EGMR

Menschenwürde reicht über den Tod hinaus

In Lettland wurde einem Unfallopfer heimlich Gewebe entnommen; nun erhält die Witwe Entschädigung. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist ein starkes Zeichen für die Würde des Menschen - auch über den Tod hinaus.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:

STRAßBURG. Auch im Zusammenhang mit Organ- und Gewebespenden müssen Ärzte und Behörden respektvoll mit jedem Leichnam umgehen. Denn die Würde und Integrität des Menschen reicht über seinen Tod hinaus, wie kürzlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg entschied.

Konkret sprach er einer Frau aus Lettland eine Entschädigung zu, deren verunglücktem Ehemann heimlich Körpergewebe entnommen worden war.

Der Ehemann der damals 31 Jahre alten Beschwerdeführerin war 2001 bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Die Behörden ordneten eine Autopsie an. Die Frau sah den Leichnam ihres Mannes letztlich erst zur Beerdigung wieder und wunderte sich, dass seine Beine zusammengebunden waren.

Gewebe für deutsches Unternehmen

2003 nahm die Sicherheitspolizei Ermittlungen wegen der illegalen Entnahme von Organen und Körpergewebe in den Jahren 1994 bis 2003 auf.

Allein von 1999 bis 2002 wurde danach bei 495 Verstorbenen Körpergewebe entnommen, ohne dass die Angehörigen davon wussten. Das Gewebe soll an ein deutsches Pharmaunternehmen geliefert worden sein, um daraus biologische Implantate herzustellen.

Erst im Zuge dieser Ermittlungen erfuhr die Frau, dass das forensische Institut, das die Autopsie vorgenommen hatte, auch Körpergewebe ihres Mannes entnommen hatte. Im Gegenzug für seine Gewebespenden soll das Institut medizinische Geräte und weitere Ausrüstung bekommen haben.

Mit mehreren Entscheidungen aus den Jahren 2006, 2007 und 2008 stellte die Sicherheitspolizei ihre Ermittlungen ein. Nach damaliger Rechtslage habe zwar ein Widerspruchsrecht der Angehörigen gegen die Entnahme von Organen und Gewebe bestanden.

Das forensische Institut sei aber nicht verpflichtet gewesen, nachzufragen oder auf das Widerspruchsrecht hinzuweisen. Ohne Widerspruch sei die Entnahme in dem konkreten Fall aber rechtmäßig gewesen.

Wie nun der EGMR entschied, waren die Verstorbenen und ihre Angehörigen in dieser Situation unzureichend vor Willkür geschützt.

Es hätten Regelungen gefehlt, um den Angehörigen ihr formal bestehendes Recht auf Zustimmung oder Widerspruch zu einer Entnahme von Organen oder Gewebe zu sichern. Dies verstoße gegen das Grundrecht auf Privat- und Familienleben, urteilten die Straßburger Richter.

Verstoß gegen die Menschenrechte

Im konkreten Fall habe die Frau über Jahre hinweg unter einer schmerzlichen Unsicherheit gelitten, was genau mit ihrem verstorbenen Ehemann geschehen war und warum seine Beine bei der Beerdigung zusammengebunden waren.

Erst im Zuge des Verfahrens vor dem EGMR habe sie erfahren, dass auch ein über zehn Mal zehn Zentimeter großes Stück der äußeren Hirnhaut entnommen worden war.

Die unzureichende Information wertete das Gericht unter dem Aktenzeichen 61243/08 im Januar als entwürdigende Behandlung und damit als weiteren Verstoß gegen die Menschenrechte.

Die Menschenwürde sei letztlich der Kern der Europäischen Menschenrechtskonvention, betonten die Straßburger Richter. Sie reiche auch weiteren internationalen Abkommen zufolge über den Tod hinaus. Daher müsse auch ein Leichnam respektvoll behandelt werden.

Die Richter gaben der Beschwerdeführerin deshalb Recht. Wegen der Menschenrechtsverstöße gegen ihren Mann muss Lettland der Ehefrau nun eine Entschädigung von 16.000 Euro bezahlen.

Den EGMR-Richterspruch im Original (Az.: 61243/08) lesen Sie unter diesem Link.

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Kommentare
Dr. Wolfgang P. Bayerl 04.02.201513:04 Uhr

Was hat Menschenwürde mit Bezahlung der Witwe zu tun?

Daher eine sehr problematische Entscheidung, weil man sich in der westlichen Welt, zumindest in Europa, dem "Autor" der Menschenrechtskonvention mit guten Gründen dazu verständigt hat, die "Bezahlung" von Organen zu untersagen, ganz besonders bei einem Toten, der weder Sache noch Person ist.
Die Witwe kann also nicht Ansprüche für einen Toten stellen!
Das erinnert an die mutige erste Lebertransplantation in Deutschland 1969 von Gütgemann, der strafrechtlich und zivilrechtlich von der Witwe verklagt wurde, die ebenfalls Geld für die Leber des Spenders haben wollte.
Deshalb ein sehr schlechtes Urteil!
Gütgemann wurde damals freigesprochen, strafrechtlich allerdings nur wegen subjektiver Unschuldsvermutung sozusagen wegen Neuland, immerhin hat er damit einem ca. 30-Jährigen das Leben gerettet.

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