Parteien und Verbände
Warmlaufen für die nächste Pflegereform
Sockel-Spitze-Tausch, mehr Eigenvorsorge oder doch Bürgerversicherung? Die Diskussion darüber, wie sich die Pflegeversicherung in die Zukunft hinüber retten lässt, ist in vollem Gang.
Veröffentlicht:Berlin. Norbert Blüm (CDU) geriet geradezu ins Schwärmen und sprach von „der besten Nachricht seit 20 Jahren“. Der frühere Bundesarbeitsminister meinte damit die Verabschiedung der Pflegeversicherung im April 1995.
Doch schon damals wies der jüngste Sozialversicherungszweig Mängel auf: Weil der Beitragssatz niedrig sein sollte, wurde der Pflegebedürftigkeitsbegriff eng gefasst. Demenzkranke tauchten darin gar nicht auf. Erst Jahre später wurde das korrigiert.
Die Geldknappheit im Pflegetopf dagegen ist bis heute ein Thema. Kein Wunder: Kaum ein Bereich ist so „demografieanfällig“ wie die Pflege. Besonders kniffelig werden könnte es schon in zehn Jahren. Dann erreichen die ersten „Babyboomer“ ein Alter, in dem das Risiko für Pflegebedürftigkeit steigt. Und damit auch Bedarf und Kosten.
Steigende Eigenanteile sorgen für Unruhe
Für Unruhe sorgen auch die Eigenanteile, die Pflegebedürftige im Heim berappen müssen. Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) beziffert sämtliche Eigenanteile an der Pflege auf aktuell rund 1900 Euro im Monat. Dazu zählen: Eigenanteile an den Pflegekosten, Kosten für Verpflegung und Unterkunft sowie Investitionskosten.
Die Eigenanteile bei den Pflegekosten allein fallen regional unterschiedlich aus. In Thüringen liegen sie bei 275 Euro, in Baden-Württemberg bei 925 Euro im Monat. Im Bundesschnitt betragen sie derzeit 662 Euro im Monat (siehe nachfolgende Tabelle).
Jede Verbesserung bei Pflegelöhnen und Personalausstattung der Heime schlägt unmittelbar auf die Eigenanteile an der Pflege durch, hat SPD-Gesundheitsexperte Professor Karl Lauterbach festgestellt.
Neue Pflegefinanzierung gefordert
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bereits Dialog-Runden zur künftigen Pflegefinanzierung angekündigt. Bis Mitte 2020 will er Konkretes liefern. Der Druck auf Spahn wächst, denn andere haben ihre Vorschläge bereits auf den Tisch gelegt – teils in fein geschliffener Form.
Die SPD-regierten Länder etwa fordern folgenden Fahrplan: Einführung einer Begrenzung der Eigenanteile auf den Stand von vor drei Jahren (PSG II). Dafür müssten die Pflegesachleistungen um 200 Euro erhöht werden. Das sollte aus Steuermitteln erfolgen.
Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll bis Mitte 2020 weitere Schritte festlegen. Dazu gehören: Begrenzung der Eigenanteile, Einführung eines pauschalen Arbeitgeberbeitrags zur Pflegeversicherung für geringfügig Beschäftigte analog zu den pauschalen GKV-Beiträgen, Finanzierung der Behandlungspflege in Pflegeeinrichtungen durch die Krankenkassen.
Eine Deckelung individuell zu tragender Eigenanteile strebt auch die SPD-Bundestagfraktion an. Damit würden nicht die Zuschüsse der Pflegeversicherung gedeckelt, sondern die selbst zu tragenden Anteile an der Pflege.
SPD will Auflösung des Pflegevorsorgefonds
Die Fraktion schlägt zudem vor, die Beteiligung der Heimbewohner an den Investitionskosten durch Wiedereinstieg der Länder in den Pflegeheimbau oder ein Pflegewohngeld. Zudem plädiert die SPD-Fraktion für die Auflösung des Pflegevorsorgefonds, in den seit 2015 jährlich umgerechnet rund 1,4 Milliarden Euro, fließen.
Kassen wie die DAK-Gesundheit fordern eine Mischfinanzierung aus Beitrags- und Steuermitteln. Herzstück des DAK-Konzepts ist ebenfalls der oben beschriebene Sockel-Spitze-Tausch. Gestartet würde mit einem Sockelbetrag bei der Eigenbeteiligung von im Schnitt 450 Euro monatlich.
Anschließend würden die Eigenanteile entsprechend der Lohnentwicklung „dynamisch steigen“. Um höhere Pflegebeiträge zu vermeiden, würden Steuermittel angezapft. Begonnen werden soll bereits im Jahr 2021 mit einem Steuerzuschuss von einer Milliarde Euro. Bis 2045 würde er auf 18 Milliarden Euro steigen.
Den Grünen schwebt „Pflege-Bürgerversicherung“ vor
Die Grünen wollen die Pflegeversicherung zu einer „Pflege-Bürgerversicherung weiterentwickeln“. Diese umfasst einen „vollständigen Kostenausgleich“ zwischen sozialem und privatem Zweig, einkommensabhängige Beiträge und eine „gerechtere“ Berücksichtigung von Einkommensverhältnissen.
Begründung: Die Umlagen der Einnahmen und Ausgaben griffen bisher nur innerhalb des jeweiligen, nicht aber zwischen beiden Versicherungszweigen. Profitieren würden aktuell nur einkommensstarke, jüngere und gesündere Versicherte des privaten Zweigs.
Die Linke geht mit der Forderung nach einer „Solidarischen Pflegevollversicherung“ ins Rennen: In diese würden alle, auch Privatversicherte, den gleichen Beitragssatz auf alle Einkünfte bezahlen. In diesem Fall „wäre Armut durch Pflege bald Geschichte“, so die pflegepolitische Sprecherin Pia Zimmermann.
Der Verband der privaten Krankenversicherung setzt auf mehr Eigenvorsorge. Steueranreize sollen den Abschluss von Policen beschleunigen. Durch mehr Eigenvorsorge ließe sich der Beitragssatz zur Pflege langfristig auf heutigem Niveau halten. Für die heute Älteren, die kaum Eigenvorsorge ansparen können, sieht das Modell zusätzliche Leistungen aus der Pflegeversicherung vor.
Dabei erhielten die heute über 80-Jährigen die größte Unterstützung, nachfolgende Jahrgänge schrittweise weniger. Sobald alle „Babyboomer“ in Rente gehen, läuft die Solidarleistung aus. Nachkommende Versicherte wären dann durch ihre geleistete private Vorsorge abgesichert.
Finanz- und Strukturrefom in einem Abwasch
Die Initiative Pro-Pflegeversicherung – bestehend aus Vertretern der Altenpflege – hat den bislang wohl umfassendsten Reformvorschlag vorgelegt. Der Eigenanteil würde hier bei 471 Euro je Leistungsbezieher und Monat eingefroren. Darüber hinaus gehende Pflegekosten würden über die Pflegeversicherung aufgefangen.
Der Pflegebeitrag würde bis zum Jahr 2045 auf maximal 5,6 Prozent steigen. Sollte diese Höhe politisch als nicht opportun erscheinen, sind Steuerzuschuss oder Bürgerversicherung heranzuziehen.
Zudem wird eine „Pflegewelt ohne Sektoren“ ins Spiel gebracht: Unabhängig davon, wo ein Pflegebedürftiger wohnt, würde die Pflegekasse für Grundpflege und Betreuung, die Krankenkasse für Behandlungspflege und Rehabilitation zahlen. Der Versicherte trüge die Kosten für die Unterbringung.