Nachhaltigkeit in der Arzneimittelversorgung

Studie: Nicht nachhaltige Produktionsbedingungen führen zu mehr Antibiotikaresistenzen

AOK Baden-Württemberg, IWW und Umweltbundesamt sind der Frage der ökologischen Nachhaltigkeit in der Antibiotikaproduktion nachgegangen. Ein Forscher berichtet von Schwellenwertüberschreitungen, die er so „noch nie“ gesehen habe.

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Entnahme einer Umweltwasserprobe aus einem schwarzen Gewässer unterhalb des Oberflächenwasserablaufs einer Produktionsstätte für Antibiotika.

Entnahme einer Umweltwasserprobe aus einem schwarzen Gewässer unterhalb des Oberflächenwasserablaufs einer Produktionsstätte für Antibiotika.

© IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung

Berlin/Stuttgart. Die AOK Baden-Württemberg drängt auf mehr Nachhaltigkeit in der Produktion von Antibiotika. Der Vorstandschef der Kasse, Johannes Bauernfeind, verwies dazu am Freitag auf eine Pilotstudie der elf AOKen. Darin geht es um die Frage, wie ökologisch die Herstellung von Antibiotika – vornehmlich in Indien, aber auch in europäischen Staaten – ist.

„Die Ergebnisse bestätigen eine enorme Belastung der Produktionsabwässer und umliegender Gewässer mit antibiotischen Wirkstoffen“, so Bauernfeind. Aus der Untersuchung, die unter Federführung der AOK Baden-Württemberg und in Zusammenarbeit mit dem IWW Rheinisch-Westfälischen Institut für Wasserforschung und mit Unterstützung des Umweltbundesamtes erstellt wurde, gehe daher auch „dringender Handlungsbedarf“ hervor.

„Thema nicht länger ausklammern“

Das Thema dürfe in der politischen Debatte – auch und vor allem auf EU-Ebene – nicht länger ausgeklammert werden, so der AOK-Chef. Die Versorgung mit Arzneimitteln könne dauerhaft nur gesichert werden, wenn sie außer ökonomischen auch sozialen und ökologischen Kriterien genüge.

Die AOK Baden-Württemberg ist Verhandlungsführerin für die Arzneimittelrabattverträge der elf AOKen, die zusammen rund 27 Millionen Menschen bei Krankheit und Pflege versichern. 2020 hatte die Kasse ein „optionales Nachhaltigkeitskriterium“ in die Ausschreibung für Antibiotika eingebaut.

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Dabei erhalten pharmazeutische Hersteller bei der Auftragsvergabe einen Bonus, wenn sie sich freiwillig verpflichten, wirkungsbasierte Maximalkonzentrationen im Produktionsabwasser einzuhalten. Ziel sei es, Anreize für eine „umweltgerechtere Arzneimittelproduktion“ zu schaffen, ohne die Versorgungssicherheit aufs Spiel zu setzen, sagte Bauernfeind. „Man muss da durchaus sensibel mit umgehen.“

Gefährlicher Teufelskreislauf

Dass durch die Verschmutzungen ein gefährlicher Teufelskreislauf entstehe, machte die Leiterin des Fachgebiets Arzneimittel am Umweltbundesamt, Dr. Malgorzata Debiak, deutlich. „Belastete Produktionsabwässer sind ein wichtiger Grund für die Entstehung von Antibiotikaresistenzen – neben dem Risiko durch den massiven Einsatz von Antibiotika in der Human- und Veterinärmedizin.“

Breiteten sich multiresistente Keime im und über belastete Produktionsabwässer aus, gefährde dies die Wirksamkeit von Antibiotika ganz erheblich, erläuterte die Biologin. Debiak rief Politik, Hersteller wie Kassen auf, die Produktionsbedingungen im Blick zu haben, da sich antibiotikaresistente Keime in kurzer Zeit global ausbreiten könnten.

IWW-Wasserforscher Dr. Tim aus der Beek berichtete von teils massiven Schwellenwertüberschreitungen in untersuchten Produktionsabwässern. Bislang seien an zehn Standorten in Indien und Europa Wasserproben bei Herstellern entnommen und auf Antibiotika-Konzentrationen hin untersucht worden. Zudem habe das IWW Gewässerproben in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten analysiert.

Problem tritt nicht nur in Indien auf

„An 40 Prozent der untersuchten Produktionsstätten konnten wir zum Teil massive Überschreitungen der vertraglich zugesicherten maximalen Wirkstoffkonzentrationen im Produktionsabwasser oder in der angrenzenden Umwelt feststellen“, berichtete Beek. Die höchste Überschreitung – konkret um 11.000 Prozent – sei beim Antibiotikum Ciprofloxacin festgestellt worden.

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Auch andere Schwellenwertüberschreitungen hätten in Größenordnungen „von mehreren tausend Prozent“ gelegen. „Das sind Werte, die ich so noch nie gesehen habe“, betonte Beek. Das Problem trete aber nicht nur in Indien auf. „Von den beprobten Gewässern entstammt die Umweltprobe mit den meisten gemessenen Antibiotikafunden einem europäischen Bach.“ Derzeit starte man an Standorten in China mit entsprechenden Untersuchungen.

Zu viele ärztliche Verordnungen?

Zur Frage, ob zu viel und zu schnell Antibiotika verordnet würden, merkte AOK-Chef Bauernfeind an, Deutschland habe sich hier „deutlich weiterentwickelt“. Ärztinnen und Ärzte seien im Umgang mit Antibiotika-Verordnungen „sehr viel sorgsamer“ geworden. In Krankenhäusern habe der Einsatz von Breitbandantibiotika im präoperativen Bereich deutlich nachgelassen. „Es werden viel gezieltere Therapien eingesetzt.“

Eine Besonderheit in Deutschland sei zudem, dass Antibiotika verschreibungspflichtig seien. „Es gibt Länder in Europa, wo Sie das völlig frei, quasi im Drogeriemarkt, einkaufen können – ohne jede vernünftige Steuerung der Therapiemenge.“ (hom)

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