Transplantationsmedizin

Wie gewinnen Ärzte das Vertrauen zurück?

Deutschland gehört zu den Schlusslichtern Europas in Sachen Organspenden. Bei der Jahrestagung der DTG zeigten sich die Mediziner selbstkritisch. Die Schuld liege nicht bei der Bevölkerung.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Der Transplantationsskandal hat mit dem Vertrauen potentieller Organspender gezündelt: Die Anzahl der Spender ist seitdem im Keller.

Der Transplantationsskandal hat mit dem Vertrauen potentieller Organspender gezündelt: Die Anzahl der Spender ist seitdem im Keller.

© Mopic / Fotolia

Der 16. Juli 2012 gilt in der deutschen Transplantationsmedizin als Stunde Null. Bei der Mitgliederversammlung der Deutschen Transplantationsgesellschaft (DTG) wurde bekannt, dass es am Universitätsklinikum Göttingen vorsätzliche systematische Verstöße gegen Regeln und Richtlinien der Bundesärztekammer zur Organtransplantation gegeben hatte – im großen Stil.

Erst kurz zuvor hatte der Gesetzgeber Änderungen des Transplantationsgesetzes beschlossen: Die Entscheidungslösung wurde eingeführt. Sie sieht vor, die Bevölkerung regelmäßig schriftlich über Organtransplantation zu informieren und die Menschen aufzufordern, sich zur Frage der postmortalen Spende zu erklären.

Außerdem wurde festgelegt, dass an Kliniken mit potenziellen Spendern Transplantationsbeauftragte implementiert werden. Das Ziel: die Bereitschaft zur Organspende zu fördern.

Transplantationsskandal rieß in Abgrund

Nun geriet die deutsche Transplantationsmedizin in ihre bislang tiefste Krise. Der Sommer 2012 war der Beginn des sogenannten Transplantationsskandals.

Am Ende intensiver, flächendeckender Untersuchungen der Prüfungs- und Überwachungskommission bei der Bundesärztekammer (BÄK) stand zwar die Erkenntnis, dass es bewusste systematische Verstöße gegen Regeln und Richtlinien zur Organtransplantation nur an einigen wenigen deutschen Zentren gab. Aber das Vertrauen war erschüttert.

Bei der diesjährigen Jahrestagung in Essen wurde nun deutlich, dass sich die Transplantationsmedizin auch vier Jahre später noch nicht erholt hat. Als Messfühler für Vertrauen gilt die postmortale Organspende.

Der starke Abwärtstrend, der 2011 begonnen hatte, ließ sich nicht aufhalten. In diesem Jahr wird vermutlich die Rate postmortaler Organspender zwischen 10 und 11 pro Million Einwohner liegen (die "Ärzte Zeitung" berichtete in ihrer App-Ausgabe).

Organspende-Abwärtstrend zeigt Misstrauen

Das wären circa 400 Spender weniger als noch 2010, bei durchschnittlich 3,3 Organentnahmen pro Spender ein Minus von etwa 1300 Organen. "Deutschland gehört nun bei der postmortalen Organspende zu den Schlusslichtern Europas", sagte der neue DTG-Präsident Professor Bernhard Banas.

Die Diagnose der Ursachen für die niedrige Rate an Organspenden ist schwierig, diese finden in einem hoch regulierten, komplexen und auch störanfälligen Beziehungsgefüge statt. "Es gibt nicht eine Ursache, sondern ein ganzes Bündel von Gründen", sagt Banas.

Die Zustimmungsraten zur Organentnahme – nach wie vor treffen meist die Angehörigen die Entscheidung – hätten sich im Langzeitverlauf nicht wesentlich verändert, hieß es bei der Tagung.

Ein hausgemachtes Problem?

"Das Problem liegt nicht in erster Linie bei der Bevölkerung", sagte Professor Björn Nashan vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

So hat eine aktuelle repräsentative Befragung von mehr als 4000 Bundesbürgern im Alter von 14 bis 75 Jahren durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ergeben, dass 58 Prozent für sich selbst eine Entscheidung zur Frage der Organ- und Gewebespende getroffen hatten, zu 74 Prozent war dies eine Zustimmung.

Acht von zehn Befragten standen der postmortalen Organ- und Gewebespende generell positiv gegenüber. Dennoch sei das gesamtgesellschaftliche Klima nicht so, dass Kliniken stolz sein könnten auf Organspende.

Erhebungen an den Kliniken weisen Banas und Nashan zufolge daraufhin, dass potenzielle Spender häufig noch immer nicht als solche erkannt oder intensivmedizinische Maßnahmen vorzeitig abgebrochen werden, ohne dass die Möglichkeit einer Organspende hätte geklärt und ein erstes orientierendes Gespräch mit den Angehörigen geführt werden können.

"Die postmortale Organentnahme ist für Kliniken ein hoher Aufwand", sagte Nashan. Wichtig sei, dass die nun implementierten Transplantationsbeauftragten durch Klinikleitung und ärztliche Direktion kontinuierlich unterstützt würden. Das bedeute auch angemessene Honorierung und Freistellung für ihre Tätigkeit als Transplantationsbeauftragte. Dies sei nicht überall umgesetzt.

Krise als Chance für Erneuerung

Möglich ist nach Angaben von Banas auch, dass sich die Kliniken auf die im vergangenen Jahr überarbeiteten Richtlinien zur Feststellung des Hirntods, die einige formale Modifikationen enthalten, noch nicht vollständig eingestellt hätten. Auch dazu bedürfe es der Unterstützung.

Intensive Strukturveränderungen, mehr Qualitätssicherung und Transparenz, neue gesetzliche und untergesetzliche Regelungen, die beides sichern sollen wie die regelmäßigen Prüfungen der Zentren und die Veröffentlichung der Ergebnisse, die genau nachvollziehbare Diskussion von Richtlinienänderungen durch die BÄK – Politik und Transplantationsmedizin haben die Krise als Chance für Erneuerung genutzt.

Im Spannungsfeld zwischen den vertrauensfördernden Effekten von Offenheit und dem Risiko einer rufschädigenden Wirkung bei Regelverletzungen hat man sich für Offenheit entschieden.

Auch die Fachgesellschaft. Die Mitgliederversammlungen sind seit 2013 für Medien zugänglich und die DTG macht deutlich, dass bestimmte Formen von Fehlverhalten nicht mit der Mitgliedschaft in der DTG vereinbar sind.

Die Grundlagen für Vertrauen in die Transplantationsmedizin sind geschaffen. Nun müssen alle Beteiligten inklusive der Kostenträger daran arbeiten, dass die postmortale Organspende in der Praxis auch umsetzbar ist.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Transplantationsmediziner: Klare Kante zeigen!

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