Hauptstadtkongress
Nutzen von Früherkennung wird oft überschätzt
Der Effekt der Krankheitsfrüherkennung wird oft überschätzt - zum Teil auch von Ärzten. Die Wirkung von Vorsorge, die Verhaltensänderungen erfordert, wird dagegen eher unterschätzt. Das ist bei einer Diskussionsveranstaltung auf dem Hauptstadtkongress deutlich geworden.
Veröffentlicht:BERLIN. Schluss mit den Appellen und endlich mehr und bessere Informationen! Auf dem Berliner Hauptstadtkongress machten die Referenten bei der Veranstaltung "Neujustierung der Krankheitsfrüherkennung - Herausforderungen und Chancen für die Praxis" eine nüchterne Rechnung auf.
Zum Beispiel zum Brustkrebsscreening: "Ein bis zwei Frauen profitieren im Laufe von zehn Jahren vom Brustkrebsscreening", so Professor David Klemperer vom Deutschen Netzwerk evidenzbasierte Medizin. "Aber die Frauen überschätzen den Nutzen des Screenings um das 300-fache."
Petra Uschold vom GKV Spitzenverband resümierte: "Der Enthusiasmus bei der Krebsfrüherkennung ist verflogen."
Risiken werden oft verschwiegen
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Zugleich werden bei der Aufklärung der Patientinnen oft die Risiken und das Schadenspotenzial der Screening-Untersuchungen verschwiegen.
"Selbstverständlich gibt es auch Komplikationen bei der Früherkennung,", sagte Professor Ulla Walter von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), "aber viele Bürger, die am Screening teilnehmen, kennen nicht die Risiken."
Walter hat in einem Forschungsprojekt die Informations- und Aufklärungsbroschüren und Flyer sowie die Texte zum Thema im Internet ausgewertet.
Das Ergebnis sei deprimierend. Es wimmele von Falschaussagen, wie "Die Darmspiegelung dauert nur wenige Minuten" oder "Polypen können gefahrlos abgetragen werden".
Oder es fehlten wichtige Informationen. So fehlten bei einem Drittel der Flyer und bei einem Viertel der untersuchten Websites Informationen über den möglichen Schaden der Untersuchung.
Stattdessen verlegten sich die Print- und Web- Informationen auf das Warnen und Appellieren. "So werden Angst einflößende Formulierungen genutzt, man spricht etwa von tückischen Krankheiten".
Statt zur Untersuchung zu drängen, sei vor allem eine informierte Entscheidung über das Ja oder Nein zur Krebsfrüherkennung anzustreben, sagte Walter.
Tatsächlich habe inzwischen auch im nationalen Krebsplan, dem die Bundesregierung seit 2008 folgt, "die informierte Entscheidung Vorrang vor der Steigerung der Teilnehmerzahlen", sagte Dr. Antonius Helou vom Bundesgesundheitsministerium (BMG).
Ärzte brauchen mehr Infos
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Vor allem bräuchten auch Ärzte sorgfältige Informationen. Und das sei nicht immer der Fall.
So lagen laut Klemperer 51 Prozent der Ärzte falsch, als sie folgender Aussage zustimmten: "Nach der Krebsentdeckung durch ein Screening überleben mehr Patienten als bei einer anderen Art der Diagnose". Klemperer: "Wir kommen einfach nicht weiter, wenn Ärzte nicht bescheid wissen!"
Auch die Gesprächskompetenz des Share-decision-Making müsse dringend ausgebaut werden, um den Bürgern eine informierte Entscheidung überhaupt zu ermöglichen.
Wenn es also um die Nachjustierung der Krankheitsfrüherkennung geht, dann müssten laut Klemperer die Fachgesellschaften ihre Hausaufgaben machen und bei der Fortbildung nachjustieren.
"Wenn man die ernüchternden Erfolgszahlen der Screenings sieht, müsste das doch wie ein Donnerhall durch die Fachgesellschaften gehen!"
Mit weitaus positiveren Zahlen wartete der Sportmediziner Professor Bernd Wolfarth auf. Sie zeigen, dass die Prävention von Krebserkrankungen weit mehr ausrichten kann, als die Früherkennung: "30 Prozent aller Krebse kann man durch Prävention verhindern", sagte Wolfarth.
Also, nicht rauchen, nur wenig Alkohol trinken, wenig Fleisch essen und viel Bewegung, das heißt mindestens 150 Minuten in der Woche moderates Training. Allerdings seien auch hier die Kommunikationsfähigkeiten des Arztes gefragt. "Denn es ist schwer, die Leute langfristig zu motivieren."