Kontaktnachverfolgung
Corona-Pandemie offenbart Schwächen bei der Digitalisierung im ÖGD
Viele Programme, die im ÖGD genutzt werden, zeigen ergonomische Schwächen – was viel Arbeit bei der SARS-CoV-2-Kontaktnachverfolgung macht. Beim Kongress des Chaos Computer Club gewährte eine Entwicklerin Einblicke.
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Die Kontaktnachverfolgung von Corona-Indexfällen ist für die Gesundheitsämter eine große Herausforderung. Bisher helfen auch Bürger-Apps zur Erfassung der Kontaktdaten zum Beispiel in Restaurants wenig, hieß es jetzt beim Jahreskongress des Chaos Computer Clubs.
© Eibner-Pressefoto / picture alliance
Hamburg. In der Pandemie zeigt sich durchaus ein Scheitern vieler Digitalprojekte – auch im Gesundheitswesen. Diese Einschätzung gab die Software-Entwicklerin Bianca Kastl aus Dülmen im Rahmen des noch bis Donnerstag laufenden RC3, dem virtuellen Jahreskongress des Chaos Computer Club, ab. „Meldeketten, die umständlich und brüchig sind, überteuerte und unsichere Apps wie Luca, Impfportale, die arg umständlich sind, um zur Impfung zu kommen“, stehen für sie exemplarisch für die digitale Wunde des Pandemiemanagements, die Corona klaffen ließ und noch lässt.
Sie selbst habe im August vergangenen Jahres einen Hilferuf aus dem Gesundheitsamt des Landratsamtes Bodenseekreis bekommen – mit dem Auftrag, die Kontaktnachverfolgung zu digitalisieren. Denn in besagtem Gesundheitsamt beklagten die Mitarbeiter, bei der Nachverfolgung positiver Corona-Indexfälle für jede einzelne der genannten Personen immer wieder Adressdaten eingeben zu müssen – auch wenn diese im selben Haushalt wohnten.
„Sehr schnell kam aus der Benutzung im Pandemiealltag der Wunsch nach einer vereinfachten Anlagemöglichkeit für haushaltsnahe Personen auf. Weil sich das in der Kontaktnachverfolgung auf einen großen Prozentsatz aller Fälle beziehen kann“, resümiert Kastl.
Weiter Schwachstelle bei SORMAS
Und ergänzt mit Blick auf den konkreten Fall: „Ein Button, um in dem Kontaktnachverfolgungssystem eine Person im gleichen Haushalt anlegen zu können, war aus Programmiersicht einfach, hat in der täglichen Arbeit aber viel Nutzen gebracht.“
Was am Gesundheitsamt des Bodenseekreises nun möglich war, ist den Mitarbeitern in anderen Gesundheitsämter weiter nicht möglich – zumindest, wenn sie SORMAS (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System) nutzen. An die Kontaktnachverfolgungssoftware sollten eigentlich verbindlich zu Ende Februar 2021 alle bundesweit 375 Gesundheitsämter angeschlossen sein. Das Ziel ist immer noch nicht erreicht.
„Die einem solchen Verhalten an nächsten kommende Funktion in SORMAS ist ein Line-Listing, in dem zumindest der Bezug zum Fall voreingestellt werden kann für mehrere Kontaktpersonen, die anderen Informationen müssen aktuell in SORMAS aber noch bei jeder Kontaktperson nachgetragen werden“, gibt Kastl einen Einblick in den Maschinenraum der digitalen Corona-Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern.
Corona-Pandemie
SORMAS ist nicht in allen Gesundheitsämtern die Regel
Das bedeute unter anderem Zeitverlust und unnötige Arbeit. „Software, die als Projekt irgendwann ‚geshipt‘ wird, um deren Nutzung und Optimierung sich aber während der Entwicklung und der Nutzung nicht gekümmert wird, bringt Frustration und Ineffizienz“, bewertet sie diesen Zustand aus der Perspektive der Software-Entwicklerin.
Sichere Alternative zur Luca-App entwickelt
Unverständnis zeigt Kastl nach wie vor dafür, dass Baden-Württemberg zur Kontaktnachverfolgung die Luca-App gewählt hat, obwohl vor der Entscheidung relevante Sicherheitslücken nachgewiesen worden seien. Unter dem Dach der Björn-Steiger-Stiftung als Hauptsponsor und mit dem Innovationsverbund Öffentliche Gesundheit (INÖG) an Bord, treibt Kastl inzwischen als Verfahrensverantwortliche „IRIS connect“ voran.
„Im Prinzip ist IRIS connect nur die Schnittstelle zum Gesundheitsamt für Kontaktnachverfolgungslösungen, die App dazu liefert ein beliebiger Anbieter, der angebunden ist. Damit soll sichergestellt werden, dass sich viele schon bestehende App-Anbieter an eine sichere Plattform anbinden können und es eine gewisse Pluralität gibt“, verdeutlicht sie das Konzept.
Gremium „Pakt für den ÖGD“
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Die Länder, die IRIS connect einsetzen möchten, zahlten im Prinzip nur die Betriebskosten für Server und Zertifikate sowie Kosten für Support und Softwarepflege. Den Betrieb von IRIS connect könnte der Staat auch vollständig selbstständig bewerkstelligen, verdeutlicht Kastl. Im Vergleich zu anderen großen kommerziellen Anbietern seien die Kosten überschaubar.