Hartmannbund
Reinhardt: „Klinikreformen brauchen Dialog und Bereitschaft zum Kompromiss“
Die bislang häufig polarisierend geführte Debatte um Strukturreformen für die stationäre Versorgung braucht mehr Dialogbereitschaft, so das Plädoyer aller Teilnehmer einer Podiumsdiskussion bei der Hartmannbund-Hauptversammlung.
Veröffentlicht:Berlin. Die Strukturen der deutschen Krankenhausversorgung sind ebenso wie die Finanzierung der Kliniken dringend reformbedürftig. Die Diskussion darüber, so konstatierte der Hamburger Gesundheitsökonom Professor Jonas Schreyögg in einer Expertenrunde anlässlich der Hauptversammlung des Hartmannbundes am Freitag in Berlin, werde jedoch häufig polemisierend und allzu pauschal geführt.
Schreyögg, der schwerpunktmäßig zur Wirtschaftlichkeit und Qualität von Krankenhäusern und ambulanter Medizin forscht und dem Sachverständigenrat für Gesundheit angehört, plädierte für eine differenzierte Debatte über notwendige Reformprozesse und deren Voraussetzungen.
Eine stärkere Arbeitsteilung und Spezialisierung von Kliniken sei wünschenswert, stoße aber in der Praxis auf Grenzen, weil die Bundesländer trotz ihrer Planungshoheit unabdingbar auf die Mitwirkung der Krankenhausträger angewiesen seien. Eine wirksame Planungshoheit setze neue gesetzliche Grundlagen voraus.
Hoffnungen an Fallpauschalen nicht erfüllt
Die mit der Einführung der Fallpauschalen verbundene Erwartung, durch Wettbewerb Qualität und Wirtschaftlichkeit zu fördern, habe sich kaum erfüllt. Das Prinzip bundesweit einheitlicher Preise ohne Beachtung regionaler und struktureller Besonderheiten habe sich als nicht sachgerecht erwiesen. Anzustreben sei ein Mischsystem mit Vorhaltepauschalen unter Berücksichtigung von Versorgungsstufen, regional unterschiedlichen Kostenniveaus und der Leistungsqualität.
Ferner müsse ein neuer Leistungsbereich als Verbindungsglied zwischen stationärer und ambulanter Versorgung je nach regionalen Erfordernissen geschaffen werden: kommunale Versorgungszentren mit (teil-)stationärer Versorgung vor allem in den Fachgebieten Allgemeinmedizin und Geriatrie. In nahezu allen OECD-Ländern gebe es dafür Vorbilder, an denen sich Deutschland orientieren könne.
DKG ist auf dem Reformweg
„Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat sich auf den Reformweg gemacht“, unterstrich der Vorstandsvorsitzende der Kliniklobby, Dr. Gerald Gaß. Vor dem Hintergrund der starken Heterogenität der DKG, die die Interessen von rund 2000 Kliniken bündelt, sei dies eine Herausforderung. Man sei aber bestrebt, der Politik ein Angebot zu machen, mit dem sowohl die Versorgung als auch die Arbeitsbedingungen der Ärzte und Pflegekräfte verbessert werden könnten.
Grundsätzlich bestehe allerdings ein Zielkonflikt zwischen dem Anspruch auf hohe Qualität, Spezialisierung und Konzentration der Leistungen einerseits und dem Wunsch nach Wohnortnähe und Verfügbarkeit andererseits. Die Debatte über ausgeprägte Qualitätsmängel deutscher Kliniken hält Gaß allerdings für überzogen: „Ich widerspreche jeder Studie, die Qualität deutscher Krankenhäuser im internationalen Vergleich im unteren Drittel sieht.“
Qualitätsvergleiche seien oft nicht fair. Beispielsweise mit Dänemark: Drei Tage betrage dort die durchschnittliche Verweildauer – viel weniger als in Deutschland. Deshalb kämen in Dänemark auch sehr viel niedrigere Mortalitätsraten in Krankenhäusern zustande.
„Massive Repressionen gegen Ärzte“
Auf Basis seiner Forschungsarbeiten sieht der Sozialmediziner Professor Karl-Heinz Wehkamp von der Universität Bremen die Sicherung der Unabhängigkeit von Ärzten bei allen Fragen der Diagnose- und Indikationsstellung sowie bei der Therapiewahl vor dem Hintergrund knapper Ressourcen sowie eines fortschreitenden Digitalisierungs- und Globalisierungsprozesses als unabdingbar an.
Die Realität sei aber zum Teil von massiven Repressionen gegen Ärzte geprägt – durch Einflussnahme des Klinik-Managements auf vergütungsrelevante Diagnosestellungen. „Das widerspricht Recht und Ethik“, konstatiert Wehkamp.
Scharf kritisierte Wehkamp die heute in Deutschland gebräuchlichen Instrumente der Qualitätssicherung: Sie erfassten nur solche Qualitätsaspekte, die quantitativ messbar seien, nicht jedoch Dimensionen wie Zuwendung zum Patienten oder auch Zeit und Fähigkeiten zur Weitergabe von Expertise an junge Ärzte etwa im Rahmen der Weiterbildung. Dies werde von der Politik und den maßgeblichen Entscheidungsträgern ausgeblendet. Das Ergebnis sei, dass die gegenwärtig praktizierte Qualitätssicherung wirkliche Qualität verhindere.
Reinhardt mahnt differenzierteres Vergütungssystem an
Im Gegensatz zu seinen Vorrednern bestritt Professor Andreas Meier-Hellmann, Medizinischer Direktor der Helios-Kliniken, inadäquaten Druck auf Ärzte auszuüben. „Es muss für uns als private Träger einige rote Ampeln geben, und daher existieren für Ärzte bei Helios keine Incentives bei Erreichen betriebswirtschaftlicher Ziele.“
Allerdings sei es eine Aufgabe des Managements, die Leistungs- und Sortimentsstruktur der jeweiligen Standorte zu definieren, und dies könne auch ein Grund dafür sein, dass Ärzte darin ein Risiko für ihre Unabhängigkeit sähen. Das Instrument der Mindestmengen sei bei Helios – auch aus qualitativen Gründen – akzeptiert.
Das Resümee von Dr. Klaus Reinhardt, dem Vorsitzenden des Hartmannbundes: Die gegenwärtig praktizierte Qualitätssicherung erfasst nicht die gesamte Güte ärztlichen Handelns. Benötigt werde ein differenzierteres Vergütungssystem mit stärkeren Anreizen für Qualität – eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Expertenwissen erfordere.
Und mit „Argusaugen“ verfolge der Hartmannbund eine fortschreitende Kommerzialisierung auch der ambulanten Medizin, die inzwischen bis in die Praxen der Hausärzte reiche. Daher werde es auch darum gehen, gerade für die Langzeitbehandlung gute Bedingungen für die persönliche Arzt-Patientenbeziehung zu sichern.