Organspende: Überzeugen, nicht überreden
Ja, nein, vielleicht oder später: Die Bürger sollen sich mit dem Thema Organspende beschäftigen. Das fordern Politiker aller Fraktionen. Der Bundestag hat jetzt die Organspende-Reform auf den Weg gebracht.
Veröffentlicht:BERLIN (sun/jvb/ths). Etwa 75 Prozent der Bevölkerung sind Umfragen zufolge grundsätzlich bereit, Organe zu spenden. Lediglich 25 Prozent haben jedoch einen Organspendeausweis. Diese Kluft wollen alle fünf Fraktionen jetzt verringern.
In einer sehr emotionalen Debatte hat der Bundestag die seit langem geplante Organspende-Reform auf den Weg gebracht. Das erklärte Ziel ist es, dass möglichst viele Menschen ihre Bereitschaft erklären, ihre Organe nach dem Tod zu spenden.
Das Transplantationsgesetz soll die privaten und gesetzlichen Krankenkassen verpflichten, allen Versicherten über 16 Jahre Informationsmaterial und einen Spendeausweis zu schicken.
Freiwilligkeit das höchste Gut
"Wir können erwarten, dass sich die Menschen mit dem Thema Organspende auseinandersetzen", betonte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Er selbst kenne ein kleines Mädchen, dass jeden zweiten Tag fünf Stunden an ein Dialysegerät müsse. Ein normales Leben sei für das Mädchen nicht möglich.
"Es geht um Verantwortung, die wir übernehmen für Menschen, die unserer Hilfe bedürfen", sagte Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Fraktionschef glaubt, dass die Spendebereitschaft erhöht werden kann, wenn Organspende ein gesellschaftliches Thema wird.
Darum sollte die Organspende auch in den Schulen thematisiert werden, hatte er bereits im Vorfeld der Debatte im Morgenmagazin von ARD und ZDF gesagt.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte am Donnerstag in Berlin, dass das Thema Organspende an der Urangst der Menschen vor dem Tod rühre. Dabei waren sich alle Fraktionen einig: Bei der Entscheidung für oder gegen eine Organspende ist die Freiwilligkeit das höchste Gut.
Jeder müsse auch die Möglichkeit haben, sich bewusst nicht zu entscheiden. Der CSU-Politiker Wolfgang Zöller betonte: Es bleibe jedem überlassen, ob er mit "ja, nein, später oder ich entscheide mich gar nicht" antworte.
Diskussion soll am Frühstückstisch stattfinden
Transplantationsbeauftragte und Entscheidungslösung
Die Organspende-Reform besteht aus zwei Teilen.
Änderung des Transplantationsgesetzes: Kliniken sollen den Hirntod aller möglichen Organspender melden. Dafür werden sie verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen. Die halten auch den Kontakt zu den Transplantationszentren.
Entscheidungslösung: Krankenkassen und Privatversicherer sollen allen Versicherten über 16 Jahre alle zwei Jahre Informationen über Organtransplantationen und einen Spenderausweis zuschicken. Auf dem Ausweis kann die Entscheidung dokumentiert werden. Ab 2014 kann dafür auch die elektronische Versichertenkarte in Frage kommen. Niemand wird zur Entscheidung verpflichtet.
Die Passämter sollen diese Materialien dann aushändigen, wenn jemand einen neuen Ausweis beantragt.
Lebendspenden: Lebendspender werden besser gestellt. Ihre Kosten sollen die Kassen tragen. Für sie wird eine Entgeltfortzahlung eingeführt.
"Wir wollen nicht überreden, sondern überzeugen - das aber vielleicht etwas penetranter", sagte CDU-Politiker Jens Spahn. Es müssten Zeitpunkte und Orte für diese sehr persönliche - nicht immer rationale - Entscheidung geschaffen werden.
Die Diskussion solle nicht nur in der Gesellschaft, sondern in den Familien am Frühstückstisch stattfinden. Er selbst sei Organspender - doch die Spende seines Herzens habe er ausgeschlossen. "Ich kann nicht begründen, warum", betonte er.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi betonte, dass auch auf die Sorgen der Spender eingegangen werden müsse. Durch die Bereitschaft zur Spende werde man keinesfalls auf den Status eines "Ersatzteillagers" herabgestuft.
Grünen-Politikerin Birgitt Bender warnte davor, zu hohe Erwartungen bei den Bürgern zu wecken: "Wir dürfen nicht verschweigen, dass auch weiterhin Menschen sterben müssen, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen."
Bisher sterben jeden Tag drei Menschen, für die nicht rechtzeitig ein Spenderorgan gefunden wurde. Zudem müssten - auch, wenn eine Entscheidung des Betroffenen vorliege - die Angehörigen beraten werden.
"Für sie ist es ein abschiedloser Tod von einem noch warmen Körper", so Bender. Ein Hirntod sei nur der Beginn eines Sterbeprozesses.
Bahr: "Jeder Organspender ist ein Lebensretter"
Bundesgesundheitsminister Bahr äußerte sich zuversichtlich, dass die angedachten Änderungen am Transplantationsgesetz ihren Sinn erfüllen werden.
"Mit den geplanten Maßnahmen in beiden Gesetzesvorhaben bringen wir die Organspende einen großen Schritt voran. Und wir setzen ein deutliches Signal für eine höhere Spendebereitschaft", wird der Minister in einer Mitteilung zitiert.
Die Entscheidungslösung sei der richtige Weg. "Denn wer sich nicht entscheidet, legt die Entscheidung in die Hände der Angehörigen. Jeder Organspender ist ein Lebensretter. Er kann helfen, dass die Menschen, die dringend auf ein Organ warten, eine zweite Chance bekommen", sagte Bahr.
BÄK und Nephrologen sehen Reform positiv
Die Bundesärztekammer (BÄK) betonte, dass der Bundestag auf dem richtigen Weg sei. "Organspende ist Spende zum Leben", sagte BÄK-Chef Frank Ulrich Montgomery.
Es sei eine gute Nachricht für die rund 12.000 Patienten, die auf ein Spenderorgan warteten, dass der Gesetzgeber die Spenderbereitschaft erhöhen wolle.
Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) bewertet die Organspende-Reform äußerst positiv. „Das neue Transplantationsgesetz verbessert die Rahmenbedingungen für die Lebendspende entscheidend“, sagte Professor Jan Galle, Sprecher der DGfN in einer Mitteilung.
„Wir hoffen, dass nun mehr Menschen eine Lebendspende in Betracht ziehen, wodurch sich auch die generelle Situation des Organmangels und der intolerabel langen Wartezeiten entspannen würde.“
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