Leitartikel

Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid sind zwei Paar Schuhe

Die Koalition hat angekündigt, die Beihilfe zum Suizid gesetzlich regeln zu wollen. In einem Beschluss sprechen sich die Regierungsfraktionen jetzt gegen aktive Sterbehilfe aus. Das zeigt das Dilemma um zwei ähnlich lautende Begriffe.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. In der aktuellen Debatte um Sterbehilfe und den assistierten Suizid reagieren Ärzte sensibel. So auch, nachdem die Spitzen von Union und SPD kürzlich über eine Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung diskutiert und anschließend einen Beschluss veröffentlicht hatten, der prompt für Irritationen sorgte.

"Aktive Sterbehilfe", heißt es in dem Papier sei nicht die richtige Antwort auf die Sorgen und Nöte Schwerstkranker und Sterbender. Das nahm Wunder.

Aktive Sterbehilfe, mithin Tötung auf Verlangen oder Totschlag, ist in Deutschland seit jeher verboten und außerhalb der politischen Diskussion. Insofern hatten die Koalitionsspitzen eine Binse verbreitet.

Keiner der teilweise fraktionsübergreifenden fünf Positionspapiere im Parlament spricht sich für aktive Sterbehilfe aus, wie sie zum Beispiel in Belgien und in den Niederlanden zulässig ist.

Und dennoch musste die aktive Sterbehilfe als Minimalkonsens für die führenden Köpfe der Fraktionen herhalten, um den geplanten - und breit gewünschten - Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung zu rechtfertigen.

Ärzte reagierten erschrocken. Zu Recht! Der Begriff aktive Sterbehilfe muss in einer Debatte über ein ethisches Gut glasklar definiert sein. Aktive Sterbehilfe ist ein Tötungsakt.

Das Auftauchen des Terminus in einem offiziellen Fraktionsbeschluss ließ auch den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Palliativstiftung, Thomas Sitte, zusammenzucken.

"Bevor nicht jeder, der irgendwann über Sterbehilfe im Bundestag abstimmen wird, im Schlaf den Unterschied zwischen ‚aktiver Sterbehilfe‘, Sterben zulassen und Beihilfe zur Selbsttötung erklären kann, sollte keine Abstimmung über eine solch lebenswichtige Frage stattfinden dürfen, bei der der Fraktionszwang ja expressis verbis aufgehoben wird und die höchstpersönliche Entscheidung aufgehoben ist", schrieb Sitte der "Ärzte Zeitung".

Koalition wählt den falschen Begriff

Da hat der Palliativmediziner Recht. Die Erklärung für die Aufnahme der aktiven Sterbehilfe in den Kanon offizieller Bezugsgrößen in der Diskussion über den assistierten Suizid und den geplanten Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung klingt banal.

Es gibt fünf teilweise fraktionsübergreifende Positionspapiere. Keine der Parlametariergruppen fordert ausdrücklich eine Bestrafung von Ärzten, die einem schwerstkranken Patienten, der nicht mehr therapiert werden kann, bei der Selbsttötung hilft.

Dennoch wollten die Fraktionsspitzen in ihrem Papier keinen dieser Anträge präferieren und flüchteten sich dafür in den kleinsten gemeinsamen Nenner: die Ablehnung der Tötung auf Verlangen, die aktive Sterbehilfe.

Gleichzeitig war der Beschluss kein freundlicher Akt gegenüber Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).

Er macht deutlich, dass sehr wohl ein Konnex besteht zwischen einem wie immer gearteten Gesetz zur Sterbehilfe und zum Umgang mit organisierten Sterbehilfeorganisationen auf der einen Seite sowie der Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung auf der anderen.

Dass das Hospiz- und Palliativgesetz den Weg zu einer restriktiveren Haltung auch gegenüber dem ärztlich assistierten Suizid, also zu einer Wegnahme ärztlichen Freiraums, ebnen soll, wird von offizieller Seite bislang meist bestritten. Das Hospiz- und Palliativgesetz habe einen eigenen Wert, hatte Gröhe vor Kurzem noch der "Ärzte Zeitung" gesagt.

Diesen Argumentationsstrang haben die Parlamentarier mit ihrem Beschluss durchschnitten. Solange Menschen eben nicht schmerzfrei, so gut es eben geht angstfrei, medizinisch, psychologisch und seelsorgerisch versorgt sterben können, bleibt die Nachfrage nach Hilfe beim Suizid höher, als sie mit einer vernünftigen Palliativversorgung ausfällt.

Ethikrat: Arzt-Patienten-Verhältnis schützen

Hinter dem Beschluss der Fraktionsspitzen der großen Koalition könnte aber auch schlicht die Aufgabe des Projektes stecken, wie es ursprünglich angeklungen war. Am Montag war aus Koalitionskreisen zu hören, dass möglicherweise nicht mehr mit einer für Ärzte bedenklichen Regulierung der Sterbehilfe zu rechnen sei.

Der Deutsche Ethikrat hatte bereits davor gewarnt, an dieser Stelle in das Arzt-Patienten-Verhältnis einzugreifen.

Im Sinne der Suizidprävention sei es für schwer kranke Menschen wichtig, in ihrem Arzt auch dann einen vertrauensvollen Ansprechpartner zu sehen, wenn sie mit dem Wunsch nach einem vorzeitigen Tod rängen, hatten die Ratsmitglieder in einer Ad hoc-Empfehlung Ende 2014 formuliert.

Die geltende Gesetzeslage, wonach weder ein Suizid noch eine Beihilfe strafbar seien, stehe im Einklang mit den Prinzipien eines freiheitlichen Verfassungsstaates.

Vor allem eine gesonderte Strafbarkeit ärztlicher Suizidbeihilfe lehnten die Ratsmitglieder ab. Es wäre gut, wenn die Koalition an dieser Stelle dem Ethikrat folgen würde.

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 25.04.201512:41 Uhr

Dank an Prof. Dr. Lukas Radbruch, Bonn Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

für die ERNEUTE Klarstellung der Begriffe,
wie oft muss das denn wiederholt werden???

Und für jeden bekannt, der sich da auskennt besonders der letzte Satz:

"Außerdem gibt es reichlich Evidenz, dass eine gute und angemessene Symptomlinderung - auch mit Opioiden oder Benzodiazepinen und auch bei sterbenden Patienten - die Lebenszeit nicht verkürzt. "

Dr. Thomas Georg Schätzler 22.04.201518:44 Uhr

Helfen, Heilen, Lindern, Schützen u n d Loslassen können!

Feuerwehren haben mit ihren vier eingängigen Schlagworten: "Bergen, Retten, Löschen, Schützen" ein international verbindliches Motto. Bei uns Ärztinnen und Ärzten des Fachbereichs Humanmedizin könnte "Helfen, Heilen, Lindern, Schützen... und Loslassen können" als Motto unser Berufsfeld umschreiben. Die aktiv beschleunigende, intervenierende ärztliche Beihilfe zum Suizid fällt bisher nicht darunter, auch wenn ein juristisches Minderheitenvotum aus vordergründigen Stellvertreter-Motiven uns dazu drängen möchte.

Palliativmedizin, palliative Sedierung, Sterbebegleitung, das Unterlassen von künstlich lebensverlängernden Maßnahmen, weil keine Chancen auf Besserung oder Linderung mehr bestehen, wären mit dem Begriff "Loslassen" umrissen. Sie erfordern originär ärztlichen und keinesfalls juristischen Sachverstand, um die Selbstbestimmung von Patient und Arzt nicht zu gefährden. Denn am Lebensende treten die Grenzen der Medizin, das Ende der möglichen Machbarkeiten offen zu Tage.

Die Tatsache, dass die moderne Medizin immer mehr zu einer künstlich intensivmedizinischen Lebensverlängerung beitragen kann, dass transplantationsmedizinische Interessen in den Vordergrund treten, erschwert ihre Anwendung. Die Entscheidungsfindung wird immer problematischer, weil der oftmals gar nicht ausdrücklich erklärte und dokumentierte Patientenwille mit Wunsch, Wirklichkeit und Machbarkeit in Übereinstimmung gebracht werden muss.

Die "Beihilfe zum Suizid" in Form der „aktiven Sterbehilfe“ bei einem ärztlich „assistierten Suizid" ist im deutschen Rechtssystem mit dem Verbot der "Tötung auf Verlangen" nach § 216 StGB ebenso umstritten wie strafbar. Unabhängig davon, wie sich die gesamtgesellschaftliche und sozialpolitische Diskussion zur "aktiven" und "passiven" Sterbehilfe bzw. zur Selbsttötung weiter entwickeln wird, ein "Tötungswunsch" oder auch der Wunsch nach Erlösung muss grundsätzlich sehr kritisch gesehen werden. Es können ein Augenblicksempfinden, eine Angst- und Schrecksekunde, eine Fehleinschätzung, ein Verzweiflungsmoment, eine schwere Depression, unaushaltbare Schmerzen oder eine Kurzschlussreaktion sein. Das Gefühl der sozialen Unerwünschtheit, der Ausgrenzung, der Panik und der Lebensmüdigkeit treten vielleicht hinzu.

Der Bundesgerichtshof (BGH) stellte klar, dass bei unzweideutiger Willenserklärung eines Todkranken oder Sterbenden gerade n i c h t die ärztliche Verpflichtung bestehe, ihn reanimieren, "retten" und "künstlich" am Leben erhalten zu müssen. Der Wunsch nach einem Tod in Würde und der unumkehrbare Sterbeprozess müsse respektiert werden. Verhinderung oder Konterkarieren dieses ureigenen Patientenwillens sei nicht statthaft.

In diesem Spannungsfeld und in der individuellen Patienten-Arzt-Beziehung finden ethisch-moralisch begründete Entscheidungsprozesse statt. Sie sind immer eine Gratwanderung, bei denen weder Ärztefunktionäre noch juristische Expertisen helfen können. Da helfen nur klare Positionen von Kolleginnen und Kollegen, die in der täglichen Arbeit mit ihren Patienten/-innen einen medizinisch-ärztlichen Konsens erarbeiten und finden müssen. Niemand sollte allerdings den Stab brechen gegenüber Ärzten und auch Patienten, die in den Grenzsituationen des Lebens und Sterbens Dinge tun, die nicht für uns Alle konsensfähig bleiben. Doch zum "Doctor Death", der nach ebenso lebensbejahender wie -begleitender palliativ-lindernder, biografisch-hausärztlicher Tätigkeit und psychosomatischer Grundversorgung plötzlich die Seiten wechselt, werde ich persönlich mich niemals eignen.

Ich stimme dem Kollegen Thomas Sitte zu: "Bevor nicht jeder, der irgendwann über Sterbehilfe im Bundestag abstimmen wird, im Schlaf den Unterschied zwischen ‚aktiver Sterbehilfe‘, Sterben zulassen und Beihilfe zur Selbsttötung erklären kann, sollte keine Abstimmung über eine solch lebenswichtige Frage stattfinden dürfen, bei der der Fraktionszwang ja expressis verbis aufgehoben wird

Dipl.-Psych. karin dlubis-mertens 22.04.201509:49 Uhr

Noch mehr Verwirrung...

Ich war unangenehm überrascht, dass im Artikel zur Klärung der Verwirrung gleich mehrere Fehler stecken, und damit für noch mehr Verwirrung gesorgt wird:

a) in Oregon ist nicht die Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe) erlaubt wie im Artikel dargestellt, sondern die ärztliche Beihilfe zum Suizid. Dagegen ist die Tötung auf Verlangen außer in den Niederlanden auch in Belgien und Luxemburg erlaubt.

b) im Pulldown Menue auf der rechten Seite sollen die Begriffe geklärt werden, aber es werden dort andere genauso unscharfe Begrifflichkeiten benutzt wie direkte und indirekte Sterbehilfe, statt der eindeutigen und klaren Sprachregelungen wie sie vom Nationalen Ethikrat vorgeschlagen wurden: Tötung auf Verlangen (statt aktiver oder direkter Sterbehilfe), Sterben zulassen (statt passiver Sterbehilfe) und Therapien am Lebensende (statt indirekter Sterbehilfe).

c) bei der indirekten Sterbehilfe, also den Therapien am Lebensende, wird ausgeführt, dies sei genauso aktiv wie die direkte Sterbehilfe. Dies verkennt aber den fundamentalen Unterschied zwischen einer Handlung, die primär den Tod des Patienten zum Ziel hat (Tötung auf Verlangen) und einer Handlung, die primär die Linderung von Leid zum Ziel hat (Therapie am Lebensende). Außerdem gibt es reichlich Evidenz, dass eine gute und angemessene Symptomlinderung - auch mit Opioiden oder Benzodiazepinen und auch bei sterbenden Patienten - die Lebenszeit nicht verkürzt.

Prof. Dr. Lukas Radbruch, Bonn
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin

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