PIP-Skandal

Pariser Gericht sieht Schuld für minderwertige Brustimplantate teils bei TÜV Rheinland

Minderwertige Brustimplantate: Hat der TÜV Rheinland als Benannte Stelle seine Pflichten bei der Überwachung des inzwischen insolventen Implantate-Herstellers PIP verletzt? Ein Pariser Gericht sieht das so. Das Unternehmen verweist dagegen auf den EuGH.

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Billiges Silikon in Brustimplantaten hatte vielen Frauen (nicht nur) in Frankreich große Probleme bereitet.

Billiges Silikon in Brustimplantaten hatte vielen Frauen (nicht nur) in Frankreich große Probleme bereitet.

© Peer Grimm / dpa

Paris. Im Skandal um minderwertige Brustimplantate des inzwischen insolventen französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) hat das Pariser Berufungsgericht die Verantwortung des TÜV Rheinland festgestellt. Die Firma sei „für ihre schuldhaften Versäumnisse und Unterlassungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und Pflichten bei der Überwachung des Qualitätssystems“ haftbar, zitierte die französische Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag aus dem Urteil.

Allerdings wies das Gericht gleichzeitig die Klagen Hunderter Frauen ab – insbesondere in den Fällen, in denen Implantate vor September 2006 eingesetzt worden waren.

TÜV sieht sich selbst als Täuschungsopfer

PIP hatte jahrelang billiges Industriesilikon für einen Teil seiner Implantate verwendet. Die reißanfälligen Implantate könnten Schätzungen zufolge weltweit bei Hunderttausenden Frauen eingesetzt worden sein. Betroffen sind auch Frauen aus Deutschland. Die Opfer berichteten etwa von Silikonkissen, aus denen das Gel herausgesickert sei. Der TÜV Rheinland hatte als Benannte Stelle gemäß der EU-Medizinprodukterichtlinie das Qualitätssicherungsverfahren von PIP zertifiziert.

Die Klägerinnen werfen ihm in diesem Zusammenhang Schlamperei vor. Das Unternehmen sieht sich dagegen selbst als Opfer der Täuschung von PIP. Die betroffenen Frauen hätten eine sehr lange Zeit leiden müssen, sagte Olivier Aumaître, Opferanwalt zahlreicher Klägerinnen, in einer Pressekonferenz des Opferverbands PIPA World. Er begrüßte die Entscheidung.

Ganz anders der TÜV Rheinland: Er „nimmt die Abweisung eines großen Teils der Klagen durch das Berufungsgericht Paris zur Kenntnis, er widerspricht dessen Entscheidung aber insoweit, als sie eine wenn auch nur teilweise Haftung der Benannten Stelle bejaht“, hieß es am Donnerstag von Unternehmensseite. Denn, so ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage der „Ärzte Zeitung“: „Diese Entscheidung steht insbesondere im Widerspruch zu der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom Februar 2017 und der Entscheidung des Berufungsgerichts Versailles vom Januar 2021.“

In Versailles war der TÜV Rheinland von einer Schuld freigesprochen worden. In seinem Urteil hat der EuGH festgestellt, dass eine Benannte Stelle nicht das Produkt selbst, sondern nur deren Herstellungsprozess zertifizieren müsse. Unangemeldete Kontrollen waren nicht vorgesehen. Das ändert sich nun mit der anlässlich des PIP-Skandals novellierten EU-Medizinprodukteverordnung, die am 26. Mai 2021 scharfgeschaltet wird.

Das aktuelle Verfahren ist eines von mehreren Verfahren, die in Frankreich laufen. Dem TÜV Rheinland steht die Berufung zum französischen Kassationshof offen. Sollte dieser Weg gegangen werden, könnte der Kassationshof die Sache wieder an ein weiteres Berufungsgericht zurückverweisen. (maw/dpa)

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