securPharm

Neues Anti-Fälschungssystem soll Arzneimittel sicherer machen

Ein neues Sicherheitssystem für Arzneimittel geht an den Start. Damit soll der Schutz vor gefälschten Arzneimitteln innerhalb der legalen Vertriebswege erhöht werden. Fälschungen – etwa über illegale Onlineversender – bleiben aber ein Problem.

Ruth NeyVon Ruth Ney Veröffentlicht:
Tabletten – ein lukrativer Markt, auch für Kriminelle. Geschätzte 10 Milliarden Euro beträgt der Umsatzverlust für die EU-Pharmaindustrie jährlich durch Arzneimittelfälschungen.

Tabletten – ein lukrativer Markt, auch für Kriminelle. Geschätzte 10 Milliarden Euro beträgt der Umsatzverlust für die EU-Pharmaindustrie jährlich durch Arzneimittelfälschungen.

© @nt / stock.adobe.com

FRANKFURT/BERLIN. An diesem Samstag startet mit securPharm ein neues Schutzsystem in Europa, das bestimmte Sicherheitsmerkmale für rezeptpflichtige Arzneien vorschreibt. Die gleichnamige deutsche Organisation securPharm e.V., die von Industrie, Großhandel und Apothekerschaft initiiert wurde, hat dieses System gemäß den Vorgaben der EU-Fälschungsschutzrichtlinie entwickelt. Damit beginnt ein längerer Umstellungsprozess im gesamten legalen Arzneimittelvertrieb.

„Wir haben mit dem 9. Februar einen großen Meilenstein vor uns“, so Securpharm-Integrationsmanager Dr. Norbert Gerbsch bei einem Pressetermin am Dienstag in Berlin. Das System, so Gerbsch, „startet mit einem Basispaket“, das sukzessive mit Updates und möglichen Erweiterungen komplettiert wird und möglichst schnell in eine Routinephase übergehen

So müssen die Packungen künftig einen speziellen, individuellen  Produkt-Barcode aufweisen, mit dem sich per Scan in der Apotheke bei Abgabe an den Patienten die Echtheit jeder einzelnen Packung überprüfen lässt. Der Code enthält neben Angaben zur Seriennummer und dem Produktcode noch Chargennummer und Verfallsdatum. 

Als weiteres Sicherheitsmerkmal gibt es einen Öffnungsschutz. Dieser garantiert wie ein Siegeletikett, dass Schachteln nicht schon aufgemacht oder Pillen umverpackt wurden. Die Fälschungsrichtlinie geht auf eine EU-Vorschrift von 2011 (2011/62/EU, 8. Juni 2011; Falsified Medicines Directive) zurück.

Das sieht die EU-Richtlinie vor

Die Richtlinie sieht die Einführung harmonisierter europäischer Maßnahmen zur Bekämpfung von Arzneimittelfälschungen vor, zu denen gehören u. a.:

  • obligatorische Sicherheitsmerkmale auf der Umverpackung von Arzneimitteln
  • ein gemeinsames, EU-weites Logo zur Kennzeichnung legaler Versand- bzw. Internetapotheken
  • strengere Vorschriften für die Einfuhr von Arzneimittelwirkstoffen
  • strengere Anforderungen an die Dokumentation für Großhändler.

Die beiden neuen Sicherheitsmerkmale gelten für alle Verpackungen von verschreibungspflichtigen Medikamenten, die ein Hersteller neu in den Verkehr bringt. Das heißt, dass in der Zwischenzeit durchaus alte und neue Verpackungen noch im Umlauf sind und auch abgegeben und verwendert werden dürfen, was zur Verunsicherung von Patienten beitragen könnte, da die Packungen etwas unterschiedlich aussehen.

Wie funktioniert das securPharm-System genau?

Das individuelle Erkennungsmerkmal beinhaltet wie erwähnt vier Datenelemente: ein Produktcode, eine Seriennummer, die Chargenbezeichnung und das Verfalldatum. Im Produktcode ist in Deutschland u. a. die Pharmazentralnummer (PZN) des Arzneimittels enthalten, die eine eindeutige Identifikation von Fertigarzneimittelnamen, Darreichungsform, Wirkstärke, Packungsgröße und Verpackungsart ermöglicht. In anderen europäischen Ländern kann der Produktcode z. B. eine Kostenerstattungsnummer enthalten.

So sieht es aus: Der Matrix-Code ist wesentlicher Bestandteil der neuen Sicherheitsmerkmale.

So sieht es aus: Der Matrix-Code ist wesentlicher Bestandteil der neuen Sicherheitsmerkmale.

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Die Seriennummer besteht aus einer maximal 20-stelligen Folge numerischer oder alphanumerischer Zeichen, die zufällig erstellt wird. Als Datenträger für das individuelle Erkennungsmerkmal fungiert ein zweidimensionaler Data Matrix Code, der die maschinelle Lesung (Abscannen) der Daten erlaubt. Diese Daten werden vom pharmazeutischen Unternehmen in ein europaweites Datenbanksystem hochgeladen.

Die Überprüfung des Arzneimittels erfolgt dann durch Abscannen des Data Matrix Code in der Apotheke im Augenblick der Abgabe an den Patienten. Dabei wird dieser mit der Datenbank der pharmazeutischen Industrie abgeglichen und quasi "ausgebucht", die Seriennummer ist damit verbraucht. Sollte somit nochmal eine Packung mit der gleichen Nummer abgefragt werden, so würde die Software dies erkennen und das Arzneimittel als Fälschung melden.

Um den Datenschutz zu gewährleisten, wird die sogenannte Verifikationsanfrage aus den Apotheken anonymisiert über einen separaten Apothekenserver bearbeitet und weitergeleitet. Falls die Rückmeldung erfolgt, dass die Verifizierung des Arzneimittels fehlgeschlagen ist, muss von einem möglichen Fälschungsverdacht ausgegangen werden. Die betroffene Packung muss separiert werden und darf nicht abgegeben werden. 

Folgen für die ärztliche Praxis

Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) hat dazu bereits Ende vergangenen Jahres einen entsprechenden Hinweis erarbeitet – auch wenn Ärzte nicht primär von der Umsetzung der Fälschungsschutzrichtlinie in Deutschland betroffen sind. Dennoch könnten verunsicherte Patienten möglicherweise Rat bei ihrem Arzt suchen.

Ursache könnte etwa eine bei einigen Arzneimittel veränderte „Aufmachung“ sein (z. B. veränderte Größe und Form der Faltschachtel oder verändertes Design der Faltschachtel). Auch – insbesondere in der Anfangszeit – mögliche technische Probleme und Störungen seien nicht auszuschließen, die sich negativ auf die Arzneimittelversorgung auswirken könnten, etwa wenn dadurch Arzneimittel bei der Abgabe in der Apotheke irrtümlich als Fälschungen eingestuft würden und dann nicht abgegeben werden dürfen.

Ebenso könnten Handhabungsfehler in der Apotheke (z.B. doppeltes Abscannen) einen Fehlalarm auslösen. Bei einem nicht so häufig verordneten Arzneimittel, das nicht in großer Menge vorrätig gehalten werde, könnte eine solche Störung (theoretisch) dann einen kurzfristigen Versorgungsengpass bedingen – was wiederum ein Grund sein könnte, dass Patienten verunsichert den Arzt aufsuchten.

Kein Problem für die Praxis seien hingegen Ärztemuster: Diese müssen vom pharmazeutischen Unternehmen bereits vor der Abgabe an den Arzt aus dem System ausgebucht werden.

Um Patienten auf die Umstellung vorzubereiten, haben Apotheken zudem eine Aktion gestartet: Unter dem Motto „#unverzichtbar Neu: Fälschungsschutz dank securPharm“ werden dort unter anderem Handzettel verteilt mit Informationen zu den neuen Sicherheitsvorkehrungen. (für Apotheken als Download unter www.apothekenkampagne.de)

Wie häufig kommen Fälschungen über Apotheken vor?

Das securPharm-System ist eingebettet in ein europaweites Schutzsystem der legalen Lieferkette gegen gefälschte Arzneimittel. Zunächst gehen in 26 EU-Mitgliedstaaten sowie in Norwegen, Island und Liechtenstein die Sicherheitssysteme in Betrieb. Bis 2025 kommen dann auch die Systeme Italiens und Griechenlands dazu, wie securPharm e.V. mitteilt.

Das Projekt gehöre zu den größten Infrastrukturprojekten der Arzneimittelversorgung in Europa. Allein für Deutschland mussten nach securPharm-Angaben die Arzneimittelhersteller die Fertigung von fast 60.000 unterschiedlichen Produkten so umstellen, dass sie die neuen Sicherheitsmerkmale erhalten. Hierzulande werden pro Jahr rund 750 Millionen Packungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel in öffentlichen Apotheken abgegeben.

Die Zahl der Fälschungen in der legalen Lieferkette vom Hersteller über Großhändler bis in die Apotheken ist dabei bisher gering. 2018 seien weniger als zehn Verdachtsfälle gemeldet worden, teilt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dazu mit. Davon könnten dann aber jeweils etliche Packungen betroffen sein, zudem bleibe eine Dunkelziffer. Die Einnahme gefälschter Arznei könne „gravierende gesundheitliche Auswirkungen“ haben, warnt die Behörde.

Manipuliert würden Wirkstoffe und Zusammensetzungen, aber auch Herkunftsangaben. „Bei den Fälschungen handelte es sich meist um Originalware, die illegal umverpackt wurde oder um Originalware aus Diebstählen, die wieder in die legale Vertriebskette eingebracht wurde“, erklärt Maik Pommer, Sprecher am BfArM.

Das größte Fälschungstor ist der Onlinevertrieb

Weit größer bleibt aber nach wie vor das Problem mit Manipulationen im illegalen Handel, etwa im Internet oder mit geschmuggelter Ware. Bei der weltweiten Operation Pangea 2018 zogen Zoll- und Polizeibehörden in Deutschland rund 1200 Pakete und Briefsendungen binnen einer Woche aus dem Verkehr. 100.000 Tabletten, Kapseln und Ampullen gingen ins Netz, darunter verbotene Nahrungsergänzungsmittel und Schmerzmedikamente.

Besonders beliebt bei Kriminellen: Potenzmittel. Mit einem Kilogramm lasse sich auf dem Schwarzmarkt zwischen 90.000 und 100.000 Euro erzielen, schätzte das Bundeskriminalamt. Bei Heroin seien es 50.000 Euro. Zudem koste illegal gehandelter Viagra-Wirkstoff nur 60 Euro je Kilo, während für den Heroin-Rohstoff rund 7000 Euro fällig würden.

Für die Pharmaindustrie sind Fälschungen schmerzhaft. In der EU entgingen der Branche dadurch rund 10 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr, erklärte das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum 2016. Davon entfiel gut eine Milliarde auf deutsche Hersteller. Dazu kommt der Imageschaden, der Firmen durch Kriminelle entsteht. (mit Material der dpa; Mitarbeit: Ursula Jung)

Was müssen Ärzte tun?

Ärzte haben mit der Deaktivierung des individuellen Erkennungsmerkmals eines Arzneimittels im Securpharm-System nichts zu tun – auch dann nicht, wenn sie Bluterpräparate direkt vom Hersteller beziehen. Eine entsprechende Klarstellung hat jetzt das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage des Vereins Securpharm getroffen, wie der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) mitteilt.

Danach muss bereits der Hersteller, der ein Hämophilie-Präparat an einen niedergelassenen Arzt ausliefert, die auf der Packung aufgebrachte Seriennummer aus der Securpharm-Datenbank ausbuchen, „denn der Hersteller ist in diesem Fall auch Großhändler“ und die Arztpraxis laut Definition der einschlägigen EU-Richtlinie keine „Gesundheitseinrichtung“.

Nur Apotheken und Gesundheitseinrichtungen – Kliniken, Tageskliniken oder ein Gesundheitszentrum – müssen die Seriennummer deaktivieren. (cw)

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