World Health Summit
Steinmeier: Egoismus „unethisch und dumm“
Die Botschaften zum Auftakt des World Health Summit waren eindeutig. SARS-CoV-2 und andere globale Gesundheitsbedrohungen werden sich nicht mit national orientierten Lösungen eindämmen lassen.
Veröffentlicht:Berlin. Im Vorfeld einer weltumspannenden Impfkampagne haben Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, Vertreter internationaler Organisationen und Pharmaunternehmen vor Kirchturmspolitik gewarnt. Der Rückzug hinter nationale Grenzen sei kein wirklicher Ausweg aus der Krise.
„Der Ausweg liegt in einer globalen philanthropischen Anstrengung“, sagte Steinmeier zum Auftakt des World Health Summit am Sonntag. Die Haltung gemäß dem Spruch „Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht!“ sei nicht nur unethisch, sondern sogar dumm.
Wer so handeln wolle, mache sich zum Gefangenen seiner eigenen Grenzen. Niemand sei sicher, bevor nicht alle sicher seien, betonte der Bundespräsident. Er appellierte an die nächste Regierung der Vereinigten Staaten, sich wieder globalen Initiativen zu öffnen. Die USA haben im Sommer ihren Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Wirkung ab Mitte 2021 besiegelt.
Impfstoff sofort für alle ist Illusion
Steinmeier warnte gleichzeitig vor der Illusion, dass nach einer Zulassung sofort ausreichende Mengen an Impfstoff zur Verfügung stünden. „Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Staaten, die sich Impfstoffherstellern nicht als Vorzugskunden andienen können“, sagte Steinmeier. Es müssten daher bereits jetzt Regeln aufgestellt werden, wie aus den Impfstoffen ein „globales öffentliches Gut“ werden könne.
Vertreter der Pharmaindustrie argumentierten bei der virtuellen Eröffnung des Weltgesundheitsgipfels ebenfalls in diese Richtung. Die Impfstoffe müssten „erschwinglich und weltweit zugänglich“ sein, sagte Paul Hudson, CEO von Sanofi. Die Welt müsse zu einer strategischen Gesundheitspolitik finden.
Diese Investition müsse geleistet werden, weil die Kosten einer nicht eingedämmten Pandemie deutlich höher ausfallen würden. Die Industrie handele nach dem Prinzip „Geschwindigkeit und Zusammenarbeit“.
Kooperation auf mehr Krankheiten ausweiten
Nanette Cocero, Präsidentin für globale Impfstoffentwicklung bei Pfizer, unterstrich die Notwendigkeit einer „echten, weltweiten Zusammenarbeit“ für die Beschleunigung der Entwicklungsanstrengungen. Pfizer kooperiert mit dem Mainzer Unternehmen BioNTech.
„Normalerweise dauert es zehn Jahre, einen Impfstoff zu entwickeln“, sagte Cocero. Die Unternehmen hätten klargemacht, dass auf keinen Fall Sicherheitsstandards dem hohen Entwicklungstempo geopfert werden dürften. „Wenn wir das Niveau der aktuellen internationalen Zusammenarbeit halten, können wir auch anderen Infektionskrankheiten schwere Schläge versetzen“, sagte Cocero.
Die Direktorin des UN-Aids-Programms der Vereinten Nationen, Winnie Byanyima aus Uganda, forderte alle forschenden Pharmaunternehmen auf, ihr pharmakologisches und technisches Wissen im Zusammenhang mit COVID-19 zu teilen, um schnell die weltweite Produktion an Impfstoff steigern zu können.
Dazu sollte die globale Pharmaindustrie weltweit in mehr Regionen als bisher investieren. Sie warnte zudem vor der Gefahr, dass internationale Hilfsgelder zum Beispiel für Aids-Programme nun in den Schutz gegen COVID-19 umgeschichtet werden könnten. Das wäre kontraproduktiv.
Ghebreyesus: Pandemie zeigt kritische Lücken auf
Auf multilaterale Initiativen, Menschen in prekären Lebensverhältnissen Zugang zu COVID-19-Impfungen zu verschaffen, verwies EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Über die Plattform COVAX unter der Führung der Impfallianz GAVI, der WHO und der Forschungsallianz CEPI sollen zwei Milliarden Impfdosen dafür reserviert werden.
Die EU beteilige sich mit 400 Millionen Euro daran. Von der Leyen betonte die Notwendigkeit „robuste Informationen“ über die Wirksamkeit und Effektivität der weltweiten Impfkampagne zu gewinnen. Die Vorarbeiten dazu sollten bereits jetzt aufgenommen werden.
Die Pandemie zeige, dass der Begriff „globale Gesundheit“ keine leere Formel mehr sei. Sie bedeute für viele Länder einen „gefährlichen Moment“. Es sei jetzt an der Zeit von Ad hoc-Reaktionen zu Langzeitplanungen zu kommen, sagte Ghebreyesus mit Blick auf nach wie vor bestehende Unterentwicklung. Schwache öffentliche Gesundheitssysteme trieben die Ungleichheit.
Die Pandemie zeige kritische Lücken in der Versorgung vieler Menschen mit sauberem Wasser und Hygiene auf. Diese Defizite müssten sofort beantwortet werden. „Nur starke Gesundheitssysteme sind resiliente Systeme“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus. Es sei aber niemals zu spät, das aktuelle Ausbruchsgeschehen unter Kontrolle zu bekommen.