Junge Ärzte

"Eine eigene Praxis ist oft wie Jonglieren auf dem Einrad"

Wenn junge Ärzte sich mit der Frage einer Niederlassung beschäftigten, dann spielen wirtschaftliche Überlegungen eine wichtige Rolle. Denn so mancher fragt sich: Kann ich mir eine Praxis überhaupt leisten? Beim BWL-Seminar der Kompetenzzentren Weiterbildung Allgemeinmedizin Hessen wurde diese Frage beantwortet.

Von Anne Zegelman Veröffentlicht:
Eine eigene Praxis ist für junge Ärzte oft ein Balanceakt auf dem Drahtseilakt.

Eine eigene Praxis ist für junge Ärzte oft ein Balanceakt auf dem Drahtseilakt.

© RioPatuca Images / fotolia.com

FRANKFURT. Das Bild, das Allgemeinmediziner Christian Sommerbrodt gewählt hat, um das Führen einer Praxis zu verdeutlichen, spricht für sich. Ein weiß geschminkter Artist balanciert auf einem Einrad auf dem Drahtseil, während er mit drei metallenen Kegeln jongliert.

"Ungefähr so ähnlich werdet Ihr Euch fühlen, wenn Ihr eine eigene Praxis habt", sagt Sommerbrodt vor jungen Ärzten beim Weiterbildungskolleg der Kompetenzzentren Weiterbildung Allgemeinmedizin Hessen an der Uni Frankfurt. "Eure drei Kegel werden Medizin, Praxisführung und Abrechnung sein."

Sommerbrodt, der mit drei Kollegen eine Gemeinschaftspraxis in der Wiesbadener Innenstadt betreibt, hat sein dreieinhalbstündiges Seminar für Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) schlicht mit "BWL" überschrieben. Es geht um ganz konkrete Fragen der Praxisführung wie Organisationsstruktur, wirtschaftliche Grundlagen und kassenärztliche Vergütung.

"In der Medizin passiert die Action!"

Dabei sind Medizin, Organisation und Abrechnung die drei Bereiche, ohne die keine Praxis laufen könne. "Alle gucken immer nur auf die Medizin, denn dort passiert die Action!", sagt Sommerbrodt. "Aber die Medizin kann nur funktionieren, wenn Ihr die nötige Ruhe habt, Euch damit zu beschäftigen. Deshalb müsst Ihr Euren MFAs genau sagen, was Ihr wollt und wie sie Euch unterstützen können."

Im Prinzip sei das Führen einer Praxis durchaus zu vergleichen mit einem handwerklichen Betrieb, einem Bäckerladen, Frisör oder sogar Nagelstudio, meint Sommerbrodt. Nur einen Unterschied gebe es: "Wie gefährlich ist es für Ärzte, vom Seil zu fallen?", fragt er in die Runde und greift damit das Bild des jonglierenden Einradfahrers wieder auf.

"Gar nicht", meldet sich ein junger Arzt in Weiterbildung zu Wort. Der Wiesbadener Allgemeinmediziner nickt. "Genau! Es gibt praktisch keine Insolvenzen in der Medizin, da muss man sich schon extrem dämlich anstellen."

Sommerbrodt rechnet gemeinsam mit den jungen Ärzten in seinem Seminar die Kosten einer fiktiven Praxis durch. "Wenn Sie 200.000 Euro Umsatz im Jahr machen, geht knapp die Hälfte in die Praxis", gibt er zu bedenken.

Der Klecks Sahne neben dem Stück Erdbeerkuchen

2500 Euro im Monat könnten für Praxismiete und Nebenkosten veranschlagt werden, 4352 Euro für Personalkosten, 1970 Euro für Praxisbedarf. Dem stünden Einnahmen von 17.916 Euro monatlich gegenüber, die sich aus 16.666 Euro KV-Honorarumsatz und 1250 Euro Privateinnahmen zusammensetzten. Nach Abzug der Kosten von 8822 Euro erwirtschaftet Sommerbrodts fiktive Praxis einen Gewinn von 9094 Euro – von denen unterm Strich 3500 Euro bleiben.

Einige der Teilnehmer hatten den Verdienst als niedergelassener Hausarzt höher eingeschätzt, doch Sommerbrodt rückt ihn in Perspektive, indem er eine in der FAZ aufgegriffene Studie des Statistischen Bundesamtes zitiert: "Nur ein Prozent aller Steuerzahler verdienen mehr als Ihr, also mehr als 126.134 Euro im Jahr."Außerdem beruhigt er: "Hausärzte verdienen am Kassensystem generell nicht so schlecht."

Grund dafür seien unter anderem die extrabüdgetären Leistungen, die er mit einem Klecks Sahne neben einem Stück Erdbeerkuchen – dem Regelleistungsvolumen – vergleicht.Neben den Rechenbeispielen erklärt Sommerbrodt den Ärzten in Weiterbildung dann noch, wie die Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung funktioniert, wer in den Gesundheitsfonds einzahlt und wie das KV-System historisch gewachsen ist.

Angst, nicht alles zu überblicken

"Das ist wirklich ein hilfreiches Seminar", sagt Teilnehmerin Bahnan El-Haddad. "Man hat ja im Alltag sonst kaum Zeit, sich mit so etwas zu beschäftigen." Und eine andere junge Ärztin ergänzt: "Ich will mich niederlassen, aber ich habe Angst, womöglich nicht alle Faktoren zu überblicken. Eine solche Möglichkeit, sich zu informieren, ist sehr gut."

Das Weiterbildungskolleg Allgemeinmedizin Hessen ist aus dem Pakt zur Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung 2012 bis 2014 entstanden und wurde mittlerweile bis 2018 verlängert.

Mit den vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln haben die an den Universitäten Marburg und Frankfurt/Main eingerichteten Kompetenzzentren ein berufsbegleitendes Seminar- und Mentoringprogramm entwickelt.

Bislang rund 1000 Teilnehmer

In den Seminaren werden den zukünftigen Allgemeinmedizinern Inhalte vermittelt, die im Praxisalltag oft nicht vertieft werden können. Auch Ärzte in Weiterbildung aus angrenzenden Bundesländern können teilnehmen. Seit 2015 stehen zusätzliche Mittel durch die Adolf Messer Stiftung zur Verfügung.

Jeder Teilnehmer kann jährlich vier Seminartage besuchen. Pro Jahr werden vier Seminartage in Frankfurt und vier in Gießen angeboten, außerdem zwei Spezialseminare in der Migräne-Klinik Königstein und zwei auf neurologischen Themen zugeschnittene Seminartage in Bad Zwesten.

Susanne Sommer, die die Seminarangebote von Marburg aus koordiniert, erklärt, dass gerade die 200. Teilnehmerin neu begrüßt werden konnte. Insgesamt kommen die ÄiW bislang auf rund 1000 Seminarteilnahmen.

Weitere Informationen auf http://tinyurl.com/zaye4ws

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