30 Jahre Mauerfall
So gesund sind Ost und West
Bei der Gesundheit ist Deutschland zusammengewachsen: Das zeigen Daten des Robert Koch-Instituts und des Statistischen Bundesamts. Wo gibt es noch Unterschiede zwischen „hüben und drüben“?
Veröffentlicht:Berlin. Allen gesellschaftlichen Gräben zum Trotz: In Sachen Gesundheit haben sich die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland 30 Jahre nach Mauerfall erheblich verringert oder nahezu angeglichen.
Das geht aus der aktuellen Gesundheitsberichterstattung des Bundes durch das Berliner Robert Koch-Institut (RKI) und des Statistischen Bundesamtes hervor.
Zuletzt hatte auch die Bundesregierung ein überwiegend positives Bild der Gesundheitsversorgung in Ost und West gezeichnet. In ganz Deutschland könnten sich die Menschen „heute auf eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung verlassen“, hatte es im kürzlich vorgelegten Bericht zur Deutschen Einheit geheißen.
Auffällig sei, dass sich die Annäherung in puncto Gesundheit in vielen Bereichen schon in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung vollzogen habe, betonen RKI und Statistisches Bundesamt in ihrem Bericht.
Osten hat zum Westen aufgeschlossen
Die Angleichung sei vor allem positiven Entwicklungen zuzuschreiben, die sich in den neuen Ländern schneller vollzogen hätten als in den alten. Das gelte etwa für den Anstieg der Lebenserwartung oder den Rückgang der Herz-Kreislauf-Mortalität.
Bisweilen sei die Annäherung aber auch dadurch zustande gekommen, dass der Osten „quasi im negativen Sinne“ zum Westen aufgeschlossen und gesundheitsschädigende Angewohnheiten stärker als vor Mauerfall kopiert habe. Als Beispiel wird der Anstieg des Tabakkonsums bei ostdeutschen Frauen in den 1990er-Jahren genannt.
Während zum Zeitpunkt des Mauerfalls die mittlere Lebenserwartung bei Frauen in den alten Bundesländern noch mehr als zwei Jahre über der von Frauen in den neuen Ländern lag, hat sich dieser Unterschied inzwischen komplett aufgelöst: In Ost wie West werden Frauen im Schnitt 83,2 Jahre alt (siehe nachfolgende Tabelle).
Bei Männern ist es zwar zu keiner Angleichung der Lebenserwartung gekommen. Der Ost-West-Unterschied ist aber deutlich geringer geworden. So werden Männer im Osten im Schnitt 77,2 und im Westen im Schnitt 78,6 Jahre alt. Anfang der 1990er Jahre lagen noch gut drei Jahre Unterschied in der Lebenserwartung zwischen „hüben“ und „drüben“.
Die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat sich laut Report in den neuen Ländern in den vergangenen 30 Jahren an die in den alten angenähert. 1990 betrug die kardiovaskuläre Sterblichkeit demnach in der früheren DDR gegenüber jener in der alten Bundesrepublik das 1,52-Fache bei Frauen und das 1,44-Fache bei Männern.
Danach sank die „Übersterblichkeit“. Zuletzt betrug sie laut Bericht das 1,18-Fache bei Frauen und das 1,24-Fache bei Männern.
Wo gibt es Unterschiede?
Bei Krebsneuerkrankungen ergibt sich folgendes Bild: Frauen in den neuen Bundesländern haben niedrigere Inzidenzraten als Frauen in den alten. Bei den Männern ist es umgekehrt. Dabei haben sich die Unterschiede in den zurückliegenden Jahren kaum verändert. Die Sterblichkeit ist rückläufig, unterscheidet sich zwischen den neuen und den alten Ländern bei Frauen jedoch nur geringfügig.
Häufigste Krebsneuerkrankungen bei Frauen in Ost und West sind Brustkrebs (30,5 Prozent) und Darmkrebs (12,3 Prozent). Allerdings erkranken Frauen in den alten Ländern häufiger neu an Brustkrebs als in den neuen Bundesländern.
Auch die Sterberaten bei Brustkrebs liegen im Westen um etwa 20 Prozent höher als im Osten. Als „Schutzfaktoren für Frauen in Ostdeutschland“ kommen laut Report höhere Geburtenraten, ein niedrigeres Alter bei Geburt des ersten Kindes, seltenere Kinderlosigkeit und andere Lebensstilfaktoren in Betracht.
Bei Männern stellen Prostatakrebs (23 Prozent) und Lungenkrebs (13,9 Prozent) die häufigsten Krebsneuerkrankungen in Ost wie West dar. Mit Blick auf den Lungenkrebs bei Frauen zeigt sich wiederum, dass die Unterschiede zugenommen haben, da die Sterblichkeit in den alten Ländern schneller angestiegen ist als in den neuen.
Das sei insbesondere vor Mauerfall höheren Anteil an Raucherinnen in den alten Ländern geschuldet. Erst in vergangenen Jahren hätten sich die Raucherquoten zwischen Ost und West angeglichen (siehe nachfolgende Tabelle).
Häufiger Depressionen im Westen
Zu den psychischen Erkrankungen heißt es im Bericht, Unterschiede zwischen Ost und West seien „eher gering“. Während bei knapp 37 der Frauen in den neuen Bundesländern „irgendeine“ psychische Störung festgestellt worden ist, sind es bei Frauen in den alten demnach knapp 34 Prozent. Bei den Männern beträgt die Prävalenz gut 20 Prozent in den neuen gegenüber 23 Prozent in den alten Bundesländern.
Allerdings würden Depressionen in den alten Bundesländern öfter diagnostiziert. Als mögliche Erklärung nennt der Report neben einer unterschiedlichen Krankheitsverbreitung Unterschiede im Versorgungssystem. So gebe es in den alten Ländern eine weitaus höhere Versorgungsdichte an Psychotherapeuten. Dadurch bestünden „bessere Möglichkeiten der Diagnose“.
Vergleicht man die Adipositas-Prävalenz in den einzelnen Bundesländern, zeigt sich, dass sie in Ostdeutschland besonders hoch ist – in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen jeweils über 20 Prozent (siehe nachfolgende Tabelle).
Zum Abschluss ihres Berichts betonen die Autoren, dass der Blick auf verbleibende Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland womöglich „zu kurz“ greife. Stattdessen sei eine kleinräumigere Betrachtung anzustreben.
Diese sollte sich weniger an Himmelsrichtungen orientieren und stärker mögliche Unterschiede bei Gesundheit und medizinischer Versorgung zwischen Stadt und Land berücksichtigen – über ganz Deutschland hinweg. (Mitarbeit: ths)