Leitartikel zur Bestandsmarkt-Bewertung

Was der GBA nicht mehr darf, holt die TK im Eiltempo nach

Binnen weniger Monate haben Wissenschaftler im Auftrag der TK bedeutende Arzneimittel bewertet, die vor 2011 zugelassen wurden. Ein Ersatz für die Nutzenbewertung ist das freilich nicht.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

Einzelkämpfer sind schneller als die gesamte Truppe. Die Techniker Krankenkasse hat es jetzt gezeigt: Gerade einmal sechs Monate nach dem Beschluss des Bundestages, dass vor dem 1. Januar 2011 eingeführte neue Arzneimittelwirkstoffe nun doch nicht nach den Kriterien des AMNOG bewertet werden, haben Wissenschaftler unter der Leitung des Pharmazeuten Professor Gerd Glaeske von der Universität Bremen im Auftrag der TK für die Versorgung wichtige Arzneimittelgruppen untersucht.

Der Report ist gestern in Berlin vorgestellt worden. Zusammengefasst lautet das Ergebnis: Nicht alles, was neu ist, ist für Patienten von Vorteil, aber in jedem Fall teurer. In manchen Fällen geht ein Therapievorteil mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen einher, wie bei Biologicals in der Rheumatherapie. Bei anderen Arzneimitteln, insbesondere Antidiabetika, fehlen noch immer Langzeitdaten.

Ein Ersatz für die Nutzenbewertung nach den Kriterien des AMNOG ist der Report freilich nicht. Das kann man auch kaum erwarten, wenn nur wenige Wissenschaftler binnen weniger Monate auf der Basis von Literaturrecherchen versuchen, 17 Arzneimittelwirkstoffe zu bewerten.

Vorsichtig spricht der Vorstandsvorsitzende der TK, Jens Baas, im Vorwort denn auch davon, "dass dieser Report eine wichtige Orientierungshilfe für eine wirkungsvolle und effiziente Arzneimittelversorgung sein kann". Also eine mögliche zusätzliche Informationsquelle unter vielen für Ärzte.

Genau dieses Problem hatte auch der Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen in seinem diesjährigen Gutachten angesprochen. Er hält die pragmatischen Argumente zur Beendigung der Bestandsmarktbewertung (erhebliche Prozessrisiken, ungewisse Einspareffekte) für "nachvollziehbar".

Andererseits gehe "bei dieser rein auf die Kosteneinsparung abzielenden Argumentation die qualitative Komponente der Nutzenbewertung verloren", bemängelt der Rat. Aus diesem Grund solle in Zukunft auch das Instrument der Kosten-Nutzen-Bewertung nach Paragraf 130a Absatz 8 SGB V genutzt werden. Das sieht auch die Bundesregierung so.

Der Opposition reicht das nicht aus: In Reaktion auf die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Bündnisgrünen zu arzneimittelpolitischen Schlussfolgerungen aus dem Gutachten fordern sie eine Nutzenbewertung für den Bestandsmarkt, für Arzneimittel, die ausschließlich im Krankenhaus eingesetzt werden (diese werden meist wegen geringer Kosten nicht evaluiert), sowie für Orphan Drugs, deren Zusatznutzen allein schon aufgrund ihres speziellen Zulassungsstatus und ihrer Alleinstellung anerkannt wird.

In der Tat hatte der Sachverständigenrat diese Unterschiede in seinem Gutachten angesprochen, aber auch - wie im Fall der Orphan Drugs - die Probleme gewürdigt, die bei Studien mit sehr kleinen Patientenzahlen auftreten.

Unbeachtet geblieben ist hingegen die kritische Würdigung des Rates hinsichtlich der Bewertungspraxis des GBA, der methodischen Probleme und der Preisfindung. Nur ein einziges Mal habe der GBA die gesetzliche Möglichkeit genutzt, versorgungsrelevante Studien von einem Arzneimittelhersteller zu fordern.

Im internationalen Vergleich würden unterschiedliche methodische Anforderungen an die Studien gestellt, und gerade die Frage der Vergleichstherapie werde nicht einheitlich gehandhabt; dementsprechend würden Arzneimittel in den einzelnen europäischen Ländern unterschiedlich bewertet.

Schließlich sei es international "ungewöhnlich und im Sinne einer Pluralität der Analysen auch nicht wünschenswert", wenn alles beim IQWiG konzentriert werde. Ferner sei die Bildung des Erstattungsbetrages allein auf die direkten Arzneimittelkosten aus GKV-Perspektive fokussiert - eine Betrachtung die "deutlich zu kurz" greife.

Ein ganz wunder Punkt in Deutschland sei die Bereitstellung von Wissen für eine qualitativ hochwertige, evidenzbasierte und bedarfsgerechte Versorgung. Viele Länder hätten darauf mit der Implementierung eines nationalen Instituts für Gesundheitsinformation reagiert. In Deutschland seien solche Aktivitäten bislang unterfinanziert oder auf verschiedene Institutionen verteilt - siehe Bestandsmarktreport 2014 der TK.

Es existiert aber ein weiterer, ebenfalls vom Sachverständigenrat thematisierter Bias: Entgegen der öffentlichen und politischen Wahrnehmung gehört die Arzneimittelversorgung tatsächlich zu den am besten evaluierten Therapieoptionen.

Anders bei Medizinprodukten: "Im Unterschied zur Zulassung von Arzneimitteln findet sich nirgendwo eine explizite Forderung nach einem Wirksamkeits- oder Nutzennachweis." Und im Unterschied zum Arzneimittelgesetz enthalte das Medizinproduktegesetz keine spezifischen Haftungsnormen.

Mit Verbissenheit wird also mit zweierlei Maß gemessen - und Forschungsressourcen werden dort verwendet, wo sich zusätzliche Erkenntnisse nur noch mit viel Aufwand erzielen lassen.

Lesen Sie dazu auch: Nutzenbewertung: Techniker Kasse zäumt das Bestandsmarkt-Pferd neu auf

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