Kommentar
Pflege-Murks auf den letzten Metern
Die Koalition hat sich auf einen Kompromiss zur Pflegereform verständigt. Union und SPD können damit ihr Gesicht wahren. Aber handwerklich gut gemacht ist die Sache nicht.
Veröffentlicht:Nach langem Streit scheint zumindest die kleine Pflegereform in trockenen Tüchern. Mit einem Milliarden-Zuschuss vom Bund und einem weiteren Pflegezuschlag für Menschen ohne Kinder will die Koalition höhere Löhne in der Altenpflege und niedrigere Eigenanteile von Pflegebedürftigen „gegenfinanzieren“.
Vom Ansinnen her ist das löblich, handwerklich allerdings fällt die Koalition damit durch. Was auf den ersten Blick nach einem weiten Sprung aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Hüpfer. Eine Milliarde Euro Steuerzuschuss pro Jahr vom Bund deckt den zusätzlichen Finanzbedarf in der Pflege bei Weitem nicht ab – die Kassen gehen von mindestens 4,5 Milliarden Euro im nächsten und weit über fünf Milliarden Euro im Folgejahr 2023 aus.
Gesundheitsminister Spahn weiß das, kann sich aber offenbar nicht gegen Finanzminister Scholz durchsetzen. Und vermutlich dürfte Scholz seinem politischen Konkurrenten den großen Wurf in Sachen Pflege vier Monate vor der Bundestagswahl dann auch nicht gönnen.
Ebenfalls unsauber arbeitet die Koalition bei den Tariflöhnen. Zwar taucht das Wort „Haustarifvertrag“ im aktuellen Gesetzesvorschlag nicht mehr auf. Doch in verschwurbelter Art öffnet der Änderungsantrag jenem doch wieder die Tür. Die Sorge der Gewerkschaft Verdi vor billigen „Gefälligkeitstarifverträgen“, die „Pseudogewerkschaften“ mit Anbietern abschließen, ist berechtigt.
Bei den Eigenanteilen wiederum ist zu bedenken, dass der geplante Zuschuss erst nach zwölf Monaten greifen soll. Im ersten Jahr im Heim bleiben die Pflegebedürftigen auf Kosten sitzen und drohen, in Altersarmut abzugleiten. Da etwa jeder fünfte Heimbewohner im ersten Jahr verstirbt, ist die geplante Regelung zudem zynisch.
Eine nachhaltige Pflegereform ist somit Aufgabe der nächsten Bundesregierung. Die Finanzfrage stellt sich immer dringlicher. Daher gehört die Reform nach der Wahl zügig und nicht – wie in der aktuellen Legislaturperiode geschehen – auf den letzten Metern umgesetzt.
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