Ärzte-Umfrage
Selbstausbeutung geht zu Ende
Jeder vierte niedergelassene Arzt will in fünf Jahren in Ruhestand gehen, zeigt eine Umfrage. Dass sich Nachfolger schlecht finden, verschärft die Situation. Der Ärztemonitor offenbart auch: Im Vergleich zu 2012 arbeiten die Praxischefs im Schnitt weniger.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Generation "Selbstausbeutung" geht in den Ruhestand. Die junge Generation rückt nur zögernd nach. Das ist eine der Erkenntnisse aus dem Ärztemonitor 2014, den die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), der NAV-Virchow-Bund und das Marktforschungsinstitut infas am Freitag vorgestellt haben.
Jeder vierte niedergelassene Arzt und ärztliche Psychotherapeut plant der Umfrage zufolge, in den kommenden fünf Jahren in Ruhestand zu gehen. Mehr als die Hälfte davon hat noch keinen Praxisnachfolger gefunden, zwei Drittel empfinden die Suche als schwierig.
Die Praxis verliere ihre Funktion als Altersvorsorge. "Das ist ein Skandal", sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Es bestehe Handlungsdruck kommentierte das Gesundheitsministerium die vorgelegten Zahlen.
Die Koalition wolle vor allem dem Hausärztemangel nach der Sommerpause mit einem Versorgungsgesetz entgegensteuern. Das Durchschnittsalter der Hausärzte lag zuletzt laut Bundesarztregister bei 54,1 Jahren. Rund 35.200 Vertragsärzte und -psychotherapeuten in Deutschland sind älter als 60 Jahre.
Dass die Arbeit aller ausscheidenden Ärzte auch nach 2020 wieder von niedergelassenen Ärzten wahrgenommen werden wird, glauben nicht einmal die Ärztevertreter selbst.
"Wir werden in bestimmten Bereichen keine Nachfolger mehr finden", prognostizierte der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Dirk Heinrich. Grundvoraussetzungen für die Niederlassung seien wirtschaftliche Sicherheit und die Anbindung an einen Ballungsraum.
Niederlassung für Gassen "Goldstandard"
Obwohl ausweislich der Umfrageergebnisse die Zahl angestellter Ärzte seit der letzten Erhebung im Jahr 2012 von zehn auf 15 Prozent gestiegen ist, bleibt für KBV-Chef Dr. Andreas Gassen die Niederlassung der "Goldstandard" ärztlicher Berufsausübung.
Das lässt sich an den hohen Zufriedenheitswerten der Ärzte und Psychotherapeuten ablesen, die ihre Tätigkeit praktisch zu 100 Prozent als "nützlich und sinnvoll" begreifen. 93 Prozent halten selbstständiges Arbeiten in der Praxis für möglich. 72 Prozent gaben an, ihre Arbeitszeiten flexibel gestalten zu können.
Immerhin 56 Prozent der Befragten sagten, sie könnten die Arbeit in der Praxis und ihr Familienleben gut miteinander verbinden. Die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt als eines der Haupthindernisse für die Niederlassung vor allem junger Medizinerinnen.
Die niedergelassenen Ärzte haben bereits begonnen, Zeit für das Leben außerhalb der Praxis freizuschaufeln. Das ist noch nicht von großem Erfolg gekrönt. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit ist seit der Umfrage 2012 von 56,5 auf 53,9 Prozent gesunken.
Psychotherapeuten verbringen knapp 43 Stunden in der Woche mit ihren Patienten. Im Schnitt behandeln Hausärzte am Tag 52 Patienten, Fachärzte 38, Psychotherapeuten sieben.
Trotz der Belastung macht praktisch allen Ärzten und Psychotherapeuten die Arbeit Spaß (94 Prozent / 99 Prozent). Das sei schließlich der Beruf, den man sich selbst ausgesucht habe, erklärte infas-Marktforschungsleiter Robert Vollmer diesen Wert.
Befragt hatte infas in den Monaten Februar bis Mai mehr als 10.000 Ärzte und Psychotherapeuten. Es war die zweite Umfrage dieser Art nach dem ersten Aufschlag 2012.
Mit Einkünften unzufrieden
Die hohe Erfüllung im Beruf steht in Kontrast zu Aussagen zum Einkommen und zur wirtschaftlichen Situation der Praxen. Zwar ist die Zufriedenheit mit dem Einkommen seit 2012 sowohl bei einer Mehrheit von Haus- als auch Fachärzten leicht gestiegen.
Zwei von fünf Ärzten sind aber mit ihren Einkünften unzufrieden. Bei den Psychotherapeuten ist die Zufriedenheit mit dem Einkommen im freien Fall. Im Vergleich zu 2012 ist die Zahl der Unzufriedenen um fast 20 Prozent auf 57 Prozent gestiegen. In der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation der Praxis spiegelt sich dies wider.
54 Prozent der Psychotherapeuten sind damit unzufrieden. Das sind 22 Prozent mehr als vor zwei Jahren. Bei den Hausärzten sehen 61 Prozent ihre Praxis gut aufgestellt, bei den Fachärzten 57 Prozent.
Im Trend liegt der Wunsch nach mehr Freizeit und kooperativen Arbeitsstrukturen. Die Einzelpraxis ist bereits in der Minderheit. Dazu zählen nur noch 48 Prozent der Praxen.
Fast die Hälfte delegiert Arbeiten wie Medikations- und Wundmanagement sowie Hausbesuche an Angehörige nichtärztlicher Heilberufe. Weitere Entlastung verspricht sich eine zunehmende Zahl von Ärzten durch die Teilnahme an Ärztenetzen.
Im Vergleich zu 2012 haben sich mit nun 32 Prozent fünf Prozent mehr Ärzte einem Arztnetz angeschlossen. Die Hälfte der befragten Ärzte gab an, über eine Beteiligung nachzudenken.
Der Patientenbeauftragte Karl-Josef Laumann (CDU) nannte die Entwicklung bei den Hausärzten besorgniserregend. Nötig seien auch finanzielle Anreize, sagte Laumann.
Die Instrumente dafür seien vorhanden. "Die Kassenärztlichen Vereinigungen machen davon jedoch kaum Gebrauch", sagte Laumann der Nachrichtenagentur "dpa". Kämen sie ihren Aufgaben nicht nach, "müssen wir über Alternativen nachdenken".
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