App auf Rezept
Die Crux mit klinischen Studien zum Nutzennachweis
Anbieter Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) müssen einen positiven Versorgungseffekt ihrer E-Health-Lösung nachweisen, bevor Ärzte diese auf Kasse rezeptieren dürfen. Die fiktive DiGA „Hand-Fit“ für Patienten mit rheumatoider Arthritis zeigt, wie diffizil die Methodik ist.
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Kann eine Digitale Gesundheitsanwendung Patienten mit rheumatoider Arthritis helfen? Hier ist Evidenz gefragt.
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Heidelberg. Die Gesundheits-App „Hand-Fit“ soll als spezielles Bewegungstraining zur Schmerzlinderung bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (rA) der Fingergelenke Patienten eine Schmerzlinderung versprechen.
Dr. Naomi Fujita-Rohrwerder vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat „Hand-Fit“ skizziert, um an ihr exemplarisch die Tücken des Nutzennachweises für Anbieter Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) darzulegen – was sie Ende Februar im Rahmen der „DiGA-Sprechstunde“ des health innovation hub (hih) im Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg auch tat. Denn im Auditorium saßen zahlreiche Vertreter von DiGA-Start-ups.
Vergleichende Studie erforderlich
Das Szenario der Methodenwissenschaftlerin: Der Anbieter will „Hand-Fit“ in das beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelte DiGA-Verzeichnis aufnehmen lassen, damit Ärzte sie – im Sinne des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) – voraussichtlich ab Sommer dieses Jahres zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnen können.
Der Knackpunkt dabei: Wie Fujita-Rohrwerder betonte, muss der Anbieter in der Regel binnen eines Jahres – im Ausnahmefall auch binnen zweier Jahre – gemäß Paragraf 139e SGB V gegenüber dem BfArM positive Versorgungseffekte seiner Lösung nachweisen, um in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen zu werden.
Laut Fujita-Rohrwerder werden die Anforderungen an den Nutzennachweis gemäß DiGA-Verordnung (DiGAV), die Ende dieses Monats in Kraft treten solle, durchaus hoch sein. Sie bezog sich dabei auf den – zum Stand 15. Januar – DiGAV-Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums, zu dem Minister Jens Spahn (CDU) vom hih beraten werde.
In Paragraf 14 definiere die DiGAV positive Versorgungseffekte: „Der medizinische Nutzen im Sinne dieser Verordnung ist der patientenrelevante therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustandes, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens oder einer Verbesserung der Lebensqualität.“
In Paragraf 16 der DiGAV werden die DiGA-Hersteller verpflichtet, den Nutzennachweis ihrer Lösung mittels einer vergleichenden Studie zu führen, die „belegt, dass die Intervention gegenüber der Nichtanwendung der digitalen Gesundheitsanwendung überlegen ist“. Aus Methodensicht sichere eine vergleichende Studie hinsichtlich Evidenz „ausreichend hohe Ergebnissicherheit“ zu, betonte Fujita-Rohrwerder.
Sie riet den Anbietern zur Formulierung einer präzisen klinischen Fragestellung mittels des in Paragraf 3 DiGAV vorgesehenen PICO-Schemas (Patient/population, Intervention, Comparison, Outcome).
- Patient/population: Die Anwendung der zu prüfenden DiGA sollten Hersteller in der Regel auf eine Indikation beschränken – im Falle von „Hand-Fit“ auf Patienten mit rheumatoider Arthritis der Fingergelenke. Zu bedenken sei dabei, so Fujita-Rohrwerder, dass gleichgerichtete Effekte nicht zwingend erwartbar seien, für einzelne Indikationen sich gegebenenfalls eine unzureichende Datenlage ergeben könne. Zudem seien eventuell unterschiedliche Kontrollinterventionen nötig.
- Intervention: Diese sollte sich ausschließlich auf die zu prüfende DiGA beziehen, ansonsten sei die Gleichbehandlung der Patienten in der Gruppe angeraten. Im Falle von „Hand-Fit“ solle die DiGA zusätzlich zum Versorgungsstandard eingesetzt werden.
- Comparison: In der Regel sollte hier, so Fujita-Rohrwerder, der medizinische Versorgungsstandard – und damit die Nichtanwendung der betreffenden DiGA – gewählt werden. Dieses Szenario habe sie auch für „Hand-Fit“ gewählt.
- Outcome: Zur Definition und Auswahl patientenrelevanter Zielgrößen zur Feststellung krankheits- und behandlungsbedingter Effekte empfahl die Methodikerin, sich zum Beispiel an IQWiG-Nutzenbewertungen zu orientieren. Im Falle von „Hand-Fit“ seien dies Schmerzen oder die Handfunktion der rA-Patienten.
In der Regel sollten es RCT sein
Anhand von „Hand-Fit“ spielte Fujita-Rohrwerder exemplarisch durch, wo die methodischen Fallen für DiGA-Anbieter beim Nutzennachweis für das BfArM liegen. Wie sie hervorhob, hänge die Wahl des geeigneten Studiendesigns aus methodischer Sicht ab von der Fragestellung (hier: medizinischer Nutzen der Therapie-DiGA „Hand-Fit“), der Größe des erwartbaren Effektes (sehr großer Effekt?), der Relevanz/Beherrschbarkeit von Verzerrungen durch Confounding sowie der gewünschten Aussagekraft der Studienergebnisse (Korrelation vs. Kausalität).
Entscheidend sei auf jeden Fall der faire Vergleich zwischen Interventions- und Kontrollgruppe, wie Fujita-Rohrwerder verdeutlichte. Wenn Evidenz für einen Kausalitätsnachweis mit hoher Ergebnissicherheit generiert werden solle, dann sei hierzu in der Regel eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) am besten geeignet. Die Ausnahme sei gegeben, wenn sehr große Effekte erwartbar seien.
Auch wenn DiGA-Anbieter den RCT kritisch gegenüberstünden, seien aussagekräftige klinische Studien mit DiGA zum medizinischen Nutzen notwendig und machbar, betonte sie. „Aus Patientensicht zählen allein Nutzen und Schaden“, schloss Fujita-Rohrwerder.
So steht es im Verordnungsentwurf
Paragraf 14 der Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) definiert den medizinischen Nutzen, den Hersteller dem BfArM nachweisen müssen, um mit ihrer Lösung in dessen DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden zu können:
„Der medizinische Nutzen im Sinne dieser Verordnung ist der patientenrelevante therapeutische Effekt insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustandes, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens oder einer Verbesserung der Lebensqualität.“