Medizinprodukteverordnung

Novelle sorgt für Chaos, später vielleicht für Transparenz

Die novellierte Medizinprodukteverordnung der EU hat es in sich. Sie verordnet den Herstellern gnadenlose Transparenz zu Risiko und Sicherheit ihrer Lösungen. Das größte Hindernis dürfte zunächst allerdings die Bürokratie sein – auf Seiten der EU.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Minderwertige Implantate lösten die Novelle der EU-Medizinprodukteverordnung mit aus.

Minderwertige Implantate lösten die Novelle der EU-Medizinprodukteverordnung mit aus.

© Bruno Bebert/dpa

Transparenz und Patientensicherheit um jeden Preis – unter diesem Mantra steht die Novellierung der europäischen Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation/MDR), die am Dienstag in zweiter Lesung im EU-Parlament in Straßburg zur Verabschiedung anstand. Zwar war zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe die Generaldebatte über die MDR noch im Gange, jedoch rechneten Branchenvertreter unisono mit einem positiven Votum. 20 Tage nach Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt tritt sie dann in Kraft – also spätestens im Juli. Die knapp 600 Seiten starke MDR ordnet den Rechtsrahmen für Medizinprodukte komplett neu.

Für Teile der Medizintechnikbranche kann das Regelwerk wie ein tektonisches Beben wirken, das die Grundfeste vor allem der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) erschüttert. So fanden Forderungen nach obligatorischen klinischen Prüfungen von Implantaten der Klasse III und aktiven Produkten der Klasse IIb, die zum Beispiel zur Abgabe von Arzneimitteln in den Körper bestimmt sind, Eingang in das Regelwerk. Auf der deutschen Seite hatte sich unter anderem der AOK-Bundesverband vehement für die klinischen Prüfungen eingesetzt. Deutsche Branchenverbände wie der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) warnten hingegen regelmäßig vor den anfallenden Kosten für klinische Studien, die die Existenz manches Anbieters aus den Reihen der KMU gefährden könne.

Mit dem Inkrafttreten der neuen MDR zeigt die EU der Medizintechnikbranche eine fast beispiellose Härte. Sie löst gleichzeitig ein Versprechen an Patienten und Verbraucher ein, das sie im Zuge des Skandals um Brustimplantate mit minderwertigem Industriesilikon des inzwischen insolventen französischen Unternehmens Poly Implant Prothèse (PIP) gegeben hat: Medizinprodukte sollen höheren Anforderungen gerecht und sicherer werden. Mitauslöser für die MDR-Novelle war also der PIP-Skandal, auf den die EU-Kommission in ihrer Begründung für die Novelle vor fünf Jahren explizit rekurrierte.

Silikon, der Stoff, aus dem Albträume wurden

Silikon, der Stoff, aus dem ästhetische Chirurgen Frauenträume wahrwerden ließen – und lassen –, wurde für die Medizintechnikanbieter somit zum Albtraum der Sippenhaft. Mit der novellierten MDR will die EU eine vermeintliche Lücke im Überwachungssystem schließen. Knackpunkt war die Zertifizierung der minderwertigen PIP-Implantate durch den TÜV als Benannte Stelle. Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) vor Kurzem entschied, musste der TÜV bei dem Hersteller keine unangemeldeten Inspektionen durchführen, keine Geschäftsunterlagen sichten und auch das Endprodukt nicht prüfen (wir berichteten). Unter anderem das soll sich nun ändern.

Die neue MDR mutet bei genauerer Betrachtung an wie vom Reißbrett Wolkenkuckucksheimer Bürokraten. Denn: Transparenz schaffen soll die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed). Dort sollen für alle Interessenten wie Behörden, aber auch Ärzte und vor allem Verbraucher die obligatorischen klinischen Bewertungen zu sämtlichen Medizinprodukten frei zugänglich hinterlegt und jährlich aktualisiert werden – in allen 24 EU-Amtssprachen. Die Kosten und Organisation tragen einzig und allein die Hersteller.

Einziges Manko: Die Datenbank existiert zwar schon, wird bis dato aber als Informationsdatenbank der Mitgliedsstaaten vor allem von Behörden genutzt – und das meistens passiv. Diese soll nun möglichst bis zum Jahr 2020, wenn die Übergangsfristen für die Unternehmen enden, ihre Metamorphose durchlaufen haben. Wie ein Blick auf digitale Megavorhaben wie zum Beispiel die elektronische Gesundheitskarte und ihre Datenautobahn in Deutschland aber zeigt, sind solche Rahmenvorgaben realiter von einer schier unglaublichen Elastizität geprägt. So glauben auch Vertreter vom Bundesgesundheitsministerium und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht nur hinter vorgehaltener Hand an ein Reißen dieser Deadline. Außerdem ist fraglich, wie zum Beispiel das sogenannte Scrutiny-Verfahren rein organisatorisch laufen soll. Dies ist für "Hochrisikoprodukte" angedacht. Hier können die zuständigen Behörden aller EU-Mitgliedsstaaten sowie die Kommission bei begründeten Bedenken die Konformitätsbewertung der Benannten Stelle durch ein Expertengremium überprüfen lassen. Eudamed soll dabei als zentrale Datenbank fungieren.

Fachkräftemangel beutelt Hersteller

Durch die umfangreichen Anforderungen an die klinische Bewertung von vor allem Produkten der Klassen IIb und III und die Qualifikation der Teams, die diese erstellen, können manche Anbieter ins Straucheln kommen – obwohl die Kommission gelobte, gerade die Belange der KMU und deren limitierten (finanziellen) Ressourcen in der novellierten MDR zu berücksichtigen. Wie Branchenvertreter gegenüber der "Ärzte Zeitung" bestätigten, sei der Markt für qualifiziertes Personal für den Zulassungsbereich nahezu leergefegt. Zum Zuge kämen vor allem Großkonzerne und Benannte Stellen. Trotz intensiven Suchens gingen die meisten KMU leer aus – und müssten dann schlimmstenfalls auf Consulting-Lösungen zurückgreifen. Doch diese Consultants genössen meist auch nur ein defizitäres Halbwissen. Chaos wird somit die Startphase der MDR prägen. Wann Transparenz in welcher Qualität folgt, ist offen.

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