Skandal-Folge

Organspende mit Seltenheitswert

Skandale mit Folgen: Seit den Enthüllungen mutmaßlicher Schummeleien in der Transplantationsmedizin ist die Zahl gespendeter Organe massiv eingebrochen - keine guten Vorzeichen für die am 1. November in Kraft tretende Organspende-Reform.

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Einladung zur Organspende - das Vertrauen scheint dennoch erschüttert.

Einladung zur Organspende - das Vertrauen scheint dennoch erschüttert.

© Steinach / imago

BERLIN (af). Die mutmaßlichen Manipulationen und Unregelmäßigkeiten in den Transplantationszentren in Regensburg und Göttingen sowie die jüngsten Verdachtsfälle im Münchner Klinikum rechts der Isar zeigen Wirkung.

Die Zahl der Organspenden ist im Oktober auf unter 60 eingebrochen. Damit haben sich die Organspenden nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) im Vergleich zu den Vormonaten etwa halbiert.

Diese Entwicklung sei sehr bedauerlich, sagte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Frank Ulrich Montgomery, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Dies zeige, welch riesige Wirkung eine an sich nur kleine Menge von Fehlverhalten auslösen könne. Montgomery forderte alle Beteiligten zur Transparenz auf.

In diese Kerbe hieb auch der medizinische Vorstand der DSO, Professor Günter Kirste. Dem Sender NDR-Info sagte er, die Menschen seien nach den Transplantationsskandalen verunsichert.

Angehörige gäben inzwischen an, nach den Vorfällen kein Vertrauen mehr in die Organspende zu haben und wollten deshalb Organentnahmen bei ihren Angehörigen nicht zustimmen.

Kirste forderte schärfere Konsequenzen für alle beteiligten Ärzte und eine schnelle Aufklärung. Man müsse potenziellen Spendern sagen, was man unternommen habe, damit sich solche Unregelmäßigkeiten bei der Organzuteilung nicht wiederholten.

Am Donnerstag (1. November) tritt das "Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz" in Kraft. Erklärtes Ziel der Regierung ist es, damit die Organspendenbereitschaft in der Bevölkerung zu erhöhen.

FDP-Kritik an den Krankenkassen

Denn die befindet sich nicht erst seit den Skandalen dieses Jahres im Sinkflug. Von Januar und September 2010 hatte die DSO noch 961 Post-mortem-Organspender verzeichnet.

In den ersten drei Quartalen dieses Jahres waren es nur noch 829 - ein Minus von fast 14 Prozent. Schon im Vorjahreszeitraum (2011) war die Zahl der Spender deutlich auf 900 gesunken.

Ähnlich ist das Bild bei den postmortalen Organexplantationen: In den ersten drei Quartalen 2010 waren es noch 3135 Organe gewesen, in diesem Jahr sank die Zahl auf bislang 2777.

Das neue Gesetz verpflichtet die gesetzlichen Krankenkassen dazu, die Versicherten in regelmäßigen Abständen aufzufordern, eine Entscheidung zur Organspende zu treffen. Eine Pflicht, Ja oder Nein zu sagen, entsteht damit nicht.

Die Techniker Krankenkasse hat angekündigt, sofort mit dem Versand des Informationsmaterials und der Organspendeausweise zu beginnen. Die meisten anderen Kassen halten sich jedoch noch zurück und suchen zeitlichen Abstand zu den aktuellen Transplantationsskandalen.

Dies stößt auf wenig Verständnis in der Regierungskoalition: Es sei ein Ärgernis, wenn sich die Kassen ihrer Verantwortung entzögen und den Versand der Informationsmaterialien verschleppten, reagierte die Berichterstatterin der FDP-Fraktion in Sachen Transplantationsmedizin, Gabriele Molitor, unwirsch.

Indem Krankenkassen wie die AOK oder Deutschlands größte Betriebskrankenkasse, die Siemens BKK, den Eindruck erweckten, nicht voll hinter der Organspende zu stehen, verunsicherten sie die Bevölkerung weiter und verschärften damit das Problem der Organknappheit.

Die Informationsmaterialien, sofern bereits bekannt, werden den Hebel bei der Betroffenheit ansetzen und damit einen aus der politischen Debatte in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes bekannten Grundton anstimmen.

Transplantationsbeauftragte - Schlüssel zu mehr Organen

"Jeder, der sich zu Lebzeiten bei der Organspende entscheidet, entlastet damit seine Angehörigen, die sonst in einer für sie sehr schwierigen Phase befragt werden", sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) noch am Vorabend des Inkrafttretens des Gesetzes in Berlin.

In die gleiche Richtung argumentiert auch der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Jürgen Graalmann am Mittwoch: Wer die ihm gestellte Frage beantworte, bewahre im Todesfall seine Angehörigen vor einer oft erdrückenden und überfordernden Situation. Die AOK bietet ihren Versicherten bereits seit April eine Online-Entscheidungshilfe.

"Statt auf Fakten, Aufklärung und politische Verantwortung setzt der Gesetzgeber auf Werbung und Emotion", kritisierte der Vorstand der Patientenorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, das Paragrafenwerk.

Wichtige Themen wie die Hirntodkriterien, die Verteilungsgerechtigkeit und die rechtsstaatliche Kontrolle würden von dem Gesetz nicht erfasst.

Die Regelungen, die am Donnerstag in Kraft treten, sind Teil zwei des neuen Transplantationsgesetzes. Teil eins trat bereits im August in Kraft. Seit dem wird unter anderem geregelt, dass Kliniken, in denen Organe entnommen werden, zwingend einen Transplantationsbeauftragten benennen müssen.

Darin und in der regelmäßigen Schulung von Ärzten und Pflegepersonal sieht der Medizinische Direktor von Eurotransplant, Dr. Axel Rahmel, viel eher den Schlüssel, mehr Organe zu gewinnen. 12.000 Menschen in Deutschland warten auf ein Spenderorgan. Rund 1000 Menschen im Jahr sterben, weil sich nicht rechtzeitig ein Spender findet.

Informationskampagnen hätten nur begrenzten Einfluss auf die Zustimmungsraten, wenn er denn überhaupt messbar sei, schreibt Rahmel in der Zeitschrift "Transplant International".

Auch Ärztepräsident Montgomery hält die Transplantationsbeauftragten für die entscheidenden Werkzeuge um die Stimmung wieder zu drehen: Die Beauftragten in den Kliniken könnten den Angehörigen im persönlichen Gespräch die Unsicherheit nehmen.

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