Neue technische Möglichkeiten
Bitkom fordert: Ärzte sollen offen gegenüber Digitalisierung sein
Der positive Corona-Effekt auf die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens darf nach Pandemieende nicht verpuffen, warnt der IT-Verband Bitkom. Er sieht vor allem Ärzte und Kassen in der Pflicht.
Veröffentlicht:Berlin. Ärzten kommt bei der weiteren Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens eine zentrale Rolle zu. So sieht es zumindest Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbandes Bitkom.
Am Mittwoch appellierte er an alle Ärztinnen und Ärzte, ihren Patienten nicht vom Gebrauch einer elektronischen Patientenakte (ePA) abzuraten. Auch habe er kein Verständnis dafür, wenn sich einzelne Kassenärztliche Vereinigungen öffentlich abfällig über die ePA äußerten.
„ePA ist das Kernstück“
„Die elektronische Patientenakte ist das Kernstück der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Mit ihr erhalten die Versicherten einen schnellen Zugriff auf ihre medizinischen Daten, Diagnosen und bald auch ihren Impfpass. Sie werden dadurch informierter und souveräner“, so Rohleder.
Und ergänzt: „Neben der technischen Ausstattung braucht es dafür auf Ärzteseite ein digitales Mindset: Offenheit gegenüber der Digitalisierung und die Bereitschaft, die neuen technischen Möglichkeiten aktiv zu nutzen.“
Kommentar zur Digitalisierung
Es gestaltet, wer das Zepter in der Hand hält
Fakt ist, wie aus den von Rohleder präsentierten Ergebnissen der aus dem Mai stammenden, repräsentativen Befragung zum Thema Digital Health im Auftrag des Industrieverbandes hervorgeht, dass 75 Prozent zustimmen, wenn es heißt, mit digitalen Technologien ließen sich Krisen wie die gegenwärtige Corona-Pandemie besser bewältigen – eine Steigerung um mehr als 20 Prozentpunkte verglichen mit 2020.
Und 70 Prozent sind der Meinung, Deutschland hänge bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems hinter anderen Ländern zurück – 60 Prozent waren es vor einem Jahr.
Von Informationstiefe und Effizienz überzeugt
Nach eigener Aussage nutzen erst 0,2 Prozent eine ePA, zu deren Bereitstellung die gesetzlichen Krankenversicherer seit 1. Januar 2021 gesetzlich verpflichtet sind. 66 Prozent wollen sie künftig gern nutzen, aber immerhin ein Fünftel (21 Prozent) hat daran keinerlei Interesse – und zehn Prozent geben an, sich bislang noch nicht mit der ePA befasst zu haben.
Wer an der ePA interessiert ist, sieht als Vorteil vor allem, dass andere Ärzte Diagnosen, Befunde oder Arztbriefe einsehen können (74 Prozent). 71 Prozent wollen per ePA selbst alle Infos über die eigene Krankengeschichte im Blick haben und 64 Prozent finden vorteilhaft, dass Doppeluntersuchungen durch die digitale Dokumentation in der ePA vermieden werden.
Diejenigen, die die ePA nicht nutzen wollen, haben vor allem Bedenken, dass ihre Daten nicht sicher sind (56 Prozent). Das könnte von dem schwelenden Zwist zwischen Kassen und Professor Ulrich Kelber, seines Zeichens Bundesdatenschutzbeauftragter zusammenhängen. Kelber mahnt wesentliche Verbesserungen beim feingranularen Datenmanagement für die ePA-Nutzer an.
Beide Seiten zeigen sich klagebereit. Eine Lösung ist bis dato nicht in Sicht. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) sorgt sich um Eingabefehler und einem Drittel (31 Prozent) erscheint die Beantragung bei seiner Kasse zu aufwändig.
Kein Verständnis für 30-Prozent-Kappung bei Videosprechstunden
Die Verbreitung der Videosprechstunde ist in den vergangenen 12 Monaten eher langsam vorangegangen, als es sich abzuzeichnen schien. 14 Prozent der Menschen in Deutschland ab 16 Jahren haben ein solches digitales Angebot schon einmal genutzt – 13 Prozent waren es im Sommer 2020.
Vor allem die 50- bis 64-Jährigen haben laut Umfrage die Videosprechstunde für sich entdeckt: Mehr als ein Fünftel aus dieser Gruppe (22 Prozent) hat schon einmal einen digitalen Arztbesuch absolviert. 18 Prozent sind es bei den 16- bis 29-Jährigen und 15 Prozent bei den 30- bis 49-Jährigen. Von den Seniorinnen und Senioren ab 65 Jahren haben allerdings lediglich drei Prozent schon einmal das Angebot einer Videosprechstunde genutzt.
„Patientinnen, Patienten und medizinisches Personal werden vor Ansteckung geschützt, Fahrtwege und Wartezeiten entfallen – bei bestimmten Krankheitsbildern oder etwa der Besprechung von Testergebnissen bietet die Videosprechstunde oft klare Vorteile gegenüber dem persönlichen Besuch in der Praxis“, zählt Rohleder die Vorteile dieser digitalen Gesundheitslösung auf.
Daher sei es unverständlich, dass niedergelassene Vertragsärzte Videosprechstunden – Stand heute – nach Aufhebung der Corona-Sonderregeln ab 1. Oktober aus rein abrechnungstechnischen gründen auf 30 Prozent ihrer Sprechstunden kontingentieren müssten.
Das sieht das Digitale Versorgung und Pflege-Modernisierungs-Gesetz (DVPMG) vor. „Nötig ist eine vollumfassende Gleichstellung von Videosprechstunden mit dem Arztbesuch vor Ort, wie dies zum Beispiel in Frankreich bereits der Fall ist“, springt Rohleder als Anwalt von Patienten und Ärzte in die Bresche.
Auch Patienten für Ausbau des Telemedizin-Angebotes
Von denen, die bereits Videosprechstunden genutzt haben, ist die weit überwiegende Mehrheit zufrieden: 53 Prozent beurteilen ihre Erfahrung als „eher gut“ und „43 Prozent als „gut“.
Fast alle (95 Prozent) sind der Ansicht, das Angebot an Videosprechstunden solle ausgebaut werden, und drei Viertel (74 Prozent) beurteilen die Behandlung als ebenso gut wie eine persönliche Behandlung in der Praxis. 70 Prozent haben die Videosprechstunde genutzt, weil sie sich vor einer Infektion mit dem Corona-Virus im Wartezimmer einer Arztpraxis fürchten.
61 Prozent brauchten möglichst schnell einen ärztlichen Rat und 60 Prozent wollten Wartezeit vermeiden. 31 Prozent nutzen Videosprechstunden aus Bequemlichkeit – und 20 Prozent haben diese aus Neugier ausprobiert.
Neugier auf DiGA ist geweckt
Verwirrung scheint in der Bevölkerung offensichtlich noch in puncto zu Lasten der GKV rezeptierbarer Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) und anderen Gesundheits-Apps zu herrschen. So gaben zwei Prozent an, bereits eine App rezeptiert bekommen zu haben.
Auf Nachfrage der „Ärzte Zeitung“ räumte Rohleder aber ein, bei der Befragung nur nach Apps auf Rezept und nicht explizit nach DiGA gefragt zu haben. Denn die Kassen sprechen selbst von einer bis dato äußerst niedrigen Nachfrage nach DiGA.
In der Bitkom-Studie geben 51 Prozent der Befragten an, sie könnten sich künftig vorstellen, eine solche App zu nutzen, die etwa bei Tinnitus oder Schlafstörungen, Migräne oder Adipositas hilft. Für 45 Prozent sind Gesundheits-Apps auf Rezept nach eigenem Empfinden nicht geeignet.
Rohleders Conslusio: „Künftig müssen Politik und Krankenkassen noch besser und umfassender über Nutzen, Anwendung und Verordnungsmöglichkeiten informieren – nicht nur gegenüber den Versicherten, sondern auch gegenüber Ärztinnen und Ärzten.“
Mehrheit offen für E-Rezept
Am 1. Juli ist ein Pilotprojekt zum E-Rezept an den Start gegangen – ab Januar 2022 haben alle Versicherten einen rechtlichen Anspruch darauf. Das Interesse ist groß: 59 Prozent der Deutschen wollen das E-Rezept nutzen, aber 39 Prozent wollen dies nicht.
„Mit dem E-Rezept wird der gesamte medizinische Versorgungsprozess durchgehend digital. Wichtig ist jetzt, dass die Arztpraxen, Apotheken und Krankenkassen die notwendige Technik zügig implementieren“, appelliert Rohleder an die genannten Akteure im Gesundheitswesen.
Die Hälfte derer, die das E-Rezept nutzen wollen, erhofft sich davon vor allem eine automatische Erkennung von Wechselwirkungen (51 Prozent), 44 Prozent wollen damit Zettelwirtschaft vermeiden, und 30 Prozent setzen auf digitale Medikationspläne.
Große Nachfrage nach digitalem Impfnachweis
Etwa 21 Prozent der Bundesbürger sind laut Bitkom nicht im Besitz eines Smartphones. 42 Prozent der Nutzerinnen und Nutzern eines Smartphones haben aber bereits den digitalen Impfnachweis zur Dokumentation der Corona-Schutzimpfungen auf dem eigenen Smartphone gespeichert – zwei Prozent haben dies auf dem Smartphone einer anderen Person getan.
Weitere 41 Prozent wollen sich den digitalen Impfnachweis künftig besorgen – 26 Prozent „in jedem Fall“ und 15 Prozent „wahrscheinlich“. Lediglich 12 Prozent geben an, kein Interesse am digitalen Impfnachweis zu haben, obwohl sie ein Smartphone haben.
Die meisten Nutzerinnen und Nutzer des digitalen Impfnachweises haben ihn in der Apotheke ausstellen lassen (31 Prozent), 26 Prozent im Impfzentrum und rund ein Fünftel (22 Prozent) in der Arztpraxis. Einige wenige bekamen ihn auch per Brief (acht Prozent) oder per E-Mail (sechs Prozent) zugesandt.