Diabetes-Surveillance
Potenzial ambulanter Betreuung ist enorm
Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund 600.000 Menschen neu an Diabetes. Mit einer Aufklärungs- kampagne will die Regierung Risikogruppen nun direkt ansprechen – auf allen Kanälen, kündigte Gesundheitsminister Gröhe auf der ersten Station seiner Sommerreise an.
Veröffentlicht:BERLIN. Im Behandlungsgeschehen von an Diabetes erkrankten Menschen schlummert ein gewaltiges ambulantes Potenzial: Zwischen fünf und zehn Prozent dieser Patienten werden aufgrund ihrer Diabetes-Grunderkrankung in Krankenhäusern betreut, obwohl sie auch ambulant versorgt werden könnten. Das sind erste Erkenntnisse aus der Diabetes-Surveillance, die derzeit beim Robert Koch-Institut aufgebaut wird. "Das ist eine Belastung für die Krankenhäuser, und es nutzt den Patienten eigentlich nichts", sagte Professor Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), bei der Sommerreise von Hermann Gröhe (CDU). Bis Freitag tourt der Bundesgesundheitsminister durch die Republik und besucht verschiedene Orte des Versorgungsgeschehens.
Neue Erklär-Videos
- Aufklärung zu Prävention und Co.: Mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums hat das Deutsche Diabetes-Zentrum 16 kurze Erklärfilme produziert.
- Über Social-Media-Kanäle sollen sie auch Risikogruppen erreichen.
In unserem Artikel finden Sie zwei Beispiele
Wieler räumte bei dem Besuch ein, dass genaue Daten noch nicht zur Verfügung stehen. Die Surveillance solle bis 2019 online gehen. Gröhe wies darauf hin, dass der Innovationsfonds Projekte zur Steuerung von Diabetes-Patienten in die ambulante und stationäre Versorgung finanziere.
Die Datenlage zur Volkskrankheit Nummer eins ist nach wie unbefriedigend. Auf 16,6 Milliarden Euro bezifferte Wieler die Kosten für die Versorgung der rund 6,5 Millionen Menschen mit Diabetes Typ 2 und der rund 500.000 von Typ 1 betroffenen Patienten. Dazu addierten sich die Kosten für die Behandlung der Folgeerkrankungen. Seit Jahren gehen Fachleute zudem von einer Dunkelziffer von etwa zwei Millionen nicht diagnostizierten Erkrankungen aus.
Diabetes ist nach Aussagen von Professor Michael Roden, Leiter des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ), ursächlich für jährlich 20.000 Amputationen, 2000 Erblindungen, 60.000 Schlaganfälle, 45.000 Herzinfarkte sowie 14.000 neue Dialysepflichtige. Die Krankheit könne auch bei der Entstehung von Demenz und Alzheimer eine Rolle spielen.
Die Deutsche Diabetesgesellschaft hat erst unlängst einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geschickt. In diesem warnt sie, dass die Krankheit das Gesundheitssystem jährlich 100 Milliarden Euro koste (die "Ärzte Zeitung" berichtete). Gröhe ist daher daran gelegen, mehr und zielgruppengerechter über die Krankheit aufzuklären und die "Auffindbarkeit der Informationen" zu verbessern, so der Minister.
Mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums hat das DDZ nun 16 kurze Erklärfilme produziert, die über Social-Media-Kanäle wie Facebook oder Twitter abgerufen werden können. Die Filme hat DDZ-Vorstand Michael Roden auf der Sommerreise vorgestellt. Sie sind Teil der Initiative "Diabetes – nicht nur eine Typ-Frage".
Die Filme behandelten sowohl Möglichkeiten der Prävention und lieferten auch Informationen zu den Folgeerkrankungen, sagte Roden. Sie sollen demnächst auch in türkischer und arabischer Sprache angeboten werden. Migranten gelten als eine besonders betroffene Risikogruppe.
Roden sprach sich gegen ein Screening von Krankenhauspatienten auf einen erhöhten HbA1c-Wert aus. Das sei auch eine Frage der Kosten. Über den Body Mass Index, den Bauchumfang, Alter und Geschlecht ließen sich Risiken gut abschätzen. "90 Prozent der über 50-Jährigen haben ein Problem", sagte Roden.
Ob eine Zuckersteuer zur Verringerung der Krankheitslast beitragen kann, darüber herrschte zwischen Minister und Bundesbehörden Dissens: Für RKI-Präsident Wieler ist eine solche Steuer kein Teufelszeug. "Das kann erfolgreich sein", sagte er zu Gröhe. Der wiederum drückte Skepsis aus: Man werde wissenschaftlich an dem Thema arbeiten müssen und so auch verhindern, über eine Verteuerung von Produkten soziale Hürden aufzubauen.
Der Minister gab die Präventionskarte auf seiner Reise an die Bildungspolitik in den Ländern weiter: Da Deutschland auf einem Weg weg von der Halbtagsbeschulung sei, müsse man auch auf eine gute Schulernährung in den Ganztagsschulen setzen.
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