Keine Befunderhebung?
Dann droht Beweislastumkehr
Der Bundesgerichtshof hat die Daumenschrauben für Ärzte bei einer fehlenden Dokumentation erneut angezogen. Damit werden die Patientenrechte in Arzthaftungsfällen weiter gestärkt.
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Der BGH hat gesprochen - und die Beweislastumkehr bei Arzthaftung noch einmal etwas erleichtert.
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KARLSRUHE. Wenn Ärzte einen Befund nicht erheben oder dies nicht dokumentieren, kann dieser Fehler weitreichende Folgen haben. Nach einem jetzt schriftlich veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe gilt dann eine weite Beweislastumkehr zugunsten der Patienten.
Diese umfasst alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Risiken, die sich schon durch das Fehlen des Befundes ergeben, heißt es in einem Urteil vom 2. Juli 2013.
Im Streitfall litt die später verstorbene Patientin schon seit mehreren Jahren unter Kopfschmerzen. Am 3. Februar 2002 wurde sie deswegen vom ärztlichen Notdienst in ein Krankenhaus in Sachsen-Anhalt eingewiesen.
Der dort erhobene neurologische Befund war unauffällig, Hinweise auf eine epileptische Aktivität wurden nicht festgestellt.
Keine klinische Verlaufskontrolle
Die behandelnde Ärztin verordnete Aspisol® und MCP gegen Übelkeit. Wie diese Medikamente gewirkt haben, ist in ihrer Akte nicht dokumentiert.
Am Folgetag verstärkten sich die Schmerzen. Erst jetzt wurde eine Hirnvenenthrombose diagnostiziert. Damit verbunden waren epileptische Krämpfe im Hirn. Die nun einsetzende Behandlung mit Heparin hatte keinen Erfolg mehr. Die Patientin starb nach gut acht Monaten.
Mit ihrer Klage verlangen nun die Töchter Schadenersatz und Schmerzensgeld: Die Krankenhausärztin hätte die Patientin weiter beobachten müssen. Dann hätte sie bemerkt, dass die verordneten Medikamente nicht anschlagen, und hätte dann mit Sicherheit weitere Untersuchungen veranlasst.
So wären die Ärzte 20 Stunden früher auf die Hirnvenenthrombose gestoßen und hätten diese entsprechend früher mit Heparin behandeln können. Die Patientin würde dann noch leben.
BGH hob Urteil der Vorinstanzen auf
Das Landgericht Dessau-Roßlau und das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg wiesen die Klage ab: Die Patientin sei vermutlich an den epileptischen Verkrampfungen gestorben.
Dass diese hätten vermieden werden können, wenn die Hirnvenenthrombose früher entdeckt worden wäre, hätten die Töchter nicht nachweisen können.
Der BGH hob diese Urteile nun auf und verwies den Streit an das OLG zurück. Es soll prüfen, ob eine Beweislastumkehr zugunsten der Töchter eingreift.
Dies würde bedeuten, dass nicht die Töchter beweisen müssen, dass der ärztliche Fehler zum Tod ihrer Mutter geführt hat, sondern umgekehrt die Ärztin und die Klinik, dass dies nicht der Fall war.
Bislang sei das OLG irrig davon ausgegangen, dass der Fehler in der verspäteten Diagnose der Hirnvenenthrombose gelegen habe, rügte der BGH. Der Fehler sei aber schon früher geschehen, nämlich als nach Gabe der Medikamente die "klinische Verlaufskontrolle" unterblieb.
Die Beweislastumkehr sei daher weiter als vom OLG angenommen. Sie gelte für alle gesundheitlichen Folgen und Risiken, die sich schon aus dem Befunderhebungsfehler ergeben haben.
Az.: VI ZR 554/12