Neue Wege gegen den Ärztemangel
Zu 125 Prozent Hausarzt sein
Höchstens 15 Minuten für Patienten zum Hausarzt, vier Hausärzte teilen sich zusätzlich einen verwaisten Sitz auf dem Land: Gutachter empfehlen neue Wege in der Bedarfsplanung.
Veröffentlicht:BERLIN. Die Weiterentwicklung der ambulanten Bedarfsplanung kann aufs Gleis gesetzt werden. Am Montag hat ein Gutachterkonsortium dazu ein 810-seitiges Gutachten vorgestellt. Bis Mitte 2019, so will es Gesundheitsminister Jens Spahn, sollen die Trägerorganisationen des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) daraus die neue Richtlinie schmieden. Folgende Empfehlungen trug die federführende Gutachterin, Professorin Leonie Sundmacher von der Ludwig Maximilian-Universität München vor:
- Hausärzte sollten für 99 Prozent der Bevölkerung binnen 15 Minuten zu erreichen sein; Fachärzte einschließlich der Psychotherapeuten in 30 Minuten; Kinderärzte in 20 Minuten. Diese Werte werden bislang noch weitgehend erzielt.
- Hausärzte sollen sich anstatt für einen für 1,25 Hausarztsitze bewerben können. Voraussetzung soll die Beschäftigung einer nichtärztlichen Praxisassistentin sein.
- Unterdisziplinen wie bei den Internisten sollen differenzierter beplant werden können als heute; Chirurgen und Orthopäden sollen zusammengelegt werden, Psychiater und Neurologen als Arztgruppen wieder getrennt werden.
- Die Bedarfsplanung soll stärker anhand von Arbeitskapazität als von Köpfen ausgerichtet werden.
Die aktuelle Verteilung der Ärzte im Land hat Schwächen. 3082 Arztsitze, davon 2336 Hausarztsitze seien derzeit nicht besetzt, unterstrich GBA-Chef Professor Josef Hecken die Dringlichkeit der Neuausrichtung der Bedarfsplanung. Damit sei der Bedarf aber noch nicht wirklich definiert. "Es kommen dramatische Altersabgänge auf uns zu", warnte Hecken.
Mehr als 33.000 niedergelassene Ärzte seien heute bereits über 60 Jahre alt (siehe nachfolgende Grafik). Die Neuberechnung der Verhältniszahlen, wie von Sundmacher vorgeschlagen, könnte den rechnerischen Bedarf an zusätzlichen Hausärzten gegenüber heute auf mehr als 7000 treiben.
Schwierige Verhandlungen
Erste Diskussionsbeiträge lassen erahnen, dass die Konsensfindung nicht einfach sein dürfte. Aus der Politik drangen unterschiedliche Signale: Die Bedarfsplanung abzuschaffen schlägt Dr. Wieland Schinnenburg für die FDP vor. Für die Grünen forderte Dr. Kirsten Kappert-Gonther die Selbstverwaltung auf, die Empfehlungen der Wissenschaftler ernst zu nehmen.
Skeptisch äußerte sich der Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Walter Plassmann. Zu glauben, durch die Wegnahme von Sitzen in als überversorgt geltenden Regionen werde in anderen Gebieten Versorgung geschaffen, sei ein Irrglaube. Die Vertragsärzte würden zudem dahingehend verhandeln, die sozio-ökonomischen Faktoren aus der Planung herauszuhalten. Die Gutachter selbst halten die Datenlage dazu für limitiert.
Für die Kassenseite pochte Dr. Tomas Uhlemann vom GKV-Spitzenverband auf eine Verschärfung der Wiederbesetzungsregeln in als überversorgt geltenden Gebieten. Gabriele Hörl von der bayrischen Staatsregierung kündigte an, die Länder würden keinem Regelwerk zustimmen, das dem Bürger haftungsbewehrte Ansprüche gewähre, zum Beispiel den, einen Arzt in einer bestimmten Zeit zu erreichen.