Leitartikel
Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid sind zwei Paar Schuhe
Die Koalition hat angekündigt, die Beihilfe zum Suizid gesetzlich regeln zu wollen. In einem Beschluss sprechen sich die Regierungsfraktionen jetzt gegen aktive Sterbehilfe aus. Das zeigt das Dilemma um zwei ähnlich lautende Begriffe.
Veröffentlicht:BERLIN. In der aktuellen Debatte um Sterbehilfe und den assistierten Suizid reagieren Ärzte sensibel. So auch, nachdem die Spitzen von Union und SPD kürzlich über eine Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung diskutiert und anschließend einen Beschluss veröffentlicht hatten, der prompt für Irritationen sorgte.
"Aktive Sterbehilfe", heißt es in dem Papier sei nicht die richtige Antwort auf die Sorgen und Nöte Schwerstkranker und Sterbender. Das nahm Wunder.
Aktive Sterbehilfe, mithin Tötung auf Verlangen oder Totschlag, ist in Deutschland seit jeher verboten und außerhalb der politischen Diskussion. Insofern hatten die Koalitionsspitzen eine Binse verbreitet.
Und dennoch musste die aktive Sterbehilfe als Minimalkonsens für die führenden Köpfe der Fraktionen herhalten, um den geplanten - und breit gewünschten - Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung zu rechtfertigen.
Ärzte reagierten erschrocken. Zu Recht! Der Begriff aktive Sterbehilfe muss in einer Debatte über ein ethisches Gut glasklar definiert sein. Aktive Sterbehilfe ist ein Tötungsakt.
"Bevor nicht jeder, der irgendwann über Sterbehilfe im Bundestag abstimmen wird, im Schlaf den Unterschied zwischen ‚aktiver Sterbehilfe‘, Sterben zulassen und Beihilfe zur Selbsttötung erklären kann, sollte keine Abstimmung über eine solch lebenswichtige Frage stattfinden dürfen, bei der der Fraktionszwang ja expressis verbis aufgehoben wird und die höchstpersönliche Entscheidung aufgehoben ist", schrieb Sitte der "Ärzte Zeitung".
Koalition wählt den falschen Begriff
Da hat der Palliativmediziner Recht. Die Erklärung für die Aufnahme der aktiven Sterbehilfe in den Kanon offizieller Bezugsgrößen in der Diskussion über den assistierten Suizid und den geplanten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung klingt banal.
Es gibt fünf teilweise fraktionsübergreifende Positionspapiere. Keine der Parlametariergruppen fordert ausdrücklich eine Bestrafung von Ärzten, die einem schwerstkranken Patienten, der nicht mehr therapiert werden kann, bei der Selbsttötung hilft.
Dennoch wollten die Fraktionsspitzen in ihrem Papier keinen dieser Anträge präferieren und flüchteten sich dafür in den kleinsten gemeinsamen Nenner: die Ablehnung der Tötung auf Verlangen, die aktive Sterbehilfe.
Gleichzeitig war der Beschluss kein freundlicher Akt gegenüber Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).
Er macht deutlich, dass sehr wohl ein Konnex besteht zwischen einem wie immer gearteten Gesetz zur Sterbehilfe und zum Umgang mit organisierten Sterbehilfeorganisationen auf der einen Seite sowie der Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung auf der anderen.
Dass das Hospiz- und Palliativgesetz den Weg zu einer restriktiveren Haltung auch gegenüber dem ärztlich assistierten Suizid, also zu einer Wegnahme ärztlichen Freiraums, ebnen soll, wird von offizieller Seite bislang meist bestritten. Das Hospiz- und Palliativgesetz habe einen eigenen Wert, hatte Gröhe vor Kurzem noch der "Ärzte Zeitung" gesagt.
Diesen Argumentationsstrang haben die Parlamentarier mit ihrem Beschluss durchschnitten. Solange Menschen eben nicht schmerzfrei, so gut es eben geht angstfrei, medizinisch, psychologisch und seelsorgerisch versorgt sterben können, bleibt die Nachfrage nach Hilfe beim Suizid höher, als sie mit einer vernünftigen Palliativversorgung ausfällt.
Ethikrat: Arzt-Patienten-Verhältnis schützen
Hinter dem Beschluss der Fraktionsspitzen der großen Koalition könnte aber auch schlicht die Aufgabe des Projektes stecken, wie es ursprünglich angeklungen war. Am Montag war aus Koalitionskreisen zu hören, dass möglicherweise nicht mehr mit einer für Ärzte bedenklichen Regulierung der Sterbehilfe zu rechnen sei.
Im Sinne der Suizidprävention sei es für schwer kranke Menschen wichtig, in ihrem Arzt auch dann einen vertrauensvollen Ansprechpartner zu sehen, wenn sie mit dem Wunsch nach einem vorzeitigen Tod rängen, hatten die Ratsmitglieder in einer Ad hoc-Empfehlung Ende 2014 formuliert.
Die geltende Gesetzeslage, wonach weder ein Suizid noch eine Beihilfe strafbar seien, stehe im Einklang mit den Prinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates.
Vor allem eine gesonderte Strafbarkeit ärztlicher Suizidbeihilfe lehnten die Ratsmitglieder ab. Es wäre gut, wenn die Koalition an dieser Stelle dem Ethikrat folgen würde.