Frauen in der Gesundheitsversorgung
Was Corona mit Gleichstellung zu tun hat
Gleichstellung ist wichtig, um die weltweite Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Das wird deutlich, wenn man betrachtet, mit welchen Ungleichheiten Menschen konfrontiert sind, die im Gesundheitssystem arbeiten und welche Konsequenzen daraus folgen.
Veröffentlicht:Neu-Isenburg. Mit über 75 Prozent stellen in Deutschland Frauen einen weitaus größeren Anteil an den Beschäftigten in den Gesundheitsberufen als Männer (DESTATIS). Doch wie lassen sich ihre Alltagsherausforderungen mit einem Job in Klinik oder Praxis zu Pandemiezeiten vereinbaren? Deutlich wird: Bis eine Gleichstellung erreicht ist, sind noch Veränderungen nötig.
Auf Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in Gesundheitsberufen weist etwa ein Positionspapier des Netzwerks Women in Global Health (WGH) Germany hin („Frauen in Gesundheitsberufen“; WGH, online 5. Oktober 2020 ). „Auch im Rahmen der aktuellen COVID-19 (Sars-CoV-2)-Pandemie zeigt sich wieder: Die Mehrheit der Personen, die in einer Pandemie einer Infektionsgefahr ausgesetzt sind, sind Frauen, da sie den größten Anteil am Gesundheitspersonal darstellen“, schreiben die Verfasserinnen. Frauen würden zudem noch immer einen größeren Teil der Familienarbeit übernehmen als Männer und so bei Schulschließungen vor dem Problem stehen die Kinderbetreuung organisieren zu müssen. Die weiblichen Gesundheitsfachkräfte stünden demnach vor mehr und anderen Herausforderungen als ihre männlichen Kollegen.
2020 – das Jahr der Gleichstellung?
„Wir haben bei uns in der Praxis eine alleinerziehende MFA mit Schulkindern. Die Medizinischen Fachangestellten müssen normal zur Arbeit kommen und gleichzeitig müssen sie das Homeschooling mit unter einen Hut bringen – da lastet ein großer Druck auf ihnen“, berichtet die Hamburger Allgemeinmedizinerin Dr. Jana Husemann im Podcast der „Ärzte Zeitung“.
Als „Jahr der Gleichstellung“ bezeichnete Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das Jahr 2020.
Frauen wenden im Durchschnitt täglich umgerechnet 87 Minuten mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer, heißt es in einem Dossier ihres Ministeriums („Kinder, Haushalt, Pflege - wer kümmert sich?“; BMFSJ 2020; online 23. September). Dieses Mehr an Sorgearbeit hat einen Namen: Gender Care Gap.
Aber auch bei den Gehältern gibt es bekanntlich Unterschiede – den Gender Pay Gap. 2019 habe der Unterschied bei den Bruttostundenlöhnen in Deutschland 20 Prozent betragen, heißt es in dem Dossier des BMFSJ. Mögliche Gründe dafür seien, dass Frauen seltener in Führungspositionen und durch die Kinderbetreuung eher in Teilzeit arbeiteten. Das wiederum könnte später zum Gender Pension Gap, also einer Rentenlücke zwischen den eigenständigen Rentenansprüchen von Männern und Frauen, führen.
Die Gender Gaps beeinflussen sich gegenseitig. Erwerbspersonen müssten deshalb dabei unterstützt werden, mehr Sorgearbeit zu übernehmen und Menschen, die überwiegend Sorgearbeit leisten darin, mehr Zeit mit Erwerbsarbeit zu verbringen.
Was Kinder verändern
Mit der Geburt des ersten Kindes komme es zu einer sogenannten „Retraditionalisierung“, so das Ministerium. Die Mütter würden ihre eigene Erwerbsarbeit im Zuge der Elternzeit unterbrechen und seien in dieser Zeit für die unbezahlte Sorgearbeit zuständig. 80 Prozent der Väter nehmen hingegen nur jene zwei Monate des Basiselterngeldes in Anspruch, die sonst verfallen würden. Von den rund 7000 Ärztinnen und Ärzten, die 2019 Elternzeit genommen haben, waren lediglich 2,5 Prozent Männer (In 5 Schritten zu mehr Vereinbarkeit: Leitfaden für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung im Krankenhaus; BMFSJ; 2020; online Dezember).
„Es gibt einen ganz guten Elternzeitvorschlag von der Soziologin Jutta Allmendinger. Momentan ist es ja so, wenn man 14 Monate Elternzeit möchte, muss der Partner zwei Monate davon nehmen, sonst bekommt man nur 12 Monate. Man könnte dieses Verhältnis auch ändern“, betont Jana Husemann.
Die Autorinnen des Dossiers schlagen verschiedene Lösungsmöglichkeiten für eine gerechtere Aufgabenteilung vor. Flexibilisierte Arbeitszeiten, hochwertige und kostengünstige Betreuungs- und Pflegeinfrastrukturen und Änderungen im Einkommenssteuer- und Versicherungssystem sind dabei zentral. In einer zukunftsgerechten Gesellschaft müssten die Rahmenbedingungen eine partnerschaftliche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit für Frauen und Männer gleichermaßen attraktiv machen, so die Autorinnen.
Familie und Spitzenposition?
Wie Krankenhäuser eine mitarbeiter- und familienorientierter Unternehmenskultur entwickeln könnten, beschreibt der Leitfaden des BMFSJ „In 5 Schritten zu mehr Vereinbarkeit“. Die Autorinnen schlagen unter anderem Unterstützungsangebote wie einen Wäsche- oder Einkaufsservice oder Jobsharing-Modelle vor.
„Die Medizin wird weiblich – jedoch nicht in den Chefetagen“, heißt es in dem Leitfaden. 62 Prozent der Medizinstudierenden im Jahr 2018 waren Frauen, doch bisher sei nur jede dritte Oberarztstelle weiblich besetzt.
Kommentar zur Gleichstellung
Mut zur Veränderung
Um den gesellschaftlichen Wandel zu unterstützen, schlagen die Verfasserinnen des BMFSFJ-Dossiers vor, Frauen in wirtschaftlichen und politischen Positionen zu stärken. Ländervergleiche zeigten: Wenn Frauen ökonomischen und politischen Einfluss hätten, sie finanziell unabhängig seien sowie eine hohe Erwerbsquote hätten, würden sich Männer auch mehr an der Hausarbeit beteiligen.
Bisher beträgt der Anteil von Frauen Spitzenpositionen an deutschen Universitätskliniken durchschnittlich 13 Prozent, berichten Women in Global Health Germany in ihrem Positionspapier. Dabei zeigten Studien, dass Gesundheitssysteme stärker seien, wenn weibliche Gesundheitsfachkräfte in Entscheidungsprozesse, in die Entwicklung von nationalen Gesundheitsplänen und die Gesundheitspolitik eingebunden werden.
Frauen in Führungspositionen setzten andere Schwerpunkte und unterstützten Themen wie Frauengesundheit, Bildung für Mädchen und den allgemeinen Zugang zum Gesundheitssystem insbesondere für Frauen. Ärztinnen würden eher patientenzentriert arbeiten und mehr Wert auf geschlechter- und kultursensible Versorgung legen, so die Autorinnen. Der Anteil der Krankenhausaufnahmen und Patientensterblichkeit seien bei Behandlungen durch Ärztinnen geringer als bei männlichen Kollegen.
„Gleichstellung ist somit die Grundvoraussetzung zur Förderung und zum Schutz der Gesundheit weltweit“, schreiben die Verfasserinnen des Positionspapiers. Zum Thema Geschlechterparität in Führungsrollen betonen sie, dass auch weitere Diversitätsfaktoren wie sozioökonomischer Hintergrund, Ethnizität, Alter, Migrationshintergrund und körperliche Beeinträchtigung/Behinderung berücksichtigt werden sollten.
Bei Gleichstellung geht es also um weit mehr, als nur das biologische Geschlecht.