht den größten wissenschaftlichen Fortschritt gegeben?
In der Behandlung des Melanoms – Stichwort BRAF-V600 – hat es große Fortschritte gegeben, auf die wir 20 vielleicht sogar 30 Jahre gewartet haben. Das gilt auch für die Psoriasis und die Atopische Dermatitis. Hier gibt es mit den neuen Biologicals seit etwa sechs Jahren völlig neue Therapieoptionen. Und spannend geht es weiter, wenn ich an die Dinge denke, die bereits schon in den ersten Studien-Phasen sind.
Was heißt das für die LEO-Pipeline?
Vorweg möchte ich sagen, dass wir weiterhin hart daran arbeiten, zu einem der führenden Unternehmen im Bereich der medizinischen Dermatologie zu werden. Wenn Sie neue Biologicals in den Markt einführen wollen, sind große Investitionen wichtig. Und daher haben wir Ende März mit Nordic Capital, einem weltweit führenden Private-Equity-Investor im Gesundheitswesen, einen aktiven Minderheitseigentümer und Partner gewinnen können – vorbehaltlich der Zustimmung der Behörden.
Nordic Capital beabsichtigt, 450 Millionen Euro in die Forschung der LEO Pharma zu investieren und damit auch Innovationen zu beschleunigen. Ein klares Zeichen dafür, dass man unserer Strategie vertraut. Ich will Ihnen dazu einige Beispiele nennen. Bis zum Sommer rechnen wir mit der Zulassung des Biologicals Tralokinumab. Ein neues Wirkprinzip für die Behandlung der mittelschweren bis schweren Atopischen Dermatitis.
LEO Pharma GmbH
Branche: Pharmazeutische Industrie
Umsatz 2020: Ca. 130 Mio. Euro (LEO Pharma GmbH); Umsatz LEO Pharma A/S: Ca. 1,4 Mrd. Euro
Investitionen F&E 2020 (LEO Pharma A/S): 21% des Umsatzes
Mitarbeiter 2020: 6000 weltweit, davon 190 in Deutschland
Der vollhumane monoklonale Antikörper bindet spezifisch an Interleukin-13 und neutralisiert dessen entzündungsfördernden Effekt. Damit haben Dermatologen eine weitere wichtige Therapieoption. Darüber hinaus sind wir auch beim chronischen Handekzem zuversichtlich. Das betrifft den JAK-Inhibitor Delgocitinib, wo wir kurz vor dem Abschluss der Phase III stehen.
Und wenn wir über diesen Zeitraum hinausgehen, forschen wir an einem oral verfügbaren Molekül, das in der Lage ist, Interleukin-17 zu binden und so zu modifizieren, dass es nicht mehr an die normalen Rezeptoren anlagern kann. Hier sind wir bereits in Phase I und II.
Das klingt nach einer Konzentration auf die Dermatologie. Was passiert mit den anderen Bereichen?
Bei den Thrombosen legen wir den Fokus auf die Prophylaxe und Behandlung bei Krebspatienten. Hier werden wir durch Einlizenzierungen versuchen, unser Angebot auszubauen. Bei den seltenen Erkrankungen sind wir permanent unterwegs. Das ergibt sich fast automatisch, wenn Sie an die vielen verschiedenen und sehr speziellen Formen von Hauterkrankungen denken. Hier setzen wir auch auf interessante Partnerschaften.
Gerade in der Dermatologie ist der Wunsch nach Verbesserung der Lebensqualität sehr groß. Stehen Sie darüber im Austausch mit Ärzten und/oder Selbsthilfegruppen?
Ja, wir sind mit einzelnen Organisationen im sehr engen Kontakt. Der Wunsch, neben Wirksamkeit und Sicherheit auch die Lebensqualität stärker zu berücksichtigen, wird immer größer. Dazu gibt es auch gute Evaluationsmethoden. Wir unterstützen diese Forderung nach verlässlichen und evaluierten Parametern zum Nutzen der Patientinnen und Patienten.
Wird die Verbesserung der Lebensqualität aus Ihrer Sicht adäquat von den HTA-Gremien bei der frühen Nutzenbewertung berücksichtigt?
Das Entscheidende ist doch, dass die Daten, die vorgelegt werden, valide, seriös und messbar erarbeitet worden sind, auf der Grundlage dessen, welche Lebensqualitätsparameter aus Sicht der Patienten Bedeutung haben. Das wäre sicherlich auch ein wichtiges Thema für die Diskussion um eine europäische Nutzenbewertung – insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen HTA-Ansätze in den verschiedenen Ländern der EU.
Apropos: Staats- und Regierungschefs der EU haben offenbar eine Einigung gefunden. Jetzt wird dies unter anderen mit dem EU-Parlament diskutiert. Es sieht wohl nach einem Minimal-Konsens aus, der den nationalen Staaten weitgehende Freiheiten lässt. Würde Ihnen das dennoch weiterhelfen?
Ich kann nur vermuten, dass es hier noch intensive Diskussionen geben wird. Daher ist es jetzt noch zu früh, den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs zu kommentieren. Bis das durchs EU-Parlament geht, wird es unter Umständen noch viele Änderungen geben. Aber es ist nun auch die Chance, Elemente wie die Lebensqualität dort stärker einzubauen.
Fakt ist, dass die Standards dazu in Europa sehr unterschiedlich sind. In Deutschland sind sie sehr hoch. Und das muss auch in Zukunft sichergestellt bleiben. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass zum Beispiel bestimmte Innovationen in einigen Ländern der EU therapeutisch nicht zur Verfügung stehen. Daraus ergeben sich dann unterschiedliche Standards.
Dr. Kesseler, fast 30 Jahre ist LEO Pharma in Deutschland, über zehn Jahre stehen Sie an der Spitze des Unternehmens. Wo sehen Sie für das Unternehmen in den nächsten Jahren die größten Chancen und Herausforderungen?
LEO Pharma wird den strategischen Prozess, den ich beschrieben habe, konsequent fortsetzen. Die Dermatologie hat heute einen viel größeren Stellenwert als das noch vor zehn Jahren der Fall war. Das können Sie daran erkennen, dass auch die großen Player sich auf diesen Markt fokussieren. Sie fragen nach den großen Chancen und Herausforderungen: Die beginnen schon damit, neu zugelassene Produkte erfolgreich in den Markt einzuführen und den Ärzten als neue, innovative Therapieoption anzubieten.
Spannend wird auch die Phase nach COVID-19 sein, insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung. Hier ist in Deutschland endlich einiges in Bewegung gekommen. Ich hoffe, dass es nicht nur bei guten Vorsätzen bleibt, sondern dass sich diese Entwicklung als nachhaltig erweist. Ganz entscheidend für uns ist, wie sich die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen weiterentwickeln werden.
Wichtig wäre hier, einen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber anzustrengen, wie wir unter anderen mit den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft in einer Solidargemeinschaft umgehen.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.