Lehren aus der Corona-Krise
Spanien will Konsequenzen aus der COVID-19-Pandemie ziehen
Die bisherige Bilanz der COVID-19-Pandemie hat grundlegende Systemfehler des spanischen Gesundheitswesens offengelegt. Jetzt wollen die Iberer reformieren – und mehr Geld in die Gesundheit buttern.
Veröffentlicht:Madrid. Am Sonntag endete in Spanien nach über drei Monaten der Corona-Notstand. Dank der europaweit striktesten und längsten Ausgangssperren hätten rund 450.000 Menschenleben gerettet werden können, erklärte Regierungschef Pedro Sánchez am Wochenende unter Verweis auf Expertenkreise in einer Fernsehansprache an die Nation.
Dennoch wurde Spanien mit mehr als 245.000 Erkrankten und über 28.300 Toten eines der am stärksten von der Pandemie betroffenen Länder der Welt. Um neue Infektionswellen schneller kontrollieren zu können und medizinisch besser auf neue Epidemien vorbereitet zu sein, kündigte Sánchez am Wochenende eine Expertenkommission aus Medizinern, Gesundheitsexperten und Epidemiologen an, die dem Parlament in den kommenden Wochen neue epidemiologische Aktionspläne vorlegen soll.
Ärzte in Kliniken besser schützen
Mit dem konservativen Oppositionsführer Pablo Casado will Sánchez im Sommer Reformen für das öffentliche Gesundheitssystem aushandeln. Dabei soll es vor allem um Vereinbarungen gehen, um die Zusammenarbeit der Gesundheitszentren mit den Kliniken und zwischen der Zentral- und den Regionalregierungen zu erleichtern und zu flexibilisieren.
Priorität habe allerdings, die erneute Ansteckung des Gesundheitspersonals sowie von Pflegekräften in Altenheimen durch neue Schutzprotokolle zu verhindern, so Sánchez.
Das forderte auch Spaniens Ärzteschaft am Samstag lautstark bei landesweiten Protesten in über 40 Städten. Im Kampf gegen COVID-19 infizierten sich 52.036 Ärzte und Pfleger, 21 Prozent sämtlicher Corona-Fälle in Spanien. Fast zwölf Prozent kehrten aufgrund Personalmangels an ihren Arbeitsplatz zurück, ohne zuvor auf Antikörper getestet worden zu sein. „Der Unmut unter dem Ärztepersonal ist enorm, der Reformbedarf des Gesundheitssystems noch größer“, sagt Javier Padilla.7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) will die spanische Regierung künftig für das staatliche Gesundheitswesen ausgeben. Bisher sind es 5,9 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland haben die Gesundheitsausgaben nach Angaben der OECD einen Anteil von 11,2 Prozent am BIP.
Der Allgemeinmediziner und Gesundheitsexperte fordert nicht nur mehr Investitionen ins öffentliche Gesundheitssystem und eine Verdreifachung der Intensivstationsbetten, sondern auch eine Stärkung der Telemedizin, die sich im Zuge der Epidemie gut bewährt habe, um die Gesundheitszentren zu entlasten. Die Koordination zwischen den für die medizinische Grundversorgung zuständigen Zentren und den Krankenhäusern müsse zudem vereinfacht werden, so Padilla.
Altenheime waren Hotspot
„Und nicht nur zu den Krankenhäusern“, stellt Pilar Ramos vom spanischen Verband privater Altenheime (CEAPS) klar. „Während der Epidemie wurden wir vollkommen alleine gelassen. Wir durften teilweise weder infizierte Altenheimbewohner in Krankenhäuser bringen, noch kamen Ärzte in unsere Seniorenresidenzen, um uns dort zu unterstützen“, berichtet er. Mit fast 20.000 Corona-Toten stellen Spaniens Altenheime einen Großteil der Virusopfer im Land. Gesundheitsminister Salvador Illa kündigte an, die medizinische Versorgung der Altenheime grundlegend zu verbessern.
Bau einer Notfallklinik startet
In dieser Woche beginnen in Madrid die Bauarbeiten für ein neues Epidemie-Notfallkrankenhaus mit über 1000 Betten. Das epidemiologische Forschungszentrum und Notfallkrankenhaus mit über 40.000 Quadratmetern soll bereits im Herbst den Betrieb aufnehmen.
Jüngst verabschiedete die Regierung ein Neun-Milliarden Euro Budget, mit dem die für die Gesundheitspolitik zuständigen Regionalregierungen nicht nur die Krankenhäuser und staatlichen Gesundheitszentren personell verstärken, sondern auch Reserven an Viren-Tests, Schutzmaterial und ausreichenden Beatmungsgeräten anlegen sollen. Minister Illa erklärte, die öffentlichen Ausgaben für das staatliche Gesundheitswesen sollen von derzeit 5,9 auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts angehoben werden, um das System für Notfallsituationen zu stärken.