Versorgungsideen

Weg mit dem Korsett!

Versorgung auf dem Land: Wenn der Letzte nicht das Licht ausmachen soll, braucht es neue Ideen - und einen langen Atem.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

BERLIN. Trotz aller Liberalisierungen stellt die ärztliche Berufsordnung zu oft noch ein Korsett dar, das flexible Lösungen gerade auf dem Land verhindert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in seiner neuen Studie "Von Hürden und Helden. Wie sich das Leben auf dem Land neu erfinden lässt".

Der Anspruch auf "gleichwertige Lebensverhältnisse", den das Grundgesetz als Leitbild deklariert, sei längst zu einer "leeren Hülse" geworden. Der demografische Wandel teile Deutschland zunehmend in Gewinner- und Verliererregionen auf.

Ein Grund dafür sei auch der "100-Prozent-Fimmel": Versorgungsangebote müssten ein fixes Bündel an Kriterien erfüllen - egal ob in Frankfurt oder in der Hocheifel. Gelinge das nicht - sei es aus Gründen der Qualität oder der Finanzierbarkeit -, dann verschwinden diese Angebote für die Landbevölkerung völlig.

Kaum eigenen Spielraum

Ein Umdenken könnte dazu führen, dass anstatt von Bussen andere Verkehrsmittel fahren oder Gemeinden selber Arztpraxen betreiben, so die Forscher. Zwar habe etwa das Versorgungsstrukturgesetz einige Erleichterungen gebracht, so wurde etwa die Residenzpflicht abgeschafft. Doch Kommunen hätten nach wie vor kaum eigenen Spielraum, die medizinische Versorgung ihrer Bürger zu verbessern, heißt es in der Studie.

Findige Bürgermeister haben längst andere Wege gefunden: So etwa in Büsum, wo die Gemeinde 1,6 Millionen Euro in ein bestehendes Ärztehaus investiert und dieses in öffentlicher Trägerschaft fortführen will.

Die Demografie-Forscher beklagen, dass die Telemedizin anders als in anderen europäischen Ländern nicht Teil der Regelversorgung sei. Dies liege neben den hohen Investmentkosten daran, dass es schwierig sei, den Nutzen der Telemedizin im Vergleich zur Regelversorgung valide zu belegen.

Modelle, bei denen Patienten nicht den Arzt aufsuchen, sondern bei denen eine rollende Arztpraxis zu den - zumeist alten und immobilen - Patienten kommt, sind in der Vergangenheit nur schwer zu etablieren gewesen. So habe der erste zahnärztliche Hausbesuchsdienst in Deutschland, den die Templiner Zahnärztin Kerstin Finger aufgebaut hat, jahrelang rote Zahlen geschrieben.

"Umherziehen" verboten

Damit das Aufsuchen der Patienten nicht als ein berufsrechtlich verbotenes "Umherziehen" galt, durfte die Zahnärztin nur einen Vormittag in der Woche unterwegs zu ihren Patienten sein. Auch bei der "Rollenden Arztpraxis", die von Mitte 2013 bis Ende 2014 im Landkreis Wolfenbüttel unterwegs war, konnten berufsrechtliche Probleme nur ausgeräumt werden, indem das Vorhaben als Pilotprojekt mit eigenem Rahmenvertrag definiert wurde.

Zwar wurde das erhoffte Patientenklientel mit der "Rollenden Arztpraxis" erreicht - im Schnitt knapp 70 Jahre alt und oft chronisch krank - , doch der Arztbus war im Betrieb nicht wirtschaftlich. Das Projekt ist Ende vergangenen Jahres ausgelaufen.

Noch schwieriger sieht nach Angabe der Wissenschaftler die Situation bei der Versorgung mit Arzneimitteln aus: Ein Apothekenbus wäre nach den gesetzlichen Vorgaben "selbst dann nicht möglich, wenn ein ortsansässiger Apotheker es beispielsweise in Form einer oder mehrerer rollender Filialen umsetzen wollte.

Die Rahmenbedingungen entscheiden

Neuerungen hätten gegen die Lobby der 21.000 mittelständischen deutschen Apotheken keine Chance, stellen die Autoren fest. Der Ball liege somit bei der Politik. Der Gesetzgeber müsse über die Rahmenbedingungen entscheiden, um "auch in entlegenen, dünn besiedelten Gebieten eine sichere, verlässliche und schnelle Arzneimittelversorgung zu gewährleisten".

Die Studienautoren fordern angesichts der bisherigen Erfahrungen mit innovativen Versorgungslösungen auf dem Land einen langen Atem. "Viele Ansätze müssen wieder aufgegeben werden, damit sich am Ende das durchsetzt, was den Bewohnern das Leben erleichtert."

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Kommentare
Dr. Karlheinz Bayer 16.01.201514:29 Uhr

kontraproduktive Lösungsansätze


Patientenbusse, MVZ und Förderungen einzeklner Objekte, wie in Büsum passiert, sind die eigentlichen Verhinderer einer kontinuierlichen Praxisentwicklung.
Es fällt garnicht schwer, Praxisnachfolger zu finden.
Es fällt aber sehr schwer, sie zu finden, wenn im Nachbardorf ein MVZ oder ein Ärztehaus mit kommunaler Förderung eingerichtet wird.
Busse sind zwar hervborragend geeignet, die Ambulanzen in den Städten zu beglücken, aber die Kassen zahlen auf der Gegenseite leider keine Taxis von den Wohnungen in die Arztpraxen.
Ich glaube, man will die Landpraxen garnicht.
Hier, eine zentrale Praxis in der Stadt und einen Bus dorthin, ist doch für die Krankenkassen lukrativer.

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