Interview mit KBV-Vorstand Dr. Kriedel
"Die Fristen werden sich nicht halten lassen"
Ein neues E-Health-Gesetz hält KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel trotz der erneuten Verzögerungen bei der Telematikinfrastruktur (TI) nicht für notwendig. Er würde sich aber mehr Spielräume in diesem komplexen Projekt wünschen.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Dr. Kriedel, das Bundesgesundheitsministerium hat eingelenkt: Die Pflicht zum Online-Abgleich der Versichertenstammdaten für Ärzte wird ziemlich sicher um ein halbes Jahr nach hinten verschoben. Zeit genug, um alle Vertragsarztpraxen an die TI anzubinden?
Dr. Thomas Kriedel: Wir begrüßen es zunächst einmal sehr, dass der Gesetzgeber gehandelt und unsere Hinweise aufgenommen hat. Jedoch: Auch die Verlängerung um ein halbes Jahr stellt immer noch eine sehr enge und sportliche Frist dar.
Ursprünglich hatte der Gesetzgeber eigentlich eine Frist von zwei Jahren vorgesehen. Ich hoffe, dass die Industrie – und nicht nur ein Hersteller – nun in ausreichender Zahl die geforderten Geräte fristgerecht liefern und in den Praxen installieren kann. Ich bin gespannt.
Die KBV rät Ärzten, in Sachen Technik für die TI eher abzuwarten, bis ein zweiter Konnektor am Markt ist. Gleichzeitig müssen Praxen, die warten, mit geringeren Förderpauschalen rechnen. Wie wahrscheinlich ist es, dass der zweite Konnektor tatsächlich für sinkende Preise im Markt sorgt?
TK: Ich bleibe dabei: Die Praxen sollten nichts überstürzen. Diese Einschätzung von KBV und KVen gilt: Es werden weitere Geräte von verschiedenen Herstellern auf den Markt kommen
Zudem darf man nicht vergessen: Der Kauf der Geräte ist der eine Teil der Refinanzierung. Der andere Teil enthält Pauschalen für Technikinstallation und Wartung. Daran ändert sich ja nichts.
Der GKV-Spitzenverband hat bereits deutlich gesagt, dass weitere Fristen des E-Health-Gesetzes wackeln – und zwar gerade bei den für Ärzte nutzenbringenden Anwendungen wie den E-Notfalldaten. Wie bewerten Sie – als Selbstverwaltung –diese erneuten Fristverschiebungen?
TK: Das sehen wir genauso: Die vom Gesetzgeber festgelegten Fristen für die E-Notfalldaten und den Medikationsplan werden sich nicht halten lassen. Wir sind dabei, Lösungen zu entwickeln, wobei sich die konzeptionelle Gestaltung als noch wichtiger erweist als die technische Umsetzung.
Nicht vergessen darf man, dass wir wie bei allen Bestandteilen dieses sehr komplexen Projekts auf das Zusammenwirken aller Beteiligten angewiesen sind – auch der Industrie. Ohne Produkte lässt sich nichts umsetzen.
Die KBV ist Mit-Gesellschafter der gematik: Woran liegt es, dass es einmal mehr nicht vorangeht? Auch hieran hängen teils Sanktionen für die Selbstverwaltung, wäre da nicht generell ein E-Health-Gesetz II erforderlich mit realistischem Zeitplan?
TK: Es wäre zu leicht, einfach auf die gematik einzuschlagen. Wir haben es, wie gesagt, mit einem sehr komplexen Projekt zu tun und der Einbindung von Millionen Patienten, Tausenden Praxen von Ärzten, Zahnärzten, von Krankenhäusern und Apotheken.
Dr. Thomas Kriedel
» Aktuelle Position: Seit März 2017 dritter Vorstand der KBV . Das Amt wurde neu geschaffen.
» Ausbildung: Studium der Wirtschaftswissenschaften in Konstanz; Abschluss Diplom-Volkswirt, Promotion.
» Werdegang: Dr. Thomas Kriedel wurde am 8. August 1949 in Augsburg geboren. Seit 1981 ist er im KV-System tätig: 2002-2004 Hauptgeschäftsführer der KV Westfalen-Lippe, 2005-2017 Vorstand der KVWL. Seit 2015 alternierender Vorsitzender der Gesellschafterversammlung und des Verwaltungsausschusses der gematik.
Und auf eines kann man nicht oft genug hinweisen: Im Vordergrund stehen Datenschutz und der sichere Zugang zu sensiblen Informationen. Und das ist bei der bisherigen Umsetzung gut gelungen.
Dass wir ein neues Gesetz brauchen, glaube ich nicht. Es wäre aber gut, wenn wir mehr Spielräume hätten. Wir wollen Innovationen voranbringen. Das geht aber natürlich nicht von heute auf morgen.
Inwieweit kann eine TI, deren Grundkonzept vor über zehn Jahren entwickelt wurde, den heutigen Versorgungsgegebenheiten überhaupt noch gerecht werden?
TK: Natürlich würde man heute ein solches Projekt mit neuen technischen Möglichkeiten anders auflegen. Aber vor dem Hintergrund des Grundsatzes eines sicheren Zugangs zu Daten muss man feststellen, dass die Karte immer noch ein sicheres Medium ist.
Sie stellt einerseits einen vergleichsweise sicheren Ausweis dar, andererseits dient sie der ebenfalls relativ sicheren Identifikation. Andere Möglichkeiten könnten noch hinzukommen.
Vergleichen wir das einmal mit dem Prinzip des Online-Bankings: Auch hier gibt es mittlerweile verschiedene technische Möglichkeiten der sicheren Nutzung. Die TI ist flexibel genug, um sich weiterentwickeln zu können, insbesondere was mobile Szenarien angeht.