Psychische Erkrankungen
Neue Versorgungsformen gefragt
Der Landschaftsverband Rheinland setzt bei seinen ambulanten und teilstationären Versorgungsangeboten auf Dezentralisierung. Das soll vor allem schwer erkrankten Patienten das Leben etwas erleichtern.
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Gespräch in der Therapie: Psychische Erkrankungen sind oft mit Diskriminierung verbunden.
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KÖLN. Seit der Psychiatrie-Enquête hat sich die Situation von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Deutschland deutlich verbessert. Einen Grund, sich entspannt zurückzulehnen, gibt es deshalb aber noch lange nicht.
Von einer Entstigmatisierung der Betroffenen ist die Gesellschaft immer noch weit entfernt – im Gegenteil: Zurzeit sei eine zunehmende Tendenz der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verzeichnen, beklagte Ulrike Lubek, Direktorin des Landschaftsverbands Rheinlands (LVR), bei einem Symposium des Verbandes zum Thema "psychisch erkrankt heute" in Köln.
"Auch heute noch ist eine psychische Erkrankung in besonderer Weise mit dem Risiko der Ausgrenzung beziehungsweise der Diskriminierung verbunden." Auch in der Versorgung gebe es noch großen Handlungsbedarf.
Behandlungsrate liegt bei 37 Prozent
Heutzutage würden sich zwar mehr Menschen zu einer psychischen Erkrankung bekennen und Hilfen des Gesundheitswesens eher in Anspruch nehmen als früher, sagte Martina Wenzel-Jankowski, die für den Klinikverbund und den Verbund Heilpädagogischer Hilfen zuständige LVR-Dezernentin. Aber: "Die Behandlungsrate liegt mit 37 Prozent aller von einer psychischen Störung betroffenen Menschen immer noch sehr niedrig."
Der LVR setze darauf, den Menschen die Therapiemöglichkeiten näher zu bringen, und zwar durch die Dezentralisierung von teilstationären und ambulanten Behandlungsangeboten. Die Grenze zwischen der stationären und der ambulanten Versorgung führe nach wie vor zu einer Fragmentierung der Versorgung und zu Diskontinuitäten im Behandlungsverlauf, beklagte Wenzel-Jankowski.
Darunter hätten vor allem Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen und besonderen Bedürfnissen zu leiden. "Sie werden zu wenig erreicht, erhalten zu wenig und zu einseitig qualifizierte Behandlung, fallen aus den Versorgungsprozessen aufgrund unverbundener Leistungserbringung mit ständigen Zuständigkeitswechseln und landen zu oft in Zwangssituationen", betonte die Dezernentin.
Um für Abhilfe zu sorgen, setzt der LVR auf innovative Versorgungsmodelle. Die LVR-Klinik Bonn erprobt seit dem 1. Oktober 2016 mit Techniker Krankenkasse, Barmer und DAK die Einführung von qualitätsgesicherten stationsunabhängigen Krankenhausleistungen. Bei dem auf acht Jahre angelegten Projekt werden die Patienten von einem multiprofessionellen Team unter Leitung eines Oberarztes betreut und erhalten je nach individuellem Bedarf stationäre, teilstationäre und ambulante Leistungen.
"Nicht jeder Patient braucht das volle stationäre Programm", sagte Professor Markus Banger, Ärztlicher Direktor der Klinik. Er setzt auf die Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten. "Wir wollen nicht in den ambulanten Bereich eindringen." Die Klinik erhält von den Kassen dieselbe Vergütung wie bislang und kann selbst entscheiden, wie sie es für die verschiedenen Versorgungsebenen verwendet.
In Düsseldorf will das LVR-Klinikum spätestens ab dem 1. Januar 2018 mit der AOK Rheinland/Hamburg eine modulare Vergütung erproben. Das Düsseldorfer Modell ist weniger stark auf das Krankenhaus ausgerichtet. Ein Case Manager, der Patienten während ihrer gesamten Erkrankung betreut, soll das jeweils passende Behandlungsangebot vermitteln. Er sollte möglichst nicht in der Klinik angesiedelt sein, so Wenzel-Jankowski.
Verpflichtende Kooperationen nötig
Grundsätzlich lässt sich ihrer Ansicht nach die bedarfsgerechte psychiatrische Versorgung allein durch individuelle therapeutische Maßnahmen nicht gewährleisten. Gefordert seien verpflichtende Kooperationen und Vernetzungen aller regionalen Akteure. "Denn auch heute sind Versorgungsmängel nicht nur und schon gar nicht überwiegend auf Versorgungslücken, also fehlende Angebote zurückzuführen, sondern vielmehr auf gravierende Probleme, die sich entwickelnde Angebotsvielfalt sinnvoll zu koordinieren und auf die individuellen Bedürfnisse des psychisch erkrankten Menschen hin auszurichten."