Koalitionsvertrag
Sicherstellung der KVen: Der Druck der Politik wächst
Die Ampel-Koalition sendet in ihren gesundheitspolitischen Vorhaben vielfältige Signale. Doch bei der Sicherstellung der Versorgung ist der Koalitionsvertrag glasklar: Der Staat mischt künftig operativ mit.
Veröffentlicht:Berlin. Die künftige Ampel-Koalition hat sich nach den Worten des mutmaßlich künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) eine „Politik der großen Wirkung“ vorgenommen. Die Koalitionspartner in spe wollten sich etwas zutrauen, sagte Scholz am Mittwochnachmittag bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags in Berlin. Das Gemeinsame der drei Partner finde sich darin, dass sie den „Status quo überwinden“ wollten, sagte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner.
Eingelöst wird dieser Anspruch im Gesundheits-Kapitel des Koalitionsvertrags indes nur teilweise. Einige angekündigte Schritte haben durchaus disruptiven Charakter, andere Vorhaben setzen auf maßvolle Weiterentwicklung von Reformen der vergangenen Legislatur.
Koalitionsvertrag vorgestellt
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HZV – weder Auf- noch Abwertung
Nimmt man den Koalitionsvertrag der Ampel-Partner beim Wort, erfährt der Status quo der hausarztzentrierten Versorgung in Deutschland keine Änderung – weder eine Aufwertung, noch eine Infragestellung. Aussagen zur künftigen Patientensteuerung in der GKV enthält das Papier nicht.
Aufhorchen lässt freilich der Satz, die Budgetierung der ärztlichen Honorare in der hausärztlichen Versorgung solle aufgehoben werden, nicht aber die für Fachärzte. Die 1993 von Horst Seehofer für zunächst drei Jahre eingeführte „Ausgabenbremse“ könnte demnach 2022 für Hausärzte enden – Details der Umsetzung sind freilich noch völlig unklar.
Dagegen deutet sich an, dass der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen auf den Prüfstand kommt. Ausdrücklich ist im Koalitionsvertrag von einer „gemeinsamen“ Sicherstellung in unterversorgten Regionen zusammen mit den KVen die Rede. Entscheidungen von Zulassungsausschüssen stehen künftig unter dem Vorbehalt einer Bestätigung der zuständigen Landesbehörde. Einen klaren Förderauftrag enthält der Vertrag im Hinblick auf Medizinische Versorgungszentren, die von Kommunen getragen werden – deren Gründung soll „erleichtert“ werden.
Mehr Wettbewerb an der Sektorengrenze
Als „zügig“ wird das Vorhaben deklariert, Hybrid-DRG aufzulegen, die eine gleiche Vergütung im ambulanten und stationären Sektor erfahren sollen. Das soll stationäre Leistungen, die als „unnötig“ angesehen werden, stärker in den Wettbewerb stellen.
Als einen neuen Baustein der Versorgung setzt die Ampel-Koalition auf multiprofessionelle Gesundheits- und Notfallzentren – offenbar sollen diese die Versorgung insbesondere dort stabilisieren, wo sie durch Klinikschließungen oder nicht nachbesetzte Hausarztsitze löchrig geworden ist. Neu zu schaffende Vergütungselemente sollen diese Zentren dabei privilegieren.
Vage bleiben die Pläne der Koalitionäre bei Selektivverträgen: Die Rede ist allein von „bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen“, die um das Stichwort „Gesundheitsregionen“ ergänzt werden – das kann als Hinweis auf die insbesondere von den Grünen favorisierte Regionalisierung der Versorgung gelesen werden.
Offen bleibt indes, ob der angekündigte größere Spielraum für Verträge auch eine finanzielle Incentivierung enthält. Auch das Bekenntnis zu einer sektorenübergreifenden Versorgungsplanung wird nicht durch weitergehende Umsetzungsschritte erläutert.
Neue, niedrigschwellige Anlaufstellen
Neue, niedrigschwellige Versorgungsangebote plant die Ampel für schlechtversorgte Kommunen und Stadtteile. Dort sollen nach dem Modell des Hamburger „Gesundheitskiosk“ oder der „Kümmerei“ in Köln Anlaufstellen geschaffen werden, die Beratungsangebote mit Prävention und Behandlung verbinden. Im ländlichen Raum sollen Gesundheitslotsen und Gemeindeschwestern ähnliche Versorgungs- und Beratungsleistungen unterhalb der Schwelle der ärztlichen Behandlung gewährleisten.
Hand anlegen will die Ampel bei der psychotherapeutischen Bedarfsplanung. Kapazitäten sollen „bedarfsgerecht und passgenau“ ausgebaut werden, um Wartezeiten insbesondere für Kinder und Jugendliche zu reduzieren.
Klare Unterstützungssignale erhalten zudem Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung (MZEB) sowie Sozialpädiatrische Zentren, eine institutionelle Sonderform der interdisziplinären ambulanten Krankenbehandlung.
Rettungswesen als eigener Part im SGB V
Beenden will die Ampel das Gerangel um die Notfallversorgung. Wer in den integrierten Notfallzentren (INZ) den Hut aufhaben soll, ist seit geraumer Zeit strittig. Jetzt bringt die Ampel ein Wahlmodell ins Spiel: Die KVen erhalten den ersten Zuschlag bei der Frage, wer die ambulante Notfallversorgung sicherstellt. Möchten sie das nicht, können KVen die Verantwortung in Absprache mit dem Land ganz oder teilweise auf die Betreiber der INZ übertragen.
Abräumen will die künftige Regierung auch den Streit über die Zuordnung des Rettungswesens: Es soll als eigener Leistungsbereich in das SGB V aufgenommen werden.
Leitplanken für Krankenhausplanung
Einen neuen Anlauf nimmt die Ampel, um die Krankenhausplanung- und -finanzierung in den Griff zu bekommen, bleibt im Koalitionsvertrag dabei aber noch sehr vage. Ärzte auf allen Ebenen der Klinikhierarchie beklagen seit geraumer Zeit den wachsenden Einfluss betriebswirtschaftlicher Ziele auf die medizinische Versorgung in den Kliniken. Weil die Länder etwa die Hälfte ihrer Beiträge zur Investitionsfinanzierung nicht leisteten, müssten sich die Krankenhäuser über Mengenausweitungen finanzieren, lautet ihr Argument. SPD, Grüne und FDP wollen darauf mit einem „Bund-Länder-Pakt“ reagieren.
Eine Regierungskommission soll „Leitplanken“ für eine auf Versorgungsstufen gegründete Krankenhausplanung vorlegen. Die Krankenhausfinanzierung soll zwischen Uniklinika, Maximal-, Regel- und Grundversorgern differenzieren. Mittel zum Zweck sollen Vorhaltepauschalen sein. In einem ersten Schritt aber sollen die Kinderstationen die Geburtshilfe und die Notfallversorgung mengenunabhängig finanziert werden.
Koalitionsvertrag
Die Gesundheitspolitik der Ampel-Koalition
Im fertigen Koalitionsvertrag taucht die Belohnung derjenigen Länder nicht mehr auf, die den „Leitplanken“ folgen wollen. Die vorgeschalteten Arbeitsgruppe hatte vorgeschlagen, diesen Ländern einen Teil der Investitionsmittel für die Krankenhäuser aus Bundesmitteln zu erstatten.
In der ablaufenden Legislatur war eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur sektorenübergreifenden Zusammenarbeit in den Mühlen der Ebene stecken geblieben. Immerhin soll nun der auf Vorarbeiten des Sachverständigenrates Gesundheit zurückgehende einheitliche fachärztliche Bereich mit einheitlicher Vergütungssystematik geschaffen werden.
Dynamischer Bundeszuschuss für die GKV
Gutachten sehen die Gesetzliche Krankenversicherung auf Rekorddefizite zusteuern. Ein Gutachten des Berliner IGES-Instituts prognostizierte ein Defizit von bis zu 35 Milliarden Euro bereits in 2025. Bei der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung will die Ampel-Koalition den über mehrere Jahre bei 14,5 Milliarden Euro im Jahr stabilen Bundeszuschuss nun regelhaft dynamisieren. Eine alte Forderung der Krankenkassen soll ebenfalls befriedigt werden. Die Beiträge für die Bezieher von Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) sollen künftig aus Steuermitteln kommen. Aus dem Vertragstext geht allerdings nicht deutlich hervor, ob die Beiträge grundsätzlich als versicherungsfremd anerkannt werden, oder ob nur Zuwächse in dieser Kostenposition ausgeglichen werden sollen.
Das Preismoratorium bei Arzneimitteln soll weiter gelten, haben die künftigen Koalitionäre beschlossen. Nicht in den Koalitionsvertrag geschafft hat es dagegen die Anhebung des Herstellerrabatts für patentgeschützte Arzneimittel von sieben auf wieder 16 Prozent. Vorteile dagegen könnten die Kassen aus einer von der Ampel-Koalition geplanten Änderung beim Marktzugang von Arzneiinnovationen ziehen. Der zwischen Kassen und Pharmaindustrie verhandelte Erstattungspreis soll künftig nicht erst nach zwölf, sondern bereits ab dem siebten Monat greifen. (fst/af)