Plan von Parlamentariern

Sterbehilfevereine sollen sterben

Die Debatte über Sterbehilfe gewinnt an Fahrt: Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten mehrerer Fraktionen kämpft dafür, dass die geschäftsmäßige Sterbehilfe gesetzlich verboten wird.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Sterbender Mensch: Geht es nach dem jetzt vorgestellten Gesetzesvorschlag, soll der ärztliche Freiraum bei der Sterbehilfe erhalten bleiben.

Sterbender Mensch: Geht es nach dem jetzt vorgestellten Gesetzesvorschlag, soll der ärztliche Freiraum bei der Sterbehilfe erhalten bleiben.

© Oliver Berg / dpa

BERLIN. Die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung soll künftig unter Strafe stehen. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den Abgeordnete aus allen vier Bundestagsfraktionen gemeinsam erarbeitet haben.

"Der Gesetzentwurf schafft einen neuen Straftatbestand", sagte der Unionspolitiker Michael Brand bei der Vorstellung des Entwurfs am Dienstag in Berlin.

Der Entwurf zielt darauf ab, Suizidbeihilfe nicht im Einzelfall, sondern als Geschäftsmodell zu verbieten.

Strafbar wird demnach die Tätigkeit von Organisationen oder Einzelpersonen, die wiederholt und absichtlich die Förderung der Selbsttötung anbieten. Angehörige und nahestehende Personen sollen dabei von der Strafbarkeit ausgenommen sein.

"Keine Lex Ärzte"

Brand betonte, dass der Entwurf "keine Lex Ärzte" sei. "Es kommt auf die Handlung an, nicht auf den Beruf", sagte er. "Wir bewahren mit unserem Entwurf das Arzt-Patienten-Verhältnis", versicherte er. Einzelfälle bei Ärzten seien dem Entwurf zufolge nicht strafbar, so Brand.

Die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese bestätigte: "Wir wollen, dass der ärztliche Freiraum erhalten bleibt." Die ethische Entscheidung des Arztes und das persönliche Verhältnis zum Patienten seien nicht von der Gesetzesänderung betroffen, wenn der Arzt das nicht geschäftsmäßig mache.

Um das Wörtchen "geschäftsmäßig" hat die fraktionsübergreifende Initiative gerungen. Es fasst den Tatbestand weiter als der von der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der letzten Legislaturperiode vorgelegte Entwurf, der auf das Verbot der "gewerbsmäßigen" Suizidbeihilfe abzielte und damit Vereine aussparte, die keinen Erwerbszweck verfolgen.

Auch die Schaffung eines neuen Straftatbestands war in der Arbeitsgruppe umkämpft. Die Initiative habe es sich "sehr schwer gemacht, zum Strafrecht zu greifen", denn das sei ein scharfes Schwert, so die SPD-Abgeordnete Eva Högl: "Wir kommen aber, wenn wir geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verbieten wollen, nicht ohne das Strafrecht aus."

Der fraktionsübergreifende Gesetzentwurf soll noch vor der Sommerpause im Bundestag beraten werden. Die Beschlussfassung ist Anfang November gleichzeitig mit der Abstimmung zum Palliativ- und Hospizgesetz vorgesehen.

Der Entwurf konkurriert mit drei Alternativen, die aus parlamentarischen Reihen angekündigt sind. Doch erste Reaktionen waren positiv.

Die Bundesärztekammer (BÄK), die Deutsche PalliativStiftung und die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßten den Entwurf. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe unterstützt die Initiative.

Beifall von der BÄK

Der Entwurf gehe in die richtige Richtung, sagte BÄK-Präsident Professor Frank Ulrich Montgomery: "Wir haben immer davor gewarnt, dass sogenannte Sterbehilfsorganisationen unter wechselndem Rechtsstatus ihren Geschäften nachgehen können."

Der Gruppenentwurf zeige die rote Linie auf. "Wir halten das für richtig und wichtig und unterstützen diesen Vorschlag", so der BÄK-Präsident.

Auch die Deutsche PalliativStiftung bewertet den fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf positiv. Er "ist wohl in der Diskussion der derzeitige Königsweg und nimmt alle Forderungen von Experten auch der PalliativStiftung auf, die wir seit Jahren formulieren", so der Vorsitzende Thomas Sitte.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßt den Entwurf ebenfalls, fordert aber eine weitergehende sozialpolitische Debatte. "Dabei müssen sowohl die Versorgung der Schwerstkranken und Sterbenden als auch der depressiv Kranken in den Blick genommen werden", so die Patientenschützer.

Nötig sei zudem ein Suizidpräventionsprogramm speziell für alte Menschen.

Das ist auch den Abgeordneten bewusst, die den Gruppenentwurf erarbeitet haben. "Die Regulierung des assistierten Suizids verbessert nicht die Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden am Lebensende", so die Pflegeexpertin der Grünen Elisabeth Scharfenberg.

Daher sei es wichtig, dass parallel die Debatte um den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung stattfinde. Auch Suizide, die von Menschen in psychischen Krisen verübt würden, würden von der Debatte bisher nicht erfasst, so Scharfenberg.

Die Pflegepolitikerin der Linken Kerstin Vogler betrachtet den Gesetzentwurf daher als Auftakt zu einer Debatte über Suizidprävention. "Wir wissen, dass wir hier sehr viel mehr noch tun müssen", sagte sie. Darauf hatte auch der Ethikrat hingewiesen.

Nach Scharfenbergs Angaben werden in Deutschland jedes Jahr 100.000 bestätigte Suizidversuche unternommen. Davon führen 10.000 zur Selbsttötung.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Das Schwert des Strafrechts

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 10.06.201511:38 Uhr

EXIT?

Mein 91-jähriger multimorbider Patient A. S., der trotz seiner schweren Kriegsverletzung das Leben lange genießen und viele Reisen mit seinem Enkel nach Südafrika unternehmen konnte, fragte mich beim letzten Hausbesuch auf der Pflegestation ganz verhalten nach einer Atemtherapie: Er wolle lernen, mit eigenem Willen seinen Atem selbst so lange anhalten zu können, dass sein Leben damit beendet würde. Wir haben dann darüber gesprochen, dass dies leider nicht funktioniert. Der biologisch einprogrammierte Überlebens-Atemantrieb ist so stark, dass er sogar beim Ertrinkenden unter Wasser paradox zum Tod führt.

Wäre hier theoretisch ein ärztlich assistierter Suizid indiziert? Ich persönlich meine, Nein! Mein Patient hat keine Schmerzen, er muss nicht leiden, sein sozialer und familiärer Nahbereich ist weitgehend intakt.

Wenn ich mir allerdings vorstelle, mein Patient würde unter den Einfluss ehrenamtlicher, vereinsmäßig organisierter, professioneller oder gar kommerzieller Sterbehilfe-Organisationen geraten, wie labil und manipulierbar wäre er dann?

Er könnte für seinen Plan des aktiven Atem-Anhaltens Unterstützung dahingehend bekommen, dass Sterbehilfe-Organisationen sein Bedürfnis aufgreifen, ihn als zahlendes Mitglied anwerben und ihm "helfen" möchten?

Doch damit gewinnt das Ganze eine gewisse Eigendynamik: Mein Patient könnte sich vielleicht gar nicht mehr aus den Gedankenkreisen um Tod, Sterben, Erlösung, Abschied nehmen befreien. Er würde Signale seiner Familie, seines Enkels gar nicht mehr wahrnehmen, um vielleicht noch einmal sagen zu können "Ich beginne nun die Reise, die mich zum Sonnenuntergang meines Lebens führt, in der Gewissheit, dass über meinem Land [Amerika] immer wieder ein strahlender Morgen heraufdämmern wird" (Ronald Reagan, 40. US-Präsident, am 5.11.1994 im 84 Lebensjahr).

Meine fast 40-jährige medizinische Laufbahn von 1975-2015 hat mich gelehrt, wie schwierig es ist, stellvertretend für mental und bewusstseinsmäßig eingeschränkte, seelisch be- und getrübte Patienten die richtigen medizinischen Entscheidungen zu treffen. Eine aktive, assistierende Entscheidungsfindung über Leben und Tod, EXIT oder nicht EXIT, kann auch ins Überhebliche, Menschenverachtende abgleiten. Sie führt mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen als der humanen Humanmedizin Verpflichteten zu einer äußerst schwierigen Gratwanderung.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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