Besuch in Kiel
Spahn: „Nicht ich bin der Spielverderber, das Virus ist es“
Bundesgesundheitsminister Spahn findet im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein viel Zuspruch – besonders für seine Ankündigung, es könnte weitere Finanzspritzen für Krankenhäuser geben.
Veröffentlicht:
Großer Auftrieb beim Besuch von Ministerpräsident Daniel Günther und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei UKSH-Chef Jens Scholz (von links).
© Dirk Schnack
Kiel. Ein halbes Jahr Pandemie in Deutschland: Das bedeutet auch ein halbes Jahr, in dem Jens Spahn (CDU) eine Aufmerksamkeit erfährt wie wohl kein Vorgänger im Amt des Bundesgesundheitsministers. Das äußert sich auch bei Spahns Besuch auf dem Kieler Campus des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH). Ein für Kiel ungewöhnlich großer Medientross verfolgt den Minister. UKSH-Chef Prof. Jens Scholz betätigt sich als Moderator, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) schlüpft in die Rolle eines Statisten und die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Professor Claudia Schmidtke, hält sich als Beobachterin komplett im Hintergrund.
Auch Regieanweisungen helfen derzeit wenig, wenn der Bundesgesundheitsminister auftaucht. Zu beobachten ist das, als Spahn die Leistungsschau des UKSH und eine Visite auf der Intensivstation bewältigt hat und zu dem Teil des Besuchs kommt, den er nachweislich gut beherrscht: das direkte Gespräch mit den Mitarbeitern. Dazu kommt es aber kaum, weil Journalisten so viele Fragen an ihn haben, dass sich die Beschäftigten zurückhalten.
Besser jetzt über Karneval reden, als eine Woche vorher
Spahn gelingt es dennoch, die Menschen im Klinik-Bistro für sich einzunehmen. Er spricht von seinen Erfahrungen, als er noch gekellnert hat, von Schützenvereinen, Karneval – und davon, wie schwer es fällt, in der Pandemie auf Geselligkeit und manche Veranstaltung zu verzichten. Zum Beispiel auf den Karneval: Einen Tag zuvor hatte er wie berichtet über eine Absage erstmals im Bundestagsgesundheitsausschusses nachgedacht. In Kiel verteidigte er den Gedanken ohne Widerspruch im Raum, als er sagt: „Es ist doch leichter, jetzt schon darüber zu sprechen, als erst eine Woche vorher. Es braucht Planungssicherheit.“
Seine Erinnerung „nicht ich bin der Spielverderber, das Virus ist es“ hätte es in Kiel nicht gebraucht – die Klinikmitarbeiter applaudieren ihm, als er von seiner Zuversicht spricht, auf die Erfolge Deutschlands in der ersten Pandemiewelle verweist und dies ins Verhältnis setzt zu den Dingen, auf die wir Pandemie bedingt verzichten müssen und die uns – Stichwort Maske und Abstand halten - den Alltag erschweren: „Das nervt. Aber im Vergleich zu allem, was passieren könnte, ist das das kleinere Übel.“
Infektionsdynamik bereitet Sorge
Diese Einordnung, das Rückbesinnen auf die Tragweite der Bedrohung einer „Jahrhundert-Pandemie“, streut Spahn mehrfach ein. Zum Beispiel, als er auf Spanien und die dort bestehende Sorge, dass alles wieder so schlimm wird wie vor einigen Monaten, verweist und damit die noch präsenten Lockdown-Bilder wachruft. Spahn versichert: „Es geht nicht um Endzeitstimmung, sondern um Ernsthaftigkeit.“
Der Minister geht auch auf die aktuelle Entwicklung ein: Die absolute Zahl der Infektionen allein macht ihm weniger Sorgen als die Dynamik, die sich in den vergangenen Wochen gezeigt hat und die daraus möglichen Folgen. Auch deshalb hält er es für richtig, wenn jetzt Maßnahmen wie Verzicht auf Karneval ins Spiel kommen. Auch bei privaten Feiern kann er sich eine neue Regelung vorstellen. Im Einklang mit Günther sprach er sich für eine bundesweite Regelung zur Begrenzung der Teilnehmerzahl aus, zu klären auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz. Trend: Es wird eher in Richtung der Länder gehen, die jetzt strengere Regeln haben.
„Entscheidungen von gestern“
Unter den UKSH-Mitarbeitern, die bislang 128 Corona-Patienten behandelt und die erlebt haben, dass Menschen an dem Virus sterben können, muss er nicht um Vorsicht werben und sich auch nicht für politische Entscheidungen rechtfertigen, die vor Monaten schlüssig schienen und später angepasst wurden. Das stellt Scholz klar, als er sagt: „Wissenschaft hat täglich neue Erkenntnisse, dann muss man daraus auch neue Schlussfolgerungen ziehen.“. Deshalb sei es mitunter unfair, Entscheidungen von gestern zu kritisieren.
Eine solche „Entscheidung von gestern“ war die pauschale Vergütung für frei gehaltene Betten an Universitätskliniken für Corona-Patienten. Diese reicht nach übereinstimmender Meinung der Hochschulen und der Wissenschaftsminister der Länder nicht aus. Spahn sicherte in Kiel zwar keine höheren Pauschalen für Unikliniken zu, stellte aber Hilfe für alle Krankenhäuser in Aussicht: Wenn diese in der Gesamtschau des Jahres 2020 wegen der freien Betten finanzielle Probleme nachweisen, soll es eine Nachbesserung geben. Einen entsprechenden Gesetzentwurf strebt Spahn für September an. Auch diese Ankündigung gefiel den Beschäftigten. Sie entließen den Minister mit einem kräftigen Applaus.